Aldous Hux­ley leit­ete das Vor­wort zum Buch sein­er zweit­en Frau Lau­ra “You are not the tar­get (Du bist nicht das Ziel/die Zielscheibe) so ein:
Men­schen sind viel­seit­ige Amphi­bi­en, die gle­ichzeit­ig in einem hal­ben Dutzend radikal unter­schiedlich­er Uni­versen leben – dem moleku­laren und dem ethis­chen, dem phys­i­ol­o­gis­chen und dem sym­bol­is­chen, der Welt der nicht kom­mu­nizier­baren sub­jek­tiv­en Erfahrung und den öffentlichen Wel­ten der Sprache und Kul­tur, der sozialen Organ­i­sa­tion und der Wis­senschaften.
Weil sie sprechen und denken und ange­sam­meltes Wis­sen von ein­er Gen­er­a­tion an die näch­ste weit­ergeben kön­nen, sind Men­schen unver­gle­ich­lich klüger als die klüg­sten Tiere. Aber weil sie oft töricht reden, unl­o­gisch denken und Pseudowis­sen verehren, als wäre es offen­barte Wahrheit, kön­nen sie auch unver­gle­ich­lich düm­mer, unglück­lich­er, grausamer und habgieriger sein als die gedanken­los­es­ten wilden Tiere. Tiere sind lediglich bru­tal; Män­ner und Frauen sind in der Lage, Teufel und Wahnsin­nige zu sein. Sie sind nicht weniger fähig, vol­lkom­men men­schlich zu sein – gele­gentlich sog­ar ein biss­chen mehr als vol­lkom­men men­schlich, näm­lich Heilige, Helden und Genies.

Absichtliche und beständi­ge Böswilligkeit ist sel­ten. Die meis­ten von uns meinen es gut und wür­den es im Großen und Ganzen vorziehen, sich anständig zu ver­hal­ten. Aber lei­der sind es ger­ade die guten Absicht­en, die unpassend aus­ge­führt wer­den, mit denen sprich­wörtlich die Hölle gepflastert ist. Wir kön­nen reden, wir ken­nen die großen Worte; nichts fällt uns daher leichter, als ein hehres Ide­al zu verkün­den. Die Schwierigkeit­en entste­hen, wenn wir ver­suchen, das Ide­al in die Prax­is umzuset­zen. Welche Mit­tel müssen einge­set­zt wer­den, um unsere hehren Ziele zu erre­ichen? Wie genau wollen wir unsere hohen Ziele umset­zen? Was müssen mul­ti­ple Amphi­bi­en tun, um das Beste aus all ihren selt­sam zusam­mengewür­fel­ten Wel­ten für sich selb­st und für andere mul­ti­ple Amphi­bi­en zu machen?

Auf diese Fra­gen habe ich in den let­zten zwei oder drei Jahren ver­sucht, Antworten zu find­en, die plau­si­bel genug sind, um sie in eine Art utopis­che und doch real­is­tis­che Phan­tasie über eine (lei­der hypo­thetis­che) Gesellschaft einzubrin­gen, deren kollek­tives Ziel es ist, ihren Mit­gliedern zu helfen, möglichst viele ihrer wün­schenswerten Poten­ziale zu ver­wirk­lichen.

Damit spielt er auf seinen let­zten Roman “Eiland” an, dem jahre­lange Stu­di­en voraus­gin­gen:
Griechis­che Geschichte, poly­ne­sis­che Anthro­polo­gie, Über­set­zun­gen bud­dhis­tis­ch­er Texte aus dem San­skrit und dem Chi­ne­sis­chen, wis­senschaftliche Abhand­lun­gen über Phar­makolo­gie, Neu­ro­phys­i­olo­gie, Psy­cholo­gie und Päd­a­gogik, Romane, Gedichte, kri­tis­che Essays, Reise­büch­er, poli­tis­che Kom­mentare und Gespräche mit allen möglichen Men­schen, von Philosophen bis zu Schaus­pielerin­nen, von Patien­ten in psy­chi­a­trischen Kliniken bis zu Tycoons in Rolls-Royce-Autos – alles floss in den Trichter und wurde zu Mahlgut für meine utopis­che Müh­le.

Doch dann stellte er fest, dass einige der klarsten und prak­tis­chsten Antworten auf bes­timmte mein­er Fra­gen von mein­er Frau in den „Lebens- und Liebesrezepten“ gegeben wur­den, die sie für diejeni­gen ver­fasste, die sich an sie wandten, um psy­chol­o­gis­che Hil­fe und Rat zu erhal­ten.

Lau­ra Hux­ley ortet in ihrem Buch ein einziges Prob­lem in der men­schlichen Gesellschaft, das hin­ter allen anderen tausend­fälti­gen Prob­le­men liegt, an denen sie krankt: der Man­gel an wahrhafter, echter Liebe.
In tausend For­men getarnt, unter ein­er unendlichen Vielfalt von Masken ver­steckt, ist der Liebeshunger noch weitaus schlim­mer als der Nahrung­shunger. Er befällt alle Klassen und alle Völk­er. Er tritt in allen Kli­ma­zo­nen, auf jed­er sozialen und wirtschaftlichen Ebene auf. Er scheint in allen Lebens­for­men aufzutreten. Der Liebeshunger trägt das stein­erne Gesicht des Zucht­meis­ters oder spricht mit der hys­ter­ischen Stimme des Eifer­ers. Sie nimmt die sal­bungsvolle Art des Heuch­lers oder die Rück­sicht­slosigkeit des ehrgeizigen Macht­men­schen an.

Liebeshunger kann sich in kör­per­lichen und geisti­gen Krankheit­en, in Krim­i­nal­ität und manch­mal sog­ar im Tod tar­nen. In ein­er Fam­i­lie erzeugt Liebeshunger eine Gen­er­a­tion nach der anderen, bis ein Rebell in dieser Fam­i­lie die Kette des Bösen durch­bricht. Wenn Sie sich in ein­er solchen Fam­i­lie befind­en, SEIEN SIE DIESER REBELL!

Doch wie wird man zu einem solchen Rebellen? Lau­ra Hux­ley liefert dazu ein eigentlich­es Rezept­buch mit 33 Rezepten, Und jedes Rezept schliesst mit dem Ver­sprechen:
It works — if you work!

Wer mit Englisch nicht auf Kriegs­fuss ste­ht und Lust hat, einen Blick in das Buch zu wer­fen, find­et es hier.

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