Im Mai 1960 liess Aldous Hux­ley eine klei­ne Ver­här­tung unter sei­ner Zun­ge unter­su­chen, die schmerz­haft war und ihn beim Essen stör­te. Der scho­ckie­ren­de Befund: Krebs. Die Krebs­spe­zia­lis­ten sahen nur eine Mög­lich­keit: das Ent­fer­nen eines gros­sen Teils sei­ner Zun­ge, und zwar so rasch als mög­lich. Das bedeutete:
Aldous wür­de wahr­schein­lich nie wie­der rich­tig spre­chen kön­nen — aus­ge­rech­net jetzt, wo er damit den Gross­teil sei­nes Lebens­un­ter­hal­tes sicher­te. Ohne auf die Rück­kehr der Ärz­te zu war­ten, reich­te Lau­ra ihrem Mann sei­ne Klei­der und sag­te: “Nichts wie raus hier”. Aldous sah, dass sie vor Wut koch­te, und lächel­te: “Wir sol­len das Hasen­pa­nier ergreifen?”
Nach­dem sie sich unter den Pro­tes­ten der Kran­ken­schwes­tern an der Rezep­ti­on vor­bei schnell in den Fahr­stuhl geflüch­tet hat­ten, war die nächs­te Sta­ti­on der ange­se­he­ne Onko­lo­ge Max Cut­ler, von dem Lau­ra und Aldous viel hiel­ten. Aldous hat­te ihn bereits in der End­pha­se von Mari­as Krank­heit kon­sul­tiert. Cut­ler war kein Freund von radi­ka­len chir­ur­gi­schen Ein­grif­fen. Er emp­fahl die Behand­lung mit Radi­um­na­deln, der sich Hux­ley im Ver­lauf des Som­mers auch unter­zog. Bereits im August war er beschwerdefrei.

Ende gut, alles gut … Lei­der nicht ganz. Der Krebs war zwar besiegt, doch ein Jahr spä­ter traf ihn ein wei­te­rer Schick­sals­schlag. Am 12. Mai näher­te sich dem Haus der Hux­leys rasend schnell ein ver­hee­ren­des Busch­feu­er und setz­te es in Brand.
Aldous konn­te noch das Manu­skript von “Eiland” ret­ten, aber Lau­ra hat­te eine selt­sa­me Läh­mung befal­len. Wie hyp­no­ti­siert konn­te sie nur in die Flam­men star­ren — die ihr eige­ne Geis­tes­ge­gen­wart in Not­si­tua­tio­nen hat­te aus­ge­setzt. In selt­sa­mer Trance ging sie durch das Haus, um sich von den Objek­ten zu ver­ab­schie­den, ohne auch nur eines hin­aus­zu­tra­gen. Aldous griff sich gleich drei sei­ner Anzü­ge; wäh­rend sie über die Ver­si­che­rungs­sum­me nach­dach­te, sah Lau­ra ihre Guar­ne­ri-Vio­li­ne von 1705 bereits in den Flam­men ver­schwin­den. Schliess­lich nahm sie, noch immer benom­men, das uner­setz­li­che Stück sowie eine chi­ne­si­sche Por­zel­lan­skulp­tur aus der T’ang Dynas­tie und ande­re Klei­nig­kei­ten mit.

Poli­zei und Fern­seh­re­por­ter waren ein­ge­trof­fen, aber weit und breit kei­ne Feu­er­wehr, denn die lösch­te woan­ders. Das Haus der Hux­leys brann­te bis auf den Boden nie­der. In den Flam­men ver­schwan­den die 4000 Bücher sei­ner wert­vol­len Biblio­thek, alle indi­ziert und anno­tiert, Tho­mas Hen­ry Hux­leys Erst­aus­ga­be von Vol­taires “Can­di­de”, Manu­skrip­te von D.H. Law­rence und auch sei­ne eige­nen, dar­un­ter “Kon­tra­punkt des Lebens”, zwei Roman­frag­men­te, sein Brief­wech­sel mit Maria, Mari­as aus­führ­li­che bio­gra­fi­sche Brie­fe über Aldous an ihre Schwes­ter Suzan­ne, die Hux­ley sich vor kur­zer Zeit noch hat­te für sei­ne Memoi­ren schi­cken las­sen, Brie­fe von Vir­gi­nia Woolf, Law­rence, H.G. Wells, Paul Valé­ry und ande­ren Berühmt­hei­ten, Notiz­bü­cher, Foto­gra­fien, der Brief­wech­sel mit Laura.

Aldous erklär­te nach dem Feu­er in einem Brief an Matthew (sei­nen Sohn): “Ich bin jetzt ein Mann ohne Hab­se­lig­kei­ten und ohne Vergangenheit”. (…)
Und dem Freund Robert Hut­chins von der Ford Foun­da­ti­on schrieb er: “Selt­sam, in mei­nem Alter noch­mals von vor­ne anfan­gen zu müs­sen. (…) Offen­bar war vor­ge­se­hen, dass ich ein wenig vor der letz­ten Ent­blös­sung noch ler­nen soll­te, dass man nichts mit sich neh­men kann.” (…) Alle greif­ba­re Ver­bin­dung mit der Ver­gan­gen­heit hat­te sich in Rauch und Asche verwandelt. 

Die Sen­sa­ti­ons­pres­se berich­te­te von dem “fast blin­den bri­ti­schen Autor”, der wie ein Kind wein­te und sich in die Flam­men habe stür­zen wol­len. Die­ser erneu­te Schick­sals­schlag traf Hux­ley selbst­ver­ständ­lich tief, — aber gleich­zei­tig wur­de eine gewis­se Abge­klärt­heit und sein inne­rer Gleich­mut deut­lich, wenn er von einer “inter­es­san­ten Her­aus­for­de­rung” sprach, “mit der er hof­fe, ange­mes­sen umge­hen zu kön­nen”. Als sei­ne Bio­gra­fin Sybil­le Bedford spä­ter frag­te, wie er es geschafft habe, ein­fach erneut von vor­ne zu begin­nen, gab er die berühmt gewor­de­ne Ant­wort: “Na ja, ich bin los­ge­zo­gen und habe mir eine Zahn­bürs­te gekauft”.

Unter den weni­gen Din­gen, die Hux­ley vor dem Feu­er ret­ten konn­te, befand sich wie erwähnt das Manu­skript sei­nes letz­ten Romans “Eiland”. Er konn­te es — immer­hin ein klei­ner Trost — schon einen Monat spä­ter abschliessen.

Dazu mehr in der nächs­ten Fol­ge am kom­men­den Sams­tag, den 23. November

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