Inzwischen hatten sich die universitären Angebote für Gastreferate erweitert zu Gastprofessuren mit ganzen Vorlesungsreihen. So 1959/60 an der Universität Santa Barbara, wo er über “die menschliche Situation” sprechen sollte. In einem Brief an seinen Sohn Matthew umriss er das Vorlesungsprogramm:
Zuerst wolle er über die biologischen Grundlagen sprechen: den Zustand des Planeten, das Bevölkerungsproblem, das Verhältnis von genetischem Erbgut und Umweltfaktoren. Dann werde der Fokus auf den “alles bestimmenden Faktor moderner Zivilisation” gelenkt, den Einfluss neuer Technologien auf die soziale und politische Ordnung in allen menschlichen Bereichen. Und schliesslich werde er über das Individuum sprechen und Überlegungen zur bestmöglichen Verwirklichung von dessen Potenzialen anstellen.
Heute hätten wir weitere solche “Huxleys” bitter nötig …
1959 wurde Huxley nach drei vorhergehenden Versuchen erneut ohne Erfolg für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen. Aber er konnte immerhin den nur alle fünf Jahre von der American Academy of Arts and Letters verliehenen Award of Merit in der Kategorie “Roman” entgegennehmen, und befand sich so in illustrer Gesellschaft mit Thomas Mann oder Ernest Hemingway.
Ein weiteres Engagement für Vorlesungen führte ihn an die Menninger Foundation, dem damaligen amerikanischen Mekka der Psychoanalyse.
Eigentlich hätte er dieses Sanktuarium des Freudianismus meiden müssen wie der Teufel das Weihwasser. (…) Er fand in Topeka zwar “vieles Interessante und Bewundernswerte, aber auch einiges, worüber ich nur verständnislos den Kopf schütteln kann” (Letters, S.888), wie er in einem Brief an seine Schwägerin Juliette Huxley schrieb.
Darin bringt er auch seine Grundkritik am Freudschen Ansatz auf den Punkt: Im Gegensatz zu den normalen Patienten würden Privatpatienten hier im Menninger-Krankenhaus ausschliesslich “gediegen freudianisch behandelt, als hätten sie keinen Körper — abgesehen von Mündern und Anussen” — und als könnte man sie von ihren Beschwerden allein mit Psychologie befreien, ” und dann nur mit einer nicht allzu realistischen Sorte”.
Aldous hatte von jeher den psychologischen Ansatz des Freud-Schülers Carl Gustav Jung bevorzugt, der sich von seinem Meister getrennt hatte, weil er dessen Psychologie zu sexualfixiert fand.
Huxley’s Freundin Sibille Bedford fasst dessen Credo so zusammen:
Menschen sind multiple Amphibien, die in ungefähr zwanzig verschiedenen Welten gleichzeitig leben. Wenn irgendetwas geschehen soll, damit sie mehr Freude am Leben und bessere Möglichkeiten haben, ihre wünschenswerten Potentiale zu verwirklichen, gesünder leben, die Beziehungen zu ihren Mitmenschen besser gestalten, ethischer leben, müssen wir an allen Fronten zugleich angreifen.
1960/61 brachten nach dem Tod Marias neue Prüfungen.
Dazu mehr in der nächsten Folge am kommenden Samstag, den 16. November.
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