Der Tod Marias, seiner geliebten Partnerin über Jahrzehnte hinweg traf Aldous Huxley mit voller Wucht. Dies umso mehr, als er auf Wunsch Marias bis kurz vor ihrem Tod in Unkenntnis über ihre tödliche Krebserkrankung geblieben war. Er erlebte ihr Weggehen als eigentliche “Amputation”, und sein grosser Freundeskreis machte sich Sorgen darüber, wie schlecht Aldous aussah, aschfahl, dünn, erschöpft, “fast wie eine Totenmaske”.
Sein Rezept, um über diesen riesigen Verlust hinwegzukommen: Arbeit. Arbeit an einem Theaterstück, an Essays für “das gehobene Herrenmagazin Esquire”, das ihm pro Essay 1000 Dollar zahlte, was heute über 10’000 € entspräche, an weiteren Buchprojekten. Es folgten ausgedehnte Reisen durch die Staaten für Konferenzbesuche, Vorträge und Treffen mit interessanten Wissenschaftlern.
Seelische Hilfe fand er auch bei seiner Schwiegertochter Ellen,
zu der Aldous und Maria von Anbeginn eine herzliche Beziehung gehabt hatten. Bei Alltagsverrichtungen, beim Einkaufen, auf langen Spaziergängen, Autoausflügen und in Gesprächen über das Essen, das Wetter und vor allem die Kinder verlebten die beiden schüchternen Menschen Wochen aussergewöhnlicher Nähe. Aldous fand dabei nicht nur Gelegenheit, sich mit dem Verlust Marias und ihrer Bedeutung für sein Leben auseinanderzusetzen, sondern auch bei Ellen vorsichtig vorzutasten, was sie davon hielte, wenn er sich wieder verheiraten würde.
Das war — was zu diesem Zeitpunkt niemand ahnte — nicht ins Blaue hineingesprochen. Auch Maria hatte vor ihrem Tod vorsichtig Vorkehrungen getroffen, dass Aldous nicht allein bleiben würde. Die Person, die dafür in Frage kam, war Laura Archera. (…)
Mit Laura konnte Aldous über Maria reden. Und Laura konnte sehen, wie Aldous versuchte, die Philosophie, die er Maria auf dem Sterbebett mitgegeben hatte, auch für sich selbst in die Tat umzusetzen: loslassen, sich nicht an die Vergangenheit, den Schmerz, den Kummer klammern. In der Gegenwart leben, das Bewusstsein auf das Hier und Jetzt lenken. Auch Laura gegenüber sprach er von der Amputation, die Marias Verlust für ihn bedeutete, und manchmal versank er in niedergeschlagenes Schweigen.
Laura Archera war eine höchst kreative Persönlichkeit: Violonistin, Filmemacherin, Schriftstellerin, Psychotherapeutin, und vor allem höchst eigenständig und eigenwillig.
Die Rolle der fürsorglichen Unterstützerin, die Maria all die Jahrzehnte für Aldous übernommen hatte, lag ihr überhaupt nicht. Das war Aldous auch klar und interessierte ihn nicht. Als er in seiner typisch umständlichen Art fragte, ob sie jemals versucht gewesen wäre zu heiraten, löste das bei Laura zunächst Angst vor dem Verlust des höchsten Guts, ihrer persönlichen Freiheit, aus. Angesichts der besonderen Vertrautheit, die sich zwischen den beiden entwickelt hatte, sagte sie aber nach einigem Überlegen: “Es scheint logisch”.
Und so kam es, wie es kommen musste:
Im März 1956 setzten sich die beiden ohne Vorwarnung nach Yuma, Arizona ab, um dort in der Drive-in Wedding Chapel spontan zu heiraten — eine typisch impulsive Idee Huxleys, bei der sein Hang zum Unkonventionellen und Unfeierlichen Resonanz bei Laura fand. Im Gegensatz zu Familie und Freunden hatte die Presse von der Aktion Wind gekriegt, und bevor die Briefe, die Aldous noch am selben Tag geschrieben hatte, ihre Ziele erreichen konnten, erfuhren die Freunde und Matthew (sein Sohn) es aus Radio und Zeitung: “Schriftsteller Huxley heiratet Violonistin”.
Wie schon Maria zu Beginn seiner intellektuellen Karriere erwies sich auch Laura für die letzten Lebensjahre Huxleys als Glücksfall.
Fortsetzung am kommenden Samstag, den 26. Oktober
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