Huxley experimentierte in den folgenden Jahren weiterhin mit psychedelischen Drogen — auch mit LSD — und tauschte sich über seine Erfahrungen mit anderen Drogenforschern wie Andrija Puharich, Timothy Leary oder Al Hubbard aus. Sein guter Freund Krishnamurti allerdings hielt den Gebrauch von Drogen als Weg zur Bewusstseinserweiterung und vertiefter Selbsterkenntnis für einen Irrweg:
Ein Punkt … in dem sich die beiden überhaupt nicht einig waren, war Huxleys Überzeugung, dass psychoaktive Drogen wie Meskalin, Psilocybin und LSD ähnliche Effekte auf das Bewusstsein hätten wie Meditation und zumindest quasivisionäre Zustände erzeugen könnten. Für Krishnamurti waren Psychedelika einfach genauso Rauschmittel wie Alkohol, mit denen man niemals Erkenntniszustände erreichen könne, wie das die Techniken der Meditation erlaube.
Trotz dieser Differenzen blieb die gegenseitige Achtung und Ideen-Befruchtung ungebrochen. Huxley unterstützte seinen Freund bei dessen Vorhaben, seine Gedanken bei einem kommerziellen Verlag für ein grösseres Publikum zu veröffentlichen. So erschien im renommierten Harper Verlag “Education and the Significance of Life”. Einleitend machte Krishnamurti zum Thema “Bildung und Erziehung” folgende kritische Bemerkungen:
Wenn man um die Welt reist, bemerkt man, wie außergewöhnlich ähnlich sich die Menschen sind, ob in Indien oder Amerika, in Europa oder Australien. Dies gilt insbesondere für Hochschulen und Universitäten. Wir bringen, wie aus einer Form gegossen, eine Art Mensch hervor, dessen Hauptinteresse darin besteht, Sicherheit zu finden, jemand Wichtiges zu werden oder eine gute Zeit mit so wenig Nachdenken wie möglich zu haben.
Konventionelle Bildung macht unabhängiges Denken extrem schwierig. Konformität führt zu Mittelmäßigkeit. Sich von der Gruppe abzuheben oder sich der Umgebung zu widersetzen, ist nicht einfach und oft riskant, solange wir den Erfolg anbeten. Der Drang nach Erfolg, das Streben nach Belohnung, sei es im materiellen oder im sogenannten spirituellen Bereich, die Suche nach innerer oder äußerer Sicherheit, das Verlangen nach Komfort – dieser ganze Prozess erstickt Unzufriedenheit, setzt der Spontaneität ein Ende und erzeugt Angst; und Angst blockiert das intelligente Verständnis des Lebens. Mit zunehmendem Alter setzt eine Trägheit des Geistes und des Herzens ein.
Auf der Suche nach Trost finden wir im Allgemeinen eine ruhige Ecke im Leben, in der es ein Minimum an Konflikten gibt, und dann haben wir Angst, aus dieser Abgeschiedenheit herauszutreten. Diese Angst vor dem Leben, diese Angst vor dem Kampf und vor neuen Erfahrungen tötet den Abenteuergeist in uns; unsere gesamte Erziehung und Bildung haben uns Angst gemacht, anders zu sein als unser Nachbar, Angst, anders zu denken als das etablierte Muster der Gesellschaft, falsche Ehrfurcht vor Autorität und Tradition.
Huxley war sich in dieser Frage mit Krishnamurti mit Sicherheit einig und schrieb zu dem im darauffolgenden Jahr erscheinenden Buch “The First and the Last Freedom” ein umfangreiches Vorwort. Hier ein paar Auszüge:
Der Mensch ist eine Amphibie, die gleichzeitig in zwei Welten lebt – der gegebenen und der selbstgemachten, der Welt der Materie, des Lebens und des Bewusstseins und der Welt der Symbole. In unserem Denken bedienen wir uns einer Vielzahl von Symbolsystemen – sprachlicher, mathematischer, bildlicher, musikalischer und ritueller. Ohne solche Symbolsysteme gäbe es keine Kunst, keine Wissenschaft, kein Recht, keine Philosophie, nicht einmal die Grundlagen der Zivilisation: Mit anderen Worten, wir wären Tiere.
Symbole sind also unverzichtbar. Aber Symbole können auch tödlich sein, wie die Geschichte unserer Zeit und jeder anderen Epoche deutlich macht. Denken wir zum Beispiel an die Wissenschaft auf der einen Seite und an die Politik und Religion auf der anderen Seite. Indem wir in Begriffen einer Reihe von Symbolen denken und entsprechend handeln, haben wir die elementaren Kräfte der Natur in gewissem Umfang verstanden und unter Kontrolle gebracht. Indem wir in Begriffen einer anderen Reihe von Symbolen denken und entsprechend handeln, nutzen wir diese Kräfte als Instrumente für Massenmord und kollektiven Selbstmord.
Huxley stellt hier also die Symbolsprache der sog. “harten” Wissenschaften einer Symbolsprache in Politik und Religion gegenüber, die pervertiert werden kann, weil sie mit dem, was ist, nicht mehr übereinstimmt. Als Beispiel möge die Symbolsprache der Diktaturen im 20. Jahrhundert dienen, von Hitler (Hakenkreuz, “Blut und Boden”) bis Stalin und Mao (Hammer und Sichel), nicht zu vergessen die Symbolsprache der Kirchen im Christentum, mit der die frohe Botschaft Christi oft in einen erdrückenden Machtapparat umgewandelt wurde. Als ein herausragendes Beispiel dafür wäre immer noch das Buch “Das Christentum und die Angst” des Zürcher Pfarrers und Psychoanalytikers Oskar Pfister zu nennen.
Fortsetzung am kommenden Samstag, den 28. September
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