Heute stehen sich in der Frage, was Bewusstsein ist, zwei Positionen diametral gegenüber:
● die Vertreter eines materialistischen Weltbildes — zu denen die grosse Mehrzahl der Gehirnforscher und Neurobiologen zählt — betrachten das menschliche Bewusstsein als ein Epiphänomen unserer Gehirntätigkeit, sozusagen “die Frucht” von hochkomplexen Prozessen, die in unserem Gehirn ablaufen. Bei unserem Tod erlischt die Tätigkeit des Gehirns und damit auch unser Bewusstsein. Was einmal ein “Ich” war, versinkt im Nichts.
● die Vertreter eines spirituellen Weltbildes sehen im Bewusstsein den Urgrund allen Seins — und dazu gehören auch die materiellen Welten. Müssig zu erwähnen, dass alle Religionen in diesem Weltbild wurzeln. Aus dieser Sicht hat unser Gehirn bildlich gesprochen die Funktion eines Radioempfängers, der in der Lage ist, bestimmte Frequenzen zu empfangen — und viele andere eben nicht. Das Gehirn produziert also das Bewusstsein nicht, sondern arbeitet als “Frequenzen-Filter”.
Es erstaunt nicht, dass Huxley ein dezidierter Anhänger der zweiten Sicht war, und seine Erfahrungen mit Meskalin bestärkten ihn darin:
Jeder Mensch ist in jedem Augenblick fähig, sich all dessen zu erinnern, was ihm je widerfahren ist, und alles wahrzunehmen, was irgendwo im Universum geschieht. Es ist Aufgabe des Gehirns und des Nervensystems, uns davor zu schützen, von dieser Menge größtenteils unnützen und belanglosen Wissens überwältigt und verwirrt zu werden, und sie erfüllen diese Aufgabe, indem sie den größten Teil der Informationen, die wir in jedem Augenblick aufnehmen oder an die wir uns erinnern würden, ausschließen und nur die sehr kleine und sorgfältige getroffene Auswahl übriglassen, die wahrscheinlich von praktischem Nutzen ist.
Unser aktuelles Bewusstsein ist also sorgfältig austariert, um unsere zeitweilige Existenz auf diesem Planeten namens Erde zu ermöglichen.
Gemäß einer solchen Theorie verfügt potentiell jeder von uns über das größtmögliche Bewußtsein. Aber da wir lebende Wesen sind, ist es unsere Aufgabe, um jeden Preis am Leben zu bleiben. Um ein biologisches Überleben zu ermöglichen, muß das größtmögliche Bewußtsein durch den Reduktionsfilter des Gehirns und des Nervensystems hindurchfließen. Was am anderen Ende herauskommt, ist ein spärliches Rinnsal von Bewußtsein, das es uns ermöglicht, auf diesem unseren Planeten am Leben zu bleiben.
Um die Inhalte des auf diese Weise reduzierten Bewußtseins begrifflich zu fassen und auszudrücken, hat der Mensch Symbolsterne und unendliche Philosophien erfunden und immerwährend erweitert, welche wir Sprache nennen. Jeder Mensch ist zugleich Nutznießer und das Opfer der sprachlichen Tradition, in die er hineingeboren wurde − der Nutznießer insofern, als die Sprache Zugang zu den gespeicherten Informationen über die Erfahrungen anderer Menschen gewährt; das Opfer insofern, als sie ihn in dem Glauben, dieses reduzierte Bewußtsein sei das einzig mögliche Bewußtsein. Was in der Sprache der Religion >von dieser Welt< genannt wird, ist das Universum des reduzierten Bewußtseins, das sich in Sprache ausdrückt und sozusagen mit Hilfe von Sprache festgeschrieben wurde.
Sprache also als wichtiges Kommunikationsmittel einerseits, als mentales “Gefängnis” andererseits. So kam der amerikanische Linguist Benjamin Lee Whorf aufgrund seiner Studien zu indigenen Sprachen in Nordamerika — insbesondere der Hopi — zum Schluss, dass Sprache unser Bewusstsein viel stärker steuert und einengt, als uns lieb ist:
Die Sapir-Whorf-Hypothese beschäftigt sich in erster Linie damit, wie Sprachen Gedanken beeinflussen. Sie sagt, dass die Sprache, die eine Person spricht, den Weg ihres Denkens beeinflusst. Die Struktur der Sprache beeinflusse also die Wahrnehmung der Umwelt. Dies beeinflusse auch wissenschaftliche Forschung, da die unterschiedlichen Fachbereiche unterschiedliche Sprachstrukturen entwickeln. Aber auch das Verständnis von Raum und Zeit wirkt sich, so Whorf, auf das Verständnis physikalischer Theorien wie beispielsweise der modernen Relativitätstheorie aus. In der Sprache der Hopi sei es aufgrund der sprachlich nicht vorhandenen Trennung von Raum und Zeit weitaus einfacher, die Relativitätstheorie nachvollziehen zu können. (Wikipedia).
Wir bleiben auch am kommenden Samstag, den 7. September bei diesem Thema.
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