Eine ähn­li­che Erfah­rung mach­te Hux­ley auch mit den Büchern sei­nes Arbeits­zim­mers, als er einen Blick auf sie warf:
Wie die Blu­men erglüh­ten auch sie, wenn ich zu ihnen hin­sah, in leuch­ten­de­ren Far­ben, Far­ben von einer tie­fe­ren Bedeut­sam­keit. Rote Bücher gleich Rubi­nen, sma­rag­de­ne Bücher, Bücher in wei­ße Jade gebun­den, Bücher von Achat, von Aqua­ma­rin, von gel­bem Topas, von Lapis­la­zu­li, alle Far­ben waren so inten­siv, so zutiefst bedeu­tungs­voll, dass sie nahe dar­an zu sein schie­nen, die Rega­le zu ver­las­sen, um sich mei­ner Auf­merk­sam­keit noch ein­dring­li­cher bemerk­bar zu machen.

»Wie ver­hält es sich mit den räum­li­chen Dimen­sio­nen?« frag­te der Expe­ri­men­ta­tor, als ich auf die Bücher blickte.

Das war schwer zu beant­wor­ten. Gewiss, die Per­spek­ti­ve nahm sich recht son­der­bar aus, und die Wän­de des Zim­mers schie­nen nicht mehr recht­wink­lig anein­an­der zu sto­ßen. Aber das waren nicht die wirk­lich wich­ti­gen Tat­sa­chen. Tat­sa­che war, dass räum­li­che Bezie­hun­gen kaum noch eine Bedeu­tung hat­ten und dass mein Geist die Welt in Begrif­fen wahr­nahm, die jen­seits räum­li­cher Kate­go­rien lagen.  … Lage und Ent­fer­nung ver­lie­ren stark an Inter­es­se, und der Geist macht sei­ne Wahr­neh­mun­gen in Begrif­fen der Daseins­in­ten­si­tät, der Bedeu­tungs­tie­fe, der Bezie­hun­gen inner­halb einer bestimm­ten Anordnung.

Ich sah die Bücher, aber ich küm­mer­te mich kei­nes­wegs um ihren Platz im Raum. Was ich bemerk­te, was sich mei­nem Geist ein­präg­te, war die Tat­sa­che, dass alle von leben­di­gem Licht erglüh­ten und dass in eini­gen die Herr­lich­keit offen­kun­di­ger war als in ande­ren. In die­sem Zusam­men­hang waren der Ort, an dem sie sich befan­den, und die drei Dimen­sio­nen neben­säch­lich. Selbst­ver­ständ­lich war die Kate­go­rie Raum nicht abge­schafft. Als ich auf­stand und umher­ging, konn­te ich das ganz nor­mal tun, ohne die Lage und Ent­fer­nung von Gegen­stän­den falsch ein­zu­schät­zen. Der Raum war noch immer da; aber er hat­te sein Über­ge­wicht ver­lo­ren. Der Geist war an ers­ter Stel­le nicht mit Maßen und räum­li­chen Bezie­hun­gen der Gegen­stän­de zuein­an­der befasst, son­dern mit Sein und Sinn.

Die glei­che Erfah­rung mach­te er auch bei der Fra­ge des Expe­ri­men­ta­tors, was für ein Gefühl  bezüg­lich der Zeit er habe:
Ich hät­te selbst­ver­ständ­lich auf mei­ne Uhr sehen kön­nen, aber mei­ne Uhr war, das wuss­te ich, in einem ande­ren Uni­ver­sum. Tat­säch­lich hat­te ich das Gefühl einer unbe­stimm­ten Dau­er emp­fun­den und emp­fand es noch immer, oder auch das einer unauf­hör­li­chen Gegen­wart, die aus einer ein­zi­gen, sich stän­dig ver­än­dern­den Offen­ba­rung bestand.

Eine sol­che Offen­ba­rung waren auch die Bam­bus­bei­ne des Ses­sels in der Nähe:
... die Run­dung ihrer Röh­ren grenz­te ans Wun­der­ba­re, ihre polier­te Ober­flä­che ans Über­na­tür­li­che! Ich ver­brach­te meh­re­re Minu­ten — oder waren es meh­re­re Jahr­hun­der­te? — damit, die­se Bam­bus­bei­ne nicht nur anzu­se­hen, son­dern sie tat­säch­lich zu sein — oder viel­mehr, ich selbst in ihnen zu sein; oder, um mich noch genau­er aus­zu­drü­cken (denn “ich” hat­te eigent­lich mit der Sache nichts zu tun, und in einem gewis­sen Sinn “sie” eben­falls nicht), mein Nicht-Selbst in dem Nicht-Selbst zu sein, das der Ses­sel war.

Erfah­run­gen wie die­se brach­te Aldous Hux­ley dazu, sich Gedan­ken dar­über zu machen, wie unser mensch­li­ches Bewusst­sein funk­tio­niert. Dazu mehr in der nächs­ten Fol­ge am Sams­tag, den 31. August.

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