Im letz­ten Kapi­tel sei­nes Essay­ban­des “Wie­der­se­hen mit der Schö­nen Neu­en Welt” — “Was lässt sich tun?” — fragt sich Hux­ley, ob und mit wel­chen Mit­teln eine Gesell­schaft, die das Eti­kett “frei­heit­lich” wirk­lich ver­dient, errich­tet wer­den kann.

Wir kön­nen zur Frei­heit erzo­gen wer­den – viel bes­ser, als wir gegen­wär­tig für sie erzo­gen wer­den. Aber die Frei­heit wird, wie ich zu zei­gen ver­sucht habe, aus vie­len Rich­tun­gen bedroht, und die­se Bedro­hun­gen sind sehr ver­schie­de­ner Art – demo­gra­fi­scher, sozia­ler, poli­ti­scher, psy­cho­lo­gi­scher. Unse­re Krank­heit hat eine Viel­zahl zusam­men­wir­ken­der Ursa­chen und lässt sich nicht anders kurie­ren als durch eine Viel­zahl zusam­men­wir­ken­der Arz­nei­en. Um einer kom­ple­xen mensch­li­chen Situa­ti­on gewach­sen zu sein, müs­sen wir alle Fak­to­ren von Belang, nicht bloß einen ein­zi­gen, in Rech­nung stel­len. Nur wenn wir alle Fak­to­ren berück­sich­ti­gen, kön­nen wir zu einem sinn­vol­len Ergeb­nis gelan­gen. Die Frei­heit ist bedroht, und Erzie­hung zur Frei­heit ist drin­gend vonnöten.

Dass der Weg zu wah­rer äus­se­rer und inne­rer Frei­heit anspruchs­voll und stei­nig ist, weil er mit der Errin­gung eines neu­en inne­ren “Seins-Zustands” ein­her­geht, hat auch Erich Fromm deut­lich gemacht. Hux­ley sei­ner­seits weist dar­auf hin, dass wir seit der Ein­füh­rung des Habe­as-Cor­pus-Akts in rechts­staat­li­chen Län­dern zwar vor will­kür­li­chem Frei­heits­ent­zug geschützt sind, nicht aber vor psy­chi­schem Freiheitsentzug:
Es ist durch­aus mög­lich, dass ein Mensch nicht im Gefäng­nis und doch nicht in Frei­heit ist – dass er unter kei­nem phy­si­schen Zwang steht und doch psy­chisch ein Gefan­ge­ner ist, gezwun­gen, so zu den­ken, zu füh­len und zu han­deln, wie die Ver­tre­ter des Natio­nal­staa­tes oder irgend­wel­cher pri­va­ter Inter­es­sen inner­halb der Nati­on ihn den­ken, füh­len und han­deln las­sen wol­len. Es wird nie so etwas wie ein Habe­as-men­tem-Sta­tut geben; denn kein Poli­zei­be­am­ter oder Gefäng­nis­auf­se­her kann einen unge­setz­lich gefan­gen gehal­te­nen Geist vor Gericht brin­gen, und kei­ne Per­son, deren Geist durch die in frü­he­ren Kapi­teln umris­se­nen Metho­den in Haft genom­men wur­de, wäre in der Lage, sich über die­se Haft zu beschweren. 
Psy­chi­scher Zwang ist so beschaf­fen, dass die­je­ni­gen, die unter die­sem Zwang han­deln, es unter dem Ein­druck tun, sie han­del­ten aus eige­nem Antrieb. Das Opfer von Gehirn­ma­ni­pu­la­tio­nen weiß nicht, dass es ein Opfer ist. Für einen sol­chen Men­schen sind die Gefäng­nis­mau­ern unsicht­bar, und er glaubt, frei zu sein. (…)

Aus heu­ti­ger Sicht ziem­lich naiv for­dert er deshalb
ein Gesetz zum Schutz der Gemü­ter gegen skru­pel­lo­se Lie­fe­ran­ten gif­ti­ger Pro­pa­gan­da, nach dem Mus­ter der Geset­ze zum Schutz des Lei­bes gegen skru­pel­lo­se Lie­fe­ran­ten ver­fälsch­ter Nah­rungs­mit­tel und gefähr­li­cher Dro­gen,und:
Es könn­te und, glau­be ich, soll­te Geset­ze geben, die poli­ti­sche Kan­di­da­ten nicht nur dar­an hin­dern, mehr als einen bestimm­ten Geld­be­trag für ihren Wahl­feld­zug auf­zu­wen­den, son­dern sie auch hin­dern, zu der Art von ver­nunft­wid­ri­ger Pro­pa­gan­da zu grei­fen, die dem gan­zen demo­kra­ti­schen Ver­fah­ren Hohn spricht.
Schön wär’s .…

Doch dann tönt es wie­der um eini­ges rea­lis­ti­scher, wenn er schreibt:
Sol­che vor­beu­gen­de Gesetz­ge­bung könn­te eini­ges Gute tun; aber wenn die gro­ßen unper­sön­li­chen Kräf­te, die heu­te die Frei­heit bedro­hen, wei­ter­hin an Macht zuneh­men, kann sie das nicht auf sehr lan­ge Zeit,
- und in pro­phe­ti­scher Weit­sicht erkennt er, dass unter der Ein­wir­kung immer raf­fi­nier­te­rer psy­cho­lo­gi­scher Mani­pu­la­tio­nen die Demo­kra­tien ihr Wesen ver­än­dern; die wun­der­li­chen alt­mo­di­schen Gebräu­che – Wah­len, Par­la­men­te, Ver­fas­sungs­ge­richts­hö­fe und alles Übri­ge – wer­den blei­ben, aber die zugrun­de lie­gen­de Sub­stanz wird eine neue Art von gewalt­lo­sem Tota­li­ta­ris­mus sein. 
All die tra­di­tio­nel­len Namen, alle die gehei­lig­ten Losungs­wor­te wer­den genau die blei­ben, die sie in der guten alten Zeit waren. Demo­kra­tie und Frei­heit wer­den das The­ma jeder Rund­funk­sen­dung und jedes Leit­ar­ti­kels sein – aber Demo­kra­tie und Frei­heit in dem Sinn, den ihnen der Spre­cher oder Schrei­ber geben wird.

Die Erfül­lung die­ser Pro­phe­zei­ung kön­nen wir heu­te gera­de welt­weit live erleben.

Was lässt sich also laut Hux­ley tun? Dazu mehr in der kom­men­den Fol­ge am Sams­tag, den 15. Juni.

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