Erzie­hung zur Frei­heit” hat Hux­ley das zweit­letz­te Kapi­tel in sei­nem Buch “Wie­der­se­hen mit der schö­nen neu­en Welt” beti­telt. In den vor­her­ge­hen­den Kapi­teln “Pro­pa­gan­da in einer Demo­kra­tie, Pro­pa­gan­da unter einer Dik­ta­tur, Die Kunst des Ver­kau­fens, Gehirn­wä­sche, Che­mi­sche Beein­flus­sung, Unbe­wuss­te Beein­flus­sung, Hyp­no­pä­die” setz­te er sich mit den vie­len Prak­ti­ken aus­ein­an­der, mit denen unser Den­ken und Füh­len in einer bestimm­ten Absicht gesteu­ert wer­den soll, und er schloss das letz­te Kapi­tel mit den Fragen:
Ist indi­vi­du­el­le Frei­heit ver­ein­bar mit einem hohen Grad indi­vi­du­el­ler Sug­ges­ti­bi­li­tät? Kön­nen demo­kra­ti­sche Ein­rich­tun­gen den Umsturz von innen her über­le­ben, den geschick­te Gehirn­ma­ni­pu­lie­rer anstre­ben, wel­che in der Wis­sen­schaft und Kunst des Aus­beu­tens der Sug­ges­ti­bi­li­tät von Indi­vi­du­en eben­so wie von Volks­men­gen geübt sind? Bis zu wel­chem Aus­maß kann die ange­bo­re­ne Nei­gung, all­zu sug­ges­ti­bel zu sein, zum eige­nen Bes­ten und zum Bes­ten einer demo­kra­ti­schen Gesell­schaft durch Erzie­hung neu­tra­li­siert werden?

Sol­che Fra­gen — und ihre Beant­wor­tung — sind für eine funk­tio­nie­ren­de Demo­kra­tie von fun­da­men­ta­ler Bedeu­tung. Und eng mit der Tat­sa­che unse­rer Sug­ges­ti­bi­li­tät ist die Fra­ge nach dem “frei­en Wil­len” ver­knüpft. Haben wir über­haupt einen frei­en Wil­len? Wenn nicht, kön­nen wir eine “Erzie­hung zur Frei­heit” gleich vergessen …

Vie­le Neu­ro­bio­lo­gen behaup­te­ten und behaup­ten auch heu­te genau das. So domi­nier­te vor allem in den USA über Jahr­zehn­te hin­weg der von J.B Wat­son und B.F. Skin­ner ver­tre­te­ne Beha­vio­ris­mus, der das Ver­hal­ten des Men­schen ledig­lich als Pro­dukt sei­ner Umwelt betrach­tet:
Die viel­ge­rühm­ten schöp­fe­ri­schen Kräf­te des Men­schen, sei­ne Leis­tun­gen in der Kunst, der Wis­sen­schaft und der Ethik, sei­ne Fähig­keit, eine Wahl zu tref­fen, und unser Recht, ihn für die Fol­gen sei­ner Wahl ver­ant­wort­lich zu machen – nichts von alle­dem zeigt sich an dem neu­en, wis­sen­schaft­li­chen Selbst­bild­nis des Men­schen« (Skin­ner).
— was Hux­ley zu fol­gen­der sar­kas­ti­scher Bemer­kung veranlasste:
Mit einem Wort, Shake­speares Dra­men wur­den nicht von Shake­speare geschrie­ben, nicht ein­mal von Bacon oder dem Gra­fen von Oxford; sie wur­den vom eli­sa­be­tha­ni­schen Eng­land geschrieben.

Heu­te sind Gehirn­for­scher auf­grund bestimm­ter Expe­ri­men­te zum Schluss gekom­men, der freie Wil­le des Men­schen sei eine Illu­si­on. Eine bewuss­te Über­le­gung und Ent­schei­dung unse­rer­seits ent­ste­he erst, nach­dem neu­r­a­le Wei­chen­stel­lun­gen unter­halb unse­res Bewusst­seins zuvor fest­ge­legt hät­ten, was wir wäh­len wür­den. Wir sei­en ledig­lich “bio­che­mi­sche Mario­net­ten”, wie es der ame­ri­ka­ni­sche Neu­ro­wis­sen­schaft­ler Sam Har­ris plas­tisch for­mu­liert. Wer einen Blick auf die Expe­ri­men­te und die Gegen­ar­gu­men­te zu den Fol­ge­run­gen wer­den möch­te, fin­det hier einen guten Arti­kel dazu.

Gehen wir also davon aus, dass wir tat­säch­lich einen frei­en Wil­len haben — was impli­ziert, dass wir für unser Leben und unse­re Ent­schei­dun­gen voll ver­ant­wort­lich sind — , dass wir aber gleich­zei­tig Gefahr lau­fen, bei die­sen Ent­schei­dun­gen mani­pu­liert zu wer­den. Dann ist die Fra­ge, wie die­ser freie Wil­le, und damit unse­re inne­re Frei­heit, gestärkt wer­den kann, von emi­nen­ter Wich­tig­keit. Also, wie von Hux­ley gefor­dert, Erzie­hung zur Frei­heit — aber wie?

Erzie­hung zur Frei­heit muss mit dem Kon­sta­tie­ren von Tat­sa­chen und dem For­mu­lie­ren von Wer­ten begin­nen und muss dann geeig­ne­te Metho­den ent­wi­ckeln, die­se Wer­te zu errei­chen und die­je­ni­gen in Schach zu hal­ten, die, was immer ihre Grün­de sein mögen, die Tat­sa­chen unbe­ach­tet las­sen oder die Wer­te leug­nen, meint Hux­ley ein­lei­tend, und nimmt dann gleich Posi­ti­on gegen die in den 60-er Jah­ren domi­nie­ren­de beha­vio­ris­ti­sche Psychologie:
Die Sozi­al­ethik unter­stellt, die Erzie­hung sei von vor­ran­gi­ger Bedeu­tung für die Aus­bil­dung mensch­li­chen Ver­hal­tens, und die Natur­ver­an­la­gung – die psycho-phy­si­sche Aus­rüs­tung, mit wel­cher der ein­zel­ne Mensch gebo­ren wird – sei ein zu ver­nach­läs­si­gen­der Fak­tor. Ist das aber wahr? Ist es wahr, dass der Mensch nichts ande­res ist als das Pro­dukt sei­ner sozia­len Umwelt? Und wenn es nicht wahr ist, wel­che Recht­fer­ti­gung kann es für die Behaup­tung geben, das Indi­vi­du­um sei weni­ger wich­tig als die Grup­pe, von wel­cher es ein Glied ist?

Damit ist schon ein­mal geklärt, dass Hux­ley unter “Erzie­hung zur Frei­heit” nicht eine von aus­sen indu­zier­te Umpro­gram­mie­rung sozia­ler Kon­di­tio­nie­run­gen versteht.

Was also dann?

Dazu mehr in der nächs­ten Fol­ge am Sams­tag, den 8. Juni

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