Aldous Hux­ley hat sich in sei­nem “Wie­der­se­hen mit der Schö­nen Neu­en Welt” inten­siv mit den Mecha­nis­men der Pro­pa­gan­da aus­ein­an­der­ge­setzt, und sei­ne Ein­sich­ten kann man, wir wir noch sehen wer­den, eins zu eins auf die gesell­schaft­li­che Situa­ti­on heu­te anwenden.

Er ver­weist auf die Tat­sa­che, dass ratio­na­le Abhand­lun­gen in Natur­wis­sen­schaf­ten und in der Tech­nik als selbst­ver­ständ­lich gelten:
Sie legen dar, was, nach ihrem bes­ten Wis­sen, die Wahr­heit über irgend­ei­nen bestimm­ten Aspekt der Wirk­lich­keit ist, sie ver­wen­den die Ver­nunft zur Erklä­rung der von ihnen beob­ach­te­ten Tat­sa­chen, und sie stüt­zen ihre Ansicht durch Argu­men­te, wel­che sich an die Ver­nunft in ande­ren Men­schen wen­den. Das alles ist ziem­lich ein­fach auf den Gebie­ten der Phy­sik und Technik.
Auf den Gebie­ten der Poli­tik, der Reli­gi­on und der Ethik dage­gen ist dies weit­aus schwie­ri­ger. Hier ent­zie­hen sich uns oft die rele­van­ten Fak­ten. Was deren Aus­deu­tung betrifft, so hängt sie selbst­ver­ständ­lich von dem jewei­li­gen gedank­li­chen Sys­tem ab, inner­halb des­sen wir sie vornehmen. 

Die Dis­kus­si­on um den Krieg in der Ukrai­ne ist dafür ein ein­drück­li­ches Bei­spiel. Mei­nung prallt auf Mei­nung, Ana­ly­se steht gegen Ana­ly­se, — und das ist auch in Ord­nung und not­wen­dig: Hier kommt die vier­te Gewalt, die Medi­en, ins Spiel. Aber inzwi­schen sind sie zum hart umkämpf­ten Schlacht­feld im Kampf der Ideo­lo­gien gewor­den. “Lügen-” und “Main­stream-Pres­se” las­sen grüssen.

Obwohl Hux­ley die­se mög­li­che Ent­wick­lung schon vor­aus­sah, erblick­te er die Haupt­ge­fahr auf einer ande­ren Ebene:
Hin­sicht­lich der Pro­pa­gan­da sahen die frü­hen Vor­kämp­fer all­ge­mei­ner Alpha­be­ti­sie­rung und einer frei­en Pres­se nur zwei Mög­lich­kei­ten vor­aus: Die Pro­pa­gan­da könn­te wahr sein, oder sie könn­te falsch sein. Sie sahen nicht vor­aus, was tat­säch­lich, und vor allem in den west­li­chen, kapi­ta­lis­ti­schen Demo­kra­tien, gesche­hen ist – die Ent­wick­lung einer rie­si­gen Indus­trie der Mas­sen­kom­mu­ni­ka­ti­on, wel­che sich der Haupt­sa­che nach weder mit dem Wah­ren noch dem Fal­schen befasst, son­dern mit dem Unwirk­li­chen, dem mehr oder weni­ger Belang­lo­sen. Mit einem Wort, sie unter­lie­ßen es, die fast unbe­grenz­te Zer­streu­ungs­sucht der Men­schen zu berück­sich­ti­gen. “Brot und Zir­kus­spie­le” in einer moder­ni­sier­ten Variante.

Aber nicht ein­mal in Rom gab es etwas der unun­ter­bro­che­nen Zer­streu­ung Ver­gleich­ba­res, die heu­te von Zei­tun­gen und Maga­zi­nen, vom Rund­funk, vom Fern­se­hen und vom Kino gebo­ten wird. In Schö­ne neue Welt wer­den unun­ter­bro­che­ne Zer­streu­un­gen der fas­zi­nie­rends­ten Art (Fühl­fil­me, Rut­s­chi­put­schi, Zen­tri­fu­gal­brumm­ball) als Werk­zeu­ge der Poli­tik ver­wen­det, um die Leu­te davon abzu­hal­ten, den rea­len Gege­ben­hei­ten der sozia­len und poli­ti­schen Lage zu viel Auf­merk­sam­keit zu schen­ken. Die “Jen­seits­welt” der Reli­gi­on ist ver­schie­den von der “Jen­seits­welt” der Unter­hal­tung; aber sie ähneln ein­an­der dar­in, dass sie ganz ent­schie­den »nicht von die­ser Welt« sind. Bei­de sind sie Ablen­kung, und wenn man zu bestän­dig in ihnen lebt, kön­nen bei­de, wie Marx es aus­drück­te, »Opi­um für das Volk« wer­den, und somit zu einer Bedro­hung der Frei­heit. Nur die Wach­sa­men kön­nen sich ihre Frei­hei­ten bewah­ren, und nur die­je­ni­gen, die bestän­dig und ver­stän­dig zur Stel­le sind, kön­nen hof­fen, sich durch demo­kra­ti­sche Maß­nah­men wirk­lich selbst zu regie­ren. Einer Gesell­schaft, deren meis­te Ange­hö­ri­ge einen gro­ßen Teil ihrer Zeit nicht an Ort und Stel­le ver­brin­gen, nicht hier und heu­te und in der erre­chen­ba­ren Zukunft, son­dern irgend­wo anders, in den belang­lo­sen Jen­seits­wel­ten des Sports und der Musi­cals, der Mytho­lo­gie und meta­phy­si­schen Fan­ta­sie, wird es schwer­fal­len, den Ein­grif­fen der­je­ni­gen zu wider­ste­hen, die die­se Gesell­schaft mani­pu­lie­ren und gän­geln wollen.

Und im Hin­blick auf den Ein­satz der Medi­en für Pro­pa­gan­da in illi­be­ra­len poli­ti­schen Sys­te­men stellt er fest:
In ihrer Pro­pa­gan­da ver­las­sen sich die heu­ti­gen Dik­ta­to­ren größ­ten­teils aufs Wie­der­ho­len, Ver­schwei­gen und Ratio­na­li­sie­ren – das Wie­der­ho­len von Schlag­wor­ten, wel­che sie als wahr hin­ge­nom­men, das Ver­schwei­gen von Tat­sa­chen, wel­che sie unbe­ach­tet gelas­sen sehen wol­len, das Erwe­cken und Ratio­na­li­sie­ren von Lei­den­schaf­ten, wel­che zum Nut­zen der Par­tei oder des Staa­tes ver­wen­det wer­den können.
Wie aktu­ell die­se Ana­ly­se heu­te immer noch ist, dafür legt der ein­drück­li­che Arti­kel “9. Mai in Russ­land” der rus­si­schen Schrift­stel­le­rin Iri­na Rastor­gu­je­wa in der NZZ ein­drück­lich Zeug­nis ab.

Hux­ley schliesst mit der Vor­her­sa­ge: Sobald man sich auf die Kunst und Wis­sen­schaft der Mani­pu­la­ti­on bes­ser ver­ste­hen wird, wer­den die Dik­ta­to­ren der Zukunft zwei­fel­los ler­nen, die­se Metho­den mit den unauf­hör­li­chen Zer­streu­un­gen zu kom­bi­nie­ren, die im Wes­ten inzwi­schen in einem Meer von Belang­lo­sig­keit alles zu erträn­ken dro­hen, was als ratio­na­le Pro­pa­gan­da für die Bewah­rung indi­vi­du­el­ler Frei­heit und für das Bestehen demo­kra­ti­scher Ein­rich­tun­gen unent­behr­lich ist.

Wir blei­ben auch in der nächs­ten Fol­ge am Sams­tag, den 18. Mai bei die­sem Thema.

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