Hux­ley war als Zeit­zeu­ge sowohl mit dem Natio­nal­so­zia­lis­mus als auch dem Bol­schwis­mus stalin’scher Prä­gung kon­fron­tiert. Die Fra­ge, wie es Adolf Hit­ler gelun­gen war, ein gan­zes Volk auf einen eigent­li­chen “Todes­trip” ein­zu­schwö­ren, beschäf­tig­te ihn stark. Es war ihm klar, dass eine Ant­wort dar­auf ohne das Ver­ständ­nis des Phä­no­mens “Mas­se” nicht mög­lich war. Hit­ler war in Bezug auf die­ses Ver­ständ­nis ein Virtuose:
Als Red­ner ver­stand sich Hit­ler aus­ge­spro­chen gut auf sei­ne Sache. Er war, wie er selbst sagt, imstan­de, “sich von der brei­ten Mas­se immer so tra­gen zu las­sen, dass ihm dar­aus gefühls­mäs­sig gera­de die Wor­te flüs­sig wur­den, die er brauch­te, um sei­nen jewei­li­gen Zuhö­rern zu Her­zen zu sprechen.”
Otto Stras­ser nann­te ihn einen Laut­spre­cher, der die gehei­men Wün­sche, die unzu­läs­sigs­ten Instink­te, die Lei­den und per­sön­li­chen Rebel­lio­nen einer gan­ze Nati­on aus­ru­fe. Zwan­zig Jah­re, bevor die gros­sen Wer­be­agen­tu­ren sich auf “Moti­va­ti­ons­for­schung” ver­leg­ten, erforsch­te Hit­ler sys­te­ma­tisch die gehei­men Befürch­tun­gen und Hoff­nun­gen, die Begier­den, Ängs­te und Frus­tra­tio­nen der deut­schen Mas­sen und beu­te­te sie aus. (…)
»Die Mas­sen«, von denen er spricht, waren die­se ver­wirr­ten, frus­trier­ten und chro­nisch ängst­li­chen Mil­lio­nen. Um sie noch mehr mas­sen­gleich, noch ein­heit­li­cher unter­mensch­lich zu machen, ver­sam­mel­te er sie zu Tau­sen­den und Aber­tau­sen­den in rie­si­gen Sälen und Sport­sta­di­en, wo die Indi­vi­du­en ihre per­sön­li­che Iden­ti­tät, ja sogar ihr ele­men­ta­res Men­schen­tum ver­lie­ren und mit der Mas­se ver­schmel­zen konnten.

Gleich­zei­tig schrieb er in “Mein Kampf”, die Mas­sen sei­en völ­lig ver­ach­tens­wert. Sie sei­en unfä­hig, abs­trakt zu den­ken, und inter­es­sier­ten sich nicht für irgend­ei­ne Tat­sa­che aus­ser­halb des Krei­ses ihrer eige­nen Erfahrung.

Hux­ley ana­ly­sier­te mes­ser­scharf, was das eigent­li­che Wesen sol­cher “Mas­sen” ausmacht:
Grup­pen kön­nen so mora­lisch und intel­li­gent sein wie die Indi­vi­du­en, aus denen sie bestehen; eine Men­schen­men­ge ist chao­tisch, hat kein eige­nes Ziel und ist zu allem fähig, aus­ge­nom­men zu intel­li­gen­tem Han­deln und rea­lis­ti­schem Den­ken. Zu einer Men­ge ver­sam­melt, ver­lie­ren Men­schen die Fähig­keit, ver­nünf­tig zu den­ken und eine mora­li­sche Ent­schei­dung zu tref­fen. Ihre Beein­fluss­bar­keit wird bis zu dem Punkt gestei­gert, wo sie auf­hö­ren, irgend­ein eige­nes Urteil oder einen eige­nen Wil­len zu haben. Sie wer­den sehr erreg­bar, sie ver­lie­ren jedes Gefühl indi­vi­du­el­ler oder kol­lek­ti­ver Ver­ant­wort­lich­keit, sie sind plötz­li­chen Anfäl­len von Wut, Begeis­te­rung und Panik unter­wor­fen. Mit einem Wort, ein Mensch in einer Men­ge benimmt sich, als hät­te er eine gro­ße Dosis eines star­ken Rausch­mit­tels geschluckt. Er ist das Opfer des­sen, was ich »Her­den­ver­gif­tung« genannt habe. Gleich Alko­hol ist Her­den­gift eine aktiv extra­ver­tie­ren­de Dro­ge. Das mas­sen­be­rausch­te Indi­vi­du­um ent­weicht sei­ner Ver­ant­wort­lich­keit, Intel­li­genz und Sitt­lich­keit in eine Art rasen­der, ani­ma­li­scher Geistlosigkeit.

Span­nen­de Fra­ge, ob damit auch das Wesen des Kapi­tol­sturms vom 6. Janu­ar 2021 erfasst wird.

Kei­ne Fra­ge hin­ge­gen ist, dass die fol­gen­de Beschrei­bung sehr wohl auf Donald Trump zutrifft:
Der dem­ago­gi­sche Pro­pa­gan­dist muss … kon­se­quent dog­ma­tisch sein. Alles, was er behaup­tet, behaup­tet er unein­ge­schränkt. In sei­nem Welt­bild gibt es kein Grau; alles ist ent­we­der höl­lisch schwarz oder himm­lisch weiß. Mit Hit­lers Wor­ten aus­ge­drückt, soll­te der Pro­pa­gan­dist eine »grund­sätz­lich sub­jek­tiv ein­sei­ti­ge Stel­lung­nah­me zu jeder von ihm betrach­te­ten Fra­ge« haben. Er darf nie zuge­ben, dass er viel­leicht unrecht haben oder dass Leu­te mit ande­rem Gesichts­punkt auch nur teil­wei­se recht haben könn­ten. Mit Geg­nern sol­le man nicht argu­men­tie­ren; man sol­le sie angrei­fen, nie­der­schrei­en oder, wenn sie läs­tig wer­den, liqui­die­ren. Der mora­lisch zim­per­li­che Intel­lek­tu­el­le sei viel­leicht von so etwas scho­ckiert. Die Mas­sen aber »sehen zu allen Zei­ten im rück­sichts­lo­sen Angriff auf einen Wider­sa­cher den Beweis des eige­nen Rechts«.

Wir blei­ben auch am nächs­ten Sams­tag, den 25. Mai, bei die­sem Thema.

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