Während Anthro­polo­gen wie Took­er and New­man die Ein­flussthese auf­grund ihrer eige­nen anthro­pol­o­gis­chen Forschun­gen als unglaub­würdig zurück­wiesen, weil sie die geschichtlichen Hin­weise nicht kan­nten oder ein­fach über­sa­hen, grif­f­en andere Kri­tik­er zu hand­festeren Vor­wür­fen, die sich direkt gegen die Objek­te des Akademiker:innen-Streits richteten, — näm­lich die Haudenosaunee/Irokesen sel­ber.

So beze­ich­nete der Anthro­pologe James A. Clifton, Autor des Buch­es “Being and Becom­ing Indi­an” die These nicht nur als “bizarre Geschicht­sre­vi­sion”, son­dern insinuierte, die Res­o­lu­tion des US-Sen­ats sei lediglich das Resul­tat ein­er geschick­ten Lob­by für Indi­an­errechte gewe­sen:
Diese unglaublich ein­flussre­ichen Iroke­sen hat­ten es wieder getan, indem sie eine leicht­gläu­bige Öffentlichkeit mit Lügen über die Geschichte füt­terten. …  Clifton behauptete: “Es gibt nicht den ger­ing­sten objek­tiv­en Beweis für diesen poli­tis­chen Mythos” und schrieb die ganze Idee einem Haufen von Schreiber­lin­gen und Press­esprech­ern zu, die Indi­an­er in Pressemit­teilun­gen ver­pack­en und nüt­zliche poli­tis­che Fabeln erfind­en.
(sämtliche Auszüge aus Bruce E. Johansen, Debat­ing Democ­ra­cy)
All dies selb­stver­ständlich, ohne auch nur einen Blick die auf von Grinde und Johansen über Jahre zusam­menge­tra­ge­nen Quellen zu wer­fen.

Der Anthro­pologe James Axtell sein­er­seits ging davon aus,
dass die Iroke­sen und andere Ure­in­wohn­er solche Ideen nicht deshalb ver­trat­en, weil sie his­torisch gültig waren, son­dern einzig und allein, um sich nach europäis­chen poli­tis­chen Maßstäben zu definieren.
Anders gesagt: Nicht die europäis­chen Siedler liessen sich von den Iroke­sen bein­flussen, son­dern es war ger­ade umgekehrt. Sein­er Mei­n­ung nach hät­ten näm­lich die Iroke­sen Ideen aus der Ver­fas­sung der Vere­inigten Staat­en in das Grosse Friedens­ge­setz eingeschmuggelt, um sich wichtiger zu fühlen:
Der Ein­fluss wirk­te fast genau ent­ge­genge­set­zt zu der Art und Weise, wie diese Leute — also Grinde, Johansen und andere Befür­worter - argu­men­tieren …Wir haben die Indi­an­er nicht so sehr nachgeahmt, son­dern wir haben unseren Charak­ter gegen die Indi­an­er geformt, indem wir sie als Feinde bekämpft haben. Ich denke, es gibt nur eine sehr geringe intellek­tuelle Schuld gegenüber den Indi­an­ern. Sie [die Grün­der] ver­sucht­en, eine sehr europäisch geprägte Zivil­i­sa­tion in diesem Teil des Waldes aufzubauen.”

Dass die Hau­denosaunee ein Wis­sen um bes­timmte Ereignisse aus dem 18. Jahrhun­dert über Gen­er­a­tio­nen hin­weg bewahrt haben kön­nten, war für ihn undenkbar. Er schien davon auszuge­hen, dass nur ein weiss­er His­torik­er über die angemessene “pro­fes­sionelle und wis­senschaftliche Dis­tanz” ver­fügt, um nach der his­torischen Wahrheit zu suchen. Man möge sich nicht vorstellen, dass Axtell selb­st kul­turelle und ide­ol­o­gis­che Annah­men hat, die seine beson­dere Sicht der Geschichte prä­gen und bee­in­flussen. “Wis­sen Sie”, sagte Axtell …, “ich glaube, ich habe eine bessere Chance, die Wahrheit über diese Ver­fas­sungs­frage zu erfahren, weil … ich wed­er ein Nachkomme eines Grün­dungs­vaters [noch von] den Iroke­sen bin.” 

Auch wenn die Geg­n­er mit dem Wort “Ein­fluss” nicht viel anfan­gen kon­nten, es als wis­senschaftlich untauglich deklar­i­erten und nach “hand­festen Beweisen” ver­langten, weicht­en sich die Fron­ten nach jahre­lan­gen Diskus­sio­nen doch etwas auf. So war die Anthro­polo­gin Elis­a­beth Took­er immer­hin bere­it anzuerken­nen,
dass die “Mohawk”-Verkleidung, die bei der Boston Tea Par­ty ver­wen­det wurde, als Sym­bol für Frei­heit und amerikanis­che Iden­tität angenom­men wurde. Sie hat­te auch keine Ein­wände dage­gen, das Bün­del von dreizehn Pfeilen auf dem Siegel der Vere­inigten Staat­en auf Canas­sat­e­gos Rede von 1744 zurück­zuführen, in der er ein Bün­del von Pfeilen als Sym­bol für die Stärke der kon­föderierten Union ver­wen­dete. Das Prob­lem, so Took­er, sei, dass solche Sym­bole “nichts beweisen”, als ob rev­o­lu­tionäre Sym­bole willkür­lich aus­gewählt wür­den, ohne dass man sich wirk­lich Gedanken darüber mache, was sie darstellen.
Sie blieb bei ihrer These: Solche Ideen wie Frei­heit und Demokratie sind west­liche (europäis­che) Begriffe.

Kon­ter­ar­gu­ment von Johansen:
Wenn die Konzepte von Frei­heit und Demokratie so rein west­lichen Ursprungs sind, warum sind sie dann nach der Ent­deck­ung der Neuen Welt und ihrer Gesellschaften durch die Europäer aufge­blüht? Warum benutzten diesel­ben Europäer so oft das Bild der Indi­an­er, ins­beson­dere der Iroke­sen, als Beispiel für die Frei­heit, die sie so sehr schätzten, und warum ver­wen­de­ten sie so oft die Bilder der indi­an­is­chen Natio­nen in ihren Diskus­sio­nen über die Regierung?

Inzwis­chen hat die Posi­tion von Johansen/Grinde durch die Forschun­gen des Eth­nolo­gen David Grae­ber und des His­torik­ers David Wen­grow mas­sive Unter­stützung erhal­ten. Sie weisen nach, dass indi­genes Gedankengut sog­ar einen konkreten Ein­fluss auf die europäis­che Aufk­lärung hat­te.

Hören wir uns zum Schluss den kleinen geschichtlichen Exkurs zum The­ma von Oren Lyons an, dem inzwis­chen 92-jähri­gen “Faith­keep­er” des Schild­kröten-Clans, seit Jahrzehn­ten eine ein­drück­liche Stimme der Iroke­sen-Kon­föder­a­tion:

Etwas Englis­chken­nt­nisse sind vorteil­haft 😉

Die näch­ste Folge wie immer am kom­menden Don­ner­stag, den 23. März.

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