«Wer bin ich, wenn ich nicht mehr bin, der ich bin?»
Es war eine kalte Winternacht, als er allein auf der alten Holzbank in der Kirche sass. Der Raum war still, nur das sanfte Flackern der Kerzen erhellte die Dunkelheit.
«Wer bin ich, wenn ich nicht mehr bin, der ich bin?», dachte er verzweifelt. In den letzten Monaten hatte sich sein Leben auf den Kopf gestellt. Er hat seinen Job verloren, die langjährige Beziehung war zerbrochen, und alles, was ihm bisher Halt gegeben hatte, schien in sich zusammenzufallen. Er fühlte sich leer – als ob das, was ihn definiert hatte, plötzlich verschwunden war.
Vor kurzem war er noch der beruflich erfolgreiche Tausendsassa, genoss den gesellschaftlichen Status, alle fragten ihn bewundernd, wie er all seine vielen Engagements unter einen Hut bekäme: Aber wer war er jetzt, ohne all das, was ihm in den letzten Jahren Erfolg, Status und Identität verschaffte? Nun war er nicht mehr der erfolgreiche, der smarte Typ, der überall gut ankam, nicht mehr jener, der zu den wichtigen Diners, zu den wichtigen Empfängen und gediegenen Veranstaltungen eingeladen wurde…
«Bin ich noch ich?» Diese Frage liess ihn nicht los.
Während er dort sass und in die Stille horchte, entdeckte er eine Bibel neben sich auf der Kirchenbank. Jemand musste sie vergessen haben. Er öffnete das Buch und sein Blick fiel auf eine kleine Karte mit einem Vers aus dem Buch Jesaja, die als Buchzeichen diente: «Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst! Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.»
Er las die Worte mehrmals, als würde er versuchen, ihre Bedeutung zu begreifen: «Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.»
Mit einem Mal begannen die Worte in seinem Herzen zu leben. Nicht sein Erfolg oder Status, nicht seine gesellschaftliche Rolle oder irgendetwas von dem, was er erreicht hatte, war von Bedeutung, nicht seine Karriere oder sein Reichtum. Es war etwas Grösseres, Tieferes, Beständigeres, das seinen Wert beschrieb. Seine Identität war nicht an das gebunden, was er erreicht oder verloren hatte.
Er stand langsam auf. Die Kerzen brannten weiter, und draussen begann es zu schneien. Während er die Kirche verliess, hallten die Worte in seinen Gedanken nach: «Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst! Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.» (Jesaja 43.1)
Und er wusste: „Ich bin, weil er mich gerufen hat!»
Thomi Jourdan