Kurz vor Weihnachten in der Sekundarschule
„Das kannst du doch nicht machen“, meinte meine Frau. „Weihnachten ist das Fest der Freude, die Kinder sollen sich auf Weihnachten freuen können. Diese Geschichte wird sie traurig machen.“
Und meine Tochter doppelte nach: „Wenn du diese Geschichte mit deiner Klasse vor Weihnachten liest, werden sie alle depressiv. Bring etwas anderes. Etwas Fröhliches.“
Sie hatten ja recht. Die Geschichte ist sehr düster, aber eben auch eine Weihnachtsgeschichte. Im
Rahmen der Unterrichtseinheit „Kurzgeschichten“ wollte ich vor Weihnachten Wolfgang Borcherts „Die drei dunklen Könige“ mit meiner Klasse lesen. Die Geschichte spielt am Ende des Zweiten Weltkrieges, die Umgebung ist zerbombt, grau und besteht nur noch aus Ruinen, doch ein junges Ehepaar hat in dieser schlimmen Zeit Nachwuchs bekommen. Das Neugeborene ist das einzig Helle, Leuchtende, Lachende in dieser Umgebung. Da erscheinen drei zerlumpte Soldaten auf der Flucht oder auf der Heimkehr. Sie sind vom Krieg gezeichnet und wollen kurz rasten, bringen dem Kind einfache, selbstgemachte Geschenke. Nach kurzer Zeit gehen sie wieder. Wie eben in der Weihnachtsgeschichte.
Ich musste also umdisponieren. Was sollte ich tun? Ich überlegte mir andere Weihnachtsgeschichten, musste aber beschämt feststellen, dass ich diese an einer Hand abzählen konnte und die für den Unterricht eh nicht geeignet waren. So beschloss ich, die Klasse selbst zu fragen, was sie denn in den zwei, drei Stunden vor Weihnachten tun möchten. Keine einfache Sache bei fast so vielen Religionen wie Schülerinnen und Schüler.
„Wir wichteln!“, tönte es da plötzlich. Natürlich. Wieso war ich nicht selbst darauf gekommen? Wir legten den Höchstbetrag für die Geschenke fest (Fünf Franken) und ich bereitete die Auslosung vor. Jedes Kind sollte einen Namen ziehen, den aber für sich behalten und ein kleines Geschenk kaufen.
In der letzten Stunde vor Weihnachten verteilten wir die Geschenke, so dass niemand erfuhr, wer wessen Wichtel war, d.h. die Kinder mussten die Augen schliessen und die einzelnen Wichtel legten die Geschenke vor die Schülerinnen und Schüler. Danach wurden sie alle gleichzeitig geöffnet, und die vorher schon gute Stimmung wurde noch ausgelassener und fröhlicher. Niemand hatte eine traurige Geschichte lesen müssen, alle hatten etwas bekommen und waren glücklich und zufrieden.
Felix Jenny