Mar­i­anne Williamson gehört zu den her­aus­ra­gen­den Expo­nen­ten ein­er USA, die so ziem­lich das Gegen­teil des jet­zi­gen trau­ri­gen Zer­rbilds der ein­sti­gen “Sis­ter Repub­lic” der Schweiz ist. Sie kam im birsfaelder.li schon mehrfach zu Wort. Lei­der hat­ten ihre bei­den Kam­pag­nen für die amerikanis­che Präsi­dentschaft keine Chance. Hier fol­gt der lesenswerte let­zte Artikel ihres Blogs, in dem sie über die Beziehung zwis­chen Natur­wis­senschaft und Mys­tik reflek­tiert:

Die Unendlichkeit ist nur durch Liebe erträglich
Die ulti­ma­tive Schlussfol­gerung eines Wis­senschschaftlers.

Der Schwa­nen­nebel befind­et sich 5.500 Licht­jahre ent­fer­nt im Stern­bild Schütze. (Foto: NASA)

Vor vie­len Jahren stöberte ich in einem New-Age-Buch­laden in Los Ange­les namens „The Bod­hi Tree“. Als ich mir die Grußkarten ansah, fiel mein Blick auf ein Bild des Wel­traums, ein wun­der­schönes Pastell­panora­ma in Türkis, Rosa und Gelb, über­sät mit funkel­nden Ster­nen. So schön es auch war, sagte ich mir: „Das ist das Prob­lem mit New Age. Es macht alles zu schön. Unre­al­is­tisch.“

Jahre später wur­den einige neue Bilder veröf­fentlicht, die vom Hub­ble-Teleskop aufgenom­men wor­den waren. Was ich sah, waren Fotos des Wel­traums, die fast genau so aus­sa­hen wie die Grußkarte, die ich vor vie­len Jahren gese­hen hat­te. Beson­ders beein­druckt haben mich die Pastelltöne. Der Kün­stler war nicht „unre­al­is­tisch“ gewe­sen. Er oder sie war vorauss­chauend gewe­sen.

Die Wis­senschaft – ein­schließlich der Quan­ten­mechanik – wider­legt heute mys­tis­che Wahrheit­en nicht so sehr, als dass sie sie bestätigt. Zu sagen, dass Men­schen auf See­lenebene miteinan­der ver­bun­den bleiben, egal wo sie sich in Zeit und Raum befind­en, unter­schei­det sich nicht wesentlich von der The­o­rie der Quan­ten­ver­schränkung. Die Wis­senschaft gibt uns das Alpha­bet, aber die Sprache war bere­its vorhan­den. Wis­senschaft und Mys­tik ste­hen nicht so sehr im Wider­spruch zueinan­der, son­dern sind vielmehr längst ver­lorene Ver­wandte. Sie erk­lären sich gegen­seit­ig.

Ein inte­gra­tiv­er Leben­sansatz betra­chtet ver­schiedene Arten des Wis­sens nicht als wider­sprüch­lich, son­dern als kom­ple­men­tär. Dichter und Philosophen kön­nen uns heute einige der prak­tis­chsten Ratschläge geben. Es ist kein Zufall, dass Rumi, geboren 1207, und Mar­cus Aure­lius, geboren 121 n. Chr., so beliebt sind wie die Rock­stars von heute. Sie sprachen über die Wis­senschaft des Herzens und des Geistes, bevor es die Wis­senschaft, wie wir sie ken­nen, über­haupt gab. Bes­timmte Wahrheit­en lassen sich wis­senschaftlich nicht über­prüfen, aber sie verän­dern defin­i­tiv unser Leben.

Ich habe noch nie gehört, dass Mys­tik­er die Wis­senschaft her­ab­set­zen, aber ich höre oft, dass Anhänger der Wis­senschaft Mys­tik­er her­ab­set­zen. Wohlge­merkt, von Wis­senschaftlern selb­st höre ich solche Spot­täußerun­gen nicht. Ich hat­te ein­mal ein faszinieren­des Gespräch mit dem ver­stor­be­nen großen Carl Sagan, und wie die meis­ten reinen Math­e­matik­er oder fort­geschrit­te­nen Wis­senschaftler, denen ich begeg­net bin, wusste er zu viel, um die Vorstel­lung, dass das Leben mehr ist als das, was man mit bloßem Auge sehen kann, ein­fach abzu­tun. Er hat­te selb­st eine mys­tis­che Ader. „Für kleine Wesen wie uns“, sagte er, „ist die Uner­messlichkeit nur durch Liebe erträglich.“

Doch jet­zt, wo uns täglich außergewöhn­liche wis­senschaftliche Ent­deck­un­gen über Algo­rith­men und pop­uläre Nachricht­en­seit­en um die Ohren gehauen wer­den, sieht man fast immer Ein­schränkun­gen wie „Keine Sorge – das ist keine Mys­tik oder eso­ter­ische Philoso­phie“. Aber was meinen sie damit, „keine Sorge“? Was sie beschreiben, ist genau das, was Mys­tik oder eso­ter­ische Philoso­phie aus­macht, etwas, das jet­zt wis­senschaftlich bewiesen ist und von Mys­tik­ern in eini­gen Fällen schon vor Tausenden von Jahren intu­itiv erkan­nt wurde.

Es ist zu unserem Nachteil, wenn wir diese hochschul­mäßige Mis­sach­tung für Dinge, die wir nicht erk­lären kön­nen, nicht über­winden. Der Plan­et befind­et sich nicht in Schwierigkeit­en, weil es an wis­senschaftlichen Ent­deck­un­gen oder intellek­tuellen Think­tanks man­gelt. Er befind­et sich in Schwierigkeit­en auf­grund eines Man­gels an Ehrfurcht, Ethik und Herz. Wis­senschaftler haben beispiel­sweise deut­lich gemacht, dass das, was wir dem Ökosys­tem antun, zu einem total­en Zusam­men­bruch der Umwelt führen kön­nte. Das Prob­lem ist die See­len­losigkeit der­er, die die Macht haben, das Prob­lem zu beheben, denen es aber ein­fach egal ist. Es ist nicht der Kli­mawan­del, der uns umbringt, son­dern die Gier.

Wahre Genies sind klug genug, um zu wis­sen, dass es etwas gibt, das über sie selb­st hin­aus­ge­ht. Ich habe gele­sen, dass bei Steve Jobs’ Beerdi­gung jedem Teil­nehmer ein Exem­plar von „Die Auto­bi­ogra­phie eines Yogi“ geschenkt wurde. Es ist nicht bekan­nt, ob Ein­stein tat­säch­lich die Worte gesagt hat, die ihm oft zugeschrieben wer­den: „Je mehr ich über Physik weiß, desto mehr zieht es mich zur Meta­physik.“ Aber wir wis­sen, dass er Fol­gen­des gesagt hat: „Es gibt nur zwei Möglichkeit­en, sein Leben zu leben. Die eine ist, als ob nichts ein Wun­der wäre. Die andere ist, als ob alles ein Wun­der wäre.“

Nein, es sind nicht die wis­senschaftlichen Genies, die sich weigern, die Kraft des Nicht-Ratio­nalen anzuerken­nen, son­dern vielmehr die Ver­bre­it­er der Main­stream-Medi­en-Nar­ra­tive, die hier die Schuldigen sind, die intellek­tuell faule Elite, die allzu oft davon lebt, abfäl­lig zu sein. „Nicht-ratio­nal“ ist übri­gens ein ganz anderes Wort als „irra­tional“. In „A Course in Mir­a­cles“ heißt es: „Liebe stellt die Ver­nun­ft wieder her und nicht umgekehrt.“ Es wäre sicher­lich „ratio­nal“, wenn die Men­schheit aufhören würde, den Plan­eten zu zer­stören, find­en Sie nicht auch?

All dies wäre nicht so wichtig, hätte nicht die reflexar­tige Ver­ach­tung aller nicht-ratio­nalen Dinge einen so ein­schränk­enden Ein­fluss auf die Vorstel­lungskraft der Men­schen. Es gibt eine Schublade, und um in bes­timmten Kreisen in Ameri­ka ernst genom­men zu wer­den, sollte man bess­er darin bleiben. Das zwingt uns in unseren wichtig­sten Bere­ichen in eine intellek­tuelle Zwangs­jacke, die uns alle gefährdet.

Ich habe dies als ehe­ma­lige poli­tis­che Kan­di­datin erlebt. Fast täglich wurde mit Dreck auf mich gewor­fen, aber nichts war absur­der als „Sie ist anti-wis­senschaftlich!“ oder „Sie redet nur über Gefüh­le!“ oder „Sie ist völ­lig unqual­i­fiziert!“ Wirk­lich? Ich war qual­i­fiziert genug, um zu sehen, was kom­men würde, und um zu ver­ste­hen, was nötig war, um die Dinge zu ändern. Das tra­di­tionelle poli­tis­che Denken hat mir das nicht gesagt. Mein Herz tat es. Ver­dammt richtig, ich hat­te die Fähigkeit, Gefüh­le zu ver­ste­hen, und ich sah eine mas­sive Welle davon in Rich­tung Trump tendieren. Hätte ich mich vielle­icht „wis­senschaftlich­er“ aus­ge­drückt und gesagt: „Inkre­men­tal­is­mus übt nicht genug Kraft gegen die zunehmende Geschwindigkeit der emo­tionalen Welle aus“ …! Stattdessen sagte ich ein­fach, dass zu viele Men­schen lit­ten.

Monate später sagte mir ein hochrangiger Spender der Demokrat­en zu dieser Welle der Wut: „Wir dacht­en, wir kön­nten sie eindäm­men.” Aber kein spir­ituell informiert­er Denker wäre jemals so naiv gewe­sen zu glauben, dass Spenden­sam­meln die Macht hätte, das Böse abzuwen­den. Ein philosophis­ch­er Fil­ter ist kein min­der­w­er­tiger Fil­ter, und in vie­len Fällen ist er psy­chol­o­gisch sog­ar klüger. Das bedeutet nicht, dass man dumm ist, dass es einem an Intellekt man­gelt, dass man blind für wis­senschaftliche Wahrheit­en ist, dass man nie die Ver­fas­sung gele­sen hat oder dass man die Nachricht­en nicht ver­fol­gt. Es bedeutet ein­fach das, was die Wis­senschaft selb­st eines Tages beweisen wird: Wenn das Herz nicht der ulti­ma­tive Entschei­der ist, im Leben, in der Poli­tik oder in anderen Bere­ichen, dann steuern wir auf eine Katas­tro­phe zu.

Die Katas­tro­phe ist einge­treten. Und so wie nur die Liebe sie hätte abwen­den kön­nen, kann uns auch nur die Liebe daraus befreien. Die Men­schheit muss radikal umdenken – und neu starten –, wenn wir diesen kri­tis­chen Moment in unser­er Geschichte über­leben wollen. Die Wis­senschaft würde dem nicht wider­sprechen, aber sie hat keine Möglichkeit, uns zu ret­ten, wenn wir nicht bere­it sind, auf das zu hören, was sie zu sagen hat. Die Umweltwissenschaft beschreibt den Zusam­men­bruch, den Arten­ver­lust, die Vergif­tung der Atmo­sphäre. Es ist die Liebe, sowohl die engagierte als auch die lei­den­schaftliche, die dann sagen muss: „Ver­standen. Wir wer­den uns jet­zt ändern.“ Die Wis­senschaft erhellt unser Ver­ständ­nis; es ist die Liebe, die unser Leben ret­tet.

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