Die letz­ten Kapi­tel in Brup­ba­chers Auto­bio­gra­phie sind unter dem Titel “Wes­halb Hit­ler sieg­te” zusam­men­ge­fasst. Schon das Ver­sa­gen des inter­na­tio­na­len Pro­le­ta­ri­ats zu Beginn des 1. Welt­kriegs, als “der Ruf des Vater­lands” alle sozia­lis­ti­schen Paro­len dahin­schmel­zen liess wie Schnee an der Son­ne, liess Brup­ba­cher zutiefst ent­täuscht zurück. Nun hat­ten die Natio­nal­so­zia­lis­ten in Deutsch­land 1933 sowohl die KPD als auch die sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Kräf­te ohne nen­nens­wer­te Gegen­wehr aus­ge­schal­tet, und ein frus­trier­ter Brup­ba­cher ana­ly­sier­te scho­nungs­los und oft zynisch die Grün­de für die­ses Debakel.

So mein­te er: Das deut­sche Pro­le­ta­ri­at war zu schnell aus der feu­da­len Skla­ve­rei in die gross­in­dus­tri­el­le Skla­ve­rei hin­ein­ge­ra­ten und hat­te zu lan­ge die Revo­lu­ti­on in der Phan­ta­sie und als Sonn- und Fest­tags­zer­streu­ung erlebt. Es war mit jenem Jüng­ling zu ver­glei­chen, der so lan­ge den Geschlechts­akt in der Phan­ta­sie genos­sen, bis er kei­ne Lust mehr ver­spür­te zu einem wirk­li­chen Geschlechts­akt mit einer wirk­li­chen Frau …

Wie schon in der Schweiz beklag­te er das ver­bür­ger­lich­te Kar­rie­re­den­ken wei­ter Tei­le des Proletariats:
Sei­ne Ideo­lo­gie war patrio­tisch, sein Ide­al das Plüsch­so­fa, das eiche­ne Büf­fet und das Dop­pel­bett, der stu­die­ren­de Sohn oder der Sohn als Reich­tags­ab­ge­ord­ne­ter … Wie in jedem büro­kra­ti­schen Sys­tem kam man her­auf durch Krie­che­rei, und die­se Eigen­schaf­ten ent­wi­ckel­ten wei­te Schich­ten der Pro­le­ten. da man ja immer die Eigen­schaf­ten ent­wi­ckelt, mit denen man am  bes­ten sein Brot ver­dient. Das war eine schlech­te Vor­be­rei­tung zum Revolutionshelden.

Er kon­sta­tier­te, dass die wirt­schaft­li­che Kri­sen­si­tua­ti­on im Deutsch­land der Zwi­schen­kriegs­zeit gera­de das Gegen­teil einer revo­lu­tio­nä­ren Hal­tung bewirkte:
Die dro­hen­de Arbeits­lo­sig­keit mach­te die Arbei­ter­schich­ten, die noch Arbeit hat­ten, ängst­lich (…) Anstatt dass die Kri­se die Arbei­ter­aris­to­kra­tie links­ra­di­ka­li­siert hät­te, mach­te sie sie zu Krie­chern vor den Brot­her­ren. Die Soli­da­ri­tät, die gewach­sen war auf Basis des genos­sen­schaft­li­chen, gewerk­schaft­li­chen und poli­ti­schen Kamp­fes, mach­te … wie­der dem pri­mi­tivs­ten Ego­is­mus Platz.

Aus heu­ti­ger Sicht kuri­os mutet aller­dings die­se Ankla­ge an: Kino und Radio zer­stör­ten den letz­ten Rest von Eigen­den­ken und die frucht­ba­re Mus­se mit sich selbst. Die Schnel­lig­keit des Ablaufs der Kino­bil­der und der Radio­t­ö­ne ver­hin­der­te jede ver­stan­des­mäs­si­ge Kon­trol­le des Inhalts der beiden. 
Was hät­te er wohl zur heu­ti­gen media­len Über­flu­tung gesagt!?

Er ana­ly­sier­te die Moti­ve ins­be­son­de­re der Arbeits­lo­sen, sich in der KPD und schliess­lich in der NSDAP zu engagieren:
Angst war der Grund­af­fekt des­je­ni­gen, der noch Arbeit hat­te, Hass der Grund­af­fekt des­je­ni­gen, der län­ge­re Zeit erwerbs­los war. … Neid auf die­je­ni­gen, die noch Arbeit hat­ten. Hass gegen die gan­ze Welt erfüllt den, der län­ge­re Zeit arbeits­los ist. Und je län­ger er arbeits­los ist, in um so höhe­rem Gra­de ver­liert er die Hoff­nung, dass es ein­mal anders wer­de in die­ser Gesell­schaft, und um so mehr wird er all den Leh­ren zugäng­lich, die von einem neu­en Reich erzäh­len, von einem Reich, in dem auch er zu Brot und Ehre oder doch zu Ach­tung kommt.
Bevor Hit­ler kam, war die Sowjet­uni­on für gar vie­le eben dies Reich, in dem auch der ganz Ent­erb­te zu Brot und Ehre kam. Als Hit­ler sein Drit­tes Reich zu pro­pa­gie­ren begann, erstund dem Bol­sche­wis­mus in die­ser Schicht ein schwe­rer Kon­kur­rent. Die­se Schicht hat vor allem das Gefühl der Aus­weg­lo­sig­keit und der Hilf­lo­sig­keit. Sie sucht nach dem star­ken Mann, der für sie däch­te, sie führ­te, sie erlös­te. Da ihr eige­ner Ver­stand ihr kei­nen Aus­weg zeigt, sehnt sich ihre Los­ge­löst­heit nach einer Gemein­schaft und ihre Hilf­lo­sig­keit nach einem Füh­rer, der ihr den Weg zu Brot und Ach­tung wie­se und ihr Gele­gen­heit böte, ihren Hass aus­zu­le­ben. Er muss ihnen auch den Weg wei­sen zu den rich­ti­gen Sün­den­bö­cken, und die Mög­lich­keit geben, an die­sen Sün­den­bö­cken sich mög­lichst gefahr­los aus­zu­leben.

Dass die­se Sün­den­bö­cke nicht die Gross­ka­pi­ta­lis­ten waren, wis­sen wir inzwi­schen lei­der gut genug …

Noch schwe­re­re Ankla­gen rich­te­te Brup­ba­cher aller­dings gegen die bol­sche­wis­ti­sche Füh­rung, die jeg­li­che Eigen­in­itia­ti­ve sabo­tier­te und ein Kli­ma der Angst und Unter­wer­fung schuf:
Über­all wur­de der bewuss­te Revo­lu­tio­när durch den Golem ersetzt, durch eine künst­lich fabri­zier­te Füh­rer­gar­ni­tur, an der nur echt war der Wil­le, her­auf­zu­kom­men, und zu dem Zweck, nach oben zu katz­bu­ckeln und nach unten hin zu kom­man­die­ren und zum Kada­ver­ge­hor­sam anzu­hal­ten. Wäre unser Pro­le­ta­ri­at im Wes­ten gesun­der gewe­sen, es hät­te das Golem­ge­schmeiss zum Teu­fel gejagt und die Kom­in­tern an Haupt und Glie­dern refor­miert. Aber wir fan­den die­ses Pro­le­ta­ri­at nicht vor und des­halb sieg­ten Golem und Hitler. 

Scharf geis­sel­te er die kom­mu­nis­ti­sche Stra­te­gie des Kamp­fes, — weni­ger gegen die auf­stre­ben­den Natio­nal­so­zia­lis­ten als gegen die Sozialdemokraten.
 Man kam zum Schluss, dass nicht nur die rech­ten Sozi­al­de­mo­kra­ten Sozi­al­fa­schis­ten sei­en, son­dern dass vor allem die lin­ken Sozi­al­de­mo­kra­ten die Tod­fein­de der Revo­lu­ti­on sei­en. Der Kampf gegen die lin­ke S.P. und gegen die rech­ten Abwei­chun­gen in der K.P. wur­de als Haupt­kampf­ob­jekt bezeich­net. (…) So war­fen sich die gan­zen Affek­te der Pro­le­ten gegen­ein­an­der, anstatt sich gegen den Kapi­ta­lis­mus zu wen­den. Man beschimpf­te und ver­prü­gel­te sich gegenseitig. 

Wäh­rend der Faschis­mus mit Rie­sen­schrit­ten sei­nem Sieg zusteu­er­te, tob­ten inne­re Kämp­fe im Pro­le­ta­ri­at. Nach­dem die Kom­in­tern das mög­lichs­te getan, die Plüsch­so­fapro­le­ten und die Lum­pen­pro­le­ten gegen­ein­an­der auf­zu­het­zen …, stürz­te sie sich noch auf die Oppo­si­tio­nel­len in den eige­nen Rei­hen, die den Unsinn nicht mit­ma­chen konn­ten und sich gegen den Selbst­mord der Arbei­ter­schaft wehrten. 

Kurz­um: Eine illu­si­ons­lo­se­re und schär­fe­re Kri­tik ist kaum noch denk­bar. Was macht das mit den eige­nen Idea­len eines frei­heit­li­chen, revo­lu­tio­nä­ren Sozia­lis­mus, für den man jahr­zehn­te­lang gekämpft hat­te, — nur um schliess­lich vor einem rie­si­gen Scher­ben­hau­fen zu stehen?

Einer Ant­wort gehen wir in der nächs­ten Fol­ge wie immer

am kom­men­den Sams­tag, den 15. Okto­ber nach.

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