Blau­es und Weis­ses Haus

Blei­ben wir mit Cagli­os­tro noch etwas in Basel, bevor wir ihn durch Euro­pa beglei­ten. Der Bas­ler Kunst­his­to­ri­ker Dani­el Bur­ck­hardt-Werthe­mann ver­öf­fent­lich­te 1925 sein Buch “Häu­ser und Gestal­ten aus Basels Ver­gan­gen­heit”. Im Kapi­tel über die Geschich­te des Weis­sen Hau­ses am Rhein­sprung geht er auch auf die Bezie­hung zwi­schen Cagli­os­tro und Jakob Sara­sin ein. Sein Gast hielt sich zwi­schen 1781 und 1788 sechs­mal über län­ge­re Zeit bei ihm auf.

Der Autor stellt zuerst sei­ne Quel­len vor:
Was wir von Cagli­os­tro erzäh­len, grün­det sich zum Teil auf alte Fami­li­en­pa­pie­re, die auf einen Schwie­ger­sohn Jakob Sarasin’s zurück­ge­hen. Jakob Sara­sin selbst, sodann beson­ders Lava­ter, die Baro­nin v. Ober­kirch, die Frau von Bran­co­ni … und noch vie­le ande­re haben uns in ihren nur zum Teil gedruck­ten Lebens­er­in­ne­run­gen wert­vol­le Nach­rich­ten über den Gra­fen hin­ter­las­sen. Das Geheim­nis­vol­le in Cagli­ostros Wesen zu ent­hül­len, scheint aber dem mensch­li­chen Ver­stand und aller Gelehr­sam­keit unmög­lich zu sein.
Jakob Sara­sin und der Graf führ­ten einen inten­si­ven Brief­wech­sel mit­ein­an­der, aber einer sei­ner Söh­ne hat die Doku­men­te nach dem Tod des Vaters ver­nich­tet, so dass eine wei­te­re wert­vol­le Quel­le lei­der für immer ver­lo­ren gegan­gen ist.

Las­sen wir also Dani­el Bur­ck­hardt sprechen:
Cagli­os­tro wohn­te im ers­ten Stock nach dem Hofe hin; sein gros­ses, saal­ar­ti­ges Labo­ra­to­ri­um, das heu­te eine Gedenk­ta­fel an den merk­wür­di­gen Fremd­ling schmückt, lag eine Trep­pe höher …
Das Bas­ler Volk sah im Gra­fen wohl nur den berühm­ten Wund­arzt, nicht den Seher, den Pro­phe­ten. … Wenn der Wun­der­mann dro­ben im Weis­sen Haus sei­ne Sprech­stun­den für Kran­ke hielt, ging’s am Rhein­sprung und in der Augus­ti­ner­gas­se nicht weni­ger bunt her als damals bei Kai­ser Josephs Besuch. Ein Hono­rar nahm Cagli­os­tro nie, und so war denn — nach der Schil­de­rung eines Augen­zeu­gen — der Zulauf der Kran­ken, die man in Kut­schen, Kar­ren und Bau­ern­wa­gen aus allen Orten her­bei­ge­bracht, so gross, dass man fast nicht ans das Saras­in­sche Haus her­an­kom­men konn­te; vie­len hat der Graf wirk­lich geholfen.

Auf des Ver­fas­sers Schreib­tisch liegt eine Art von “Geschäfts­an­zei­ge” Cagli­ostros. Auf geschmack­vol­le Art in der ers­ten Dru­cke­rei von Basel, der Haas’schen, her­ge­stellt, ent­hält sie nicht das gerings­te, was irgend­wie quack­sal­ber­mäs­sig oder markt­schreie­risch klän­ge; im Gegen­teil trägt das Blatt Grund­sät­ze vor, die jeden ernst­haf­te­ren Arzt zie­ren würden:
Der Graf von Cagli­os­tro macht es sich zur Pflicht, nie­mals, weder schrift­lich noch münd­lich, über abwe­sen­de Kran­ke ein Urteil abzu­ge­ben; nie­mals wird er für Kran­ke, die er nicht sel­ber gese­hen, eine Arz­nei ver­schrei­ben und noch weni­ger eine sol­che ver­schi­cken. … Die über­wie­gen­de Mehr­zahl der leib­li­chen Krank­hei­ten erfor­dert den unaus­ge­setz­ten per­sön­li­chen Ver­kehr zwi­schen dem Arzt und dem Pati­en­ten, schon allein, weil die Wir­kung der Arz­nei­en sorg­sam zu beob­ach­ten ist. …

Das tönt tat­säch­lich nicht nach Quack­sal­be­rei. Wer die gan­ze aus­führ­li­che Anzei­ge lesen möch­te, fin­det sie hier.

Ein Notiz­buch Sara­sins mit Rezep­ten von Cagli­os­tro hat sich erhal­ten. Hier das­je­ni­ge für “l’Eau Magis­tra­le”. Die Zube­rei­tung der 37 teils exo­ti­schen Zuta­ten mit­tels meh­re­rer Destil­la­ti­ons­vor­gän­ge war komplex.
Sara­sin hielt fest:
Tugen­den die­ses Eli­xiers: Bei Gang­rä­nen und allen Arten von Wun­den tra­ge man es mit einem fei­nen Lei­nen­stoff (»lin­ge fin d’homme«) auf die betrof­fe­ne Stel­le auf. Man gebe einen Trop­fen davon in die ent­zün­de­ten und kran­ken Augen. Man nimmt davon zehn Trop­fen in Weiß­wein bei Harn­grieß, Harn­stein oder Harn­ver­hal­tung. Bei Hämor­rhoi­den und Fis­teln trägt man es mit einem Lei­nen­stoff auf. Bei Gebär­mut­ter­schmer­zen trinkt man ein bis zwei Drach­men 62 in Bouil­lon. Bei Käl­te­schmer­zen und bei ner­vö­sen Leiden.

Doch hören wir Dani­el Bur­ck­hardt wei­ter zu:
Die Tisch­ge­sprä­che Cagli­ostros waren in den 1780er Jah­ren ein Ereig­nis in der Welt der Gebil­de­ten und “Auf­ge­klär­ten” … Der Ver­fas­ser gibt im Fol­gen­den einem ehe­ma­li­gen Tisch­ge­nos­sen Cagli­ostros das Wort:
Ich konn­te den Gra­fen nur ganz ver­stoh­len anbli­cken; trotz mei­nem inne­ren Wider­stre­ben und Zwei­feln mach­te mir sein Gesicht gleich einen tie­fen Ein­druck. Sei­ne Spra­che war eigen­tüm­lich, ein Misch­masch von Fran­zö­sisch und Ita­lie­nisch. Oft rede­te er auch zun­gen­fer­tig gan­ze Sät­ze in einer frem­den Spra­che. Man sag­te mir, es wäre Ara­bisch. Er gab sich nicht die Mühe, sei­ne Wor­te zu über­set­zen. Nie­mand rede­te bei Tisch aus­ser ihm. Er plau­der­te über etwa zwan­zig ver­schie­de­ne Gegen­stän­de; sprung­wei­se ging er jewei­len zu einem neu­en Gesprächs­stoff über, sobald sei­ne Mit­tei­lun­gen eine Wen­dung nah­men, die ihm ver­fäng­lich zu wer­den schien. … Sobald er einen neu­en Gesprächs­stoff in Angriff nahm, erschien er wie ver­zückt, wie hin­ge­ris­sen. Er erhob dann sei­ne Stim­me und mach­te ein­drucks­vol­le Gebär­den. Plötz­lich konn­te er wie­der ganz lei­se wer­den und flüs­ternd an einen der Tisch­ge­nos­sen ein die­sen per­sön­lich berüh­ren­des Wort richten …

Selt­sam und unge­wohnt waren die Gegen­stän­de von Cagli­ostros Tisch­re­den; aber die andäch­tig lau­schen­den Bas­ler und Bas­le­rin­nen wer­den wohl trotz­dem dabei nach alter Väter Wei­se eine Mie­ne auf­ge­setzt haben, als ob sie tag­täg­lich der­ar­ti­ge geis­ti­ge Kost vor­ge­setzt erhiel­ten; man kann sich die­se Tisch­run­de so gut vorstellen! …

In sei­ner “Geschäfts­an­zei­ge” hat­te es Cagli­os­tro beteu­ert, wie er nur eins im Auge habe: “Das Heil der Mensch­heit”; ein hohes Ziel, das er nicht bloss mit sei­nen leib­li­chen Hei­lun­gen zu errei­chen gedach­te; er hielt sich viel­mehr auch für beru­fen, im höhe­ren, im sitt­li­chen Sin­ne der Mensch­heit zum Heil zu die­nen. Dazu rich­te­te er sei­ne ganz abson­der­li­chen “reli­giö­sen” Ver­samm­lun­gen ein, die unter dem Namen “ägyp­ti­sche Loge” bekannt gewor­den sind.

Bur­ck­hardt greift hier einen Aspekt in der Tätig­keit Cagli­ostros auf, der für die­sen im Zen­trum sei­nes Wir­kens stand, näm­lich nicht mehr und nicht weni­ger als eine Gene­ral­re­for­ma­ti­on der Frei­mau­re­rei, die sich damals rasch in ganz Euro­pa aus­ge­brei­tet hat­te, — sehr zum Ver­druss der katho­li­schen Kir­che, wel­che die Frei­mau­re­rei als eine gott­lo­se Kon­kur­renz zu ihren eige­nen Heils­ver­spre­chen betrach­te­te und sie des­halb mas­siv bekämpfte.

Es gilt des­halb, in der nächs­ten Fol­ge wenigs­tens einen klei­nen Blick auf das Frei­mau­rer­tum zu wer­fen, bevor wir uns wie­der Cagli­os­tro zuwen­den kön­nen. Dies wie immer

am kom­men­den Sams­tag, den 10. Juli

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