Nach­dem wir bis jetzt immer über die Sicht der Schu­le und der Lehr­per­so­nen berich­tet haben, wech­seln wir für ein­mal die Perspektive.
Die Schu­le wird noch wei­ter­hin, bis am 10. Mai 2020 geschlos­sen sein.
Und so ist wei­ter­hin auch bei unse­rer Gast­au­torin, einer jun­gen Frau mit zwei Kin­dern und einem Mann, für bei­de Home­of­fice ange­sagt. Der Klei­ne und die Gros­se wer­den zuhau­se in der Regel mit Namen ange­spro­chen, in die­sem Text dient dies der Anonymisierung …

»Fern­schu­le mit Home­of­fice sieht dann etwa so aus:

Mor­gens 8:00, der Klei­ne weckt uns. Ach schon so spät, aus­schla­fen ist schön, aber jetzt schnell das Zmor­ge bereit­stel­len und die Gros­se wecken. Wäh­rend des­sen kurz auf den Arbeits­plan der Schu­le sehen — was müs­sen wir heu­te noch erle­di­gen? Ja, Mathe haben wir noch eini­ges, Deutsch hat sie bereits alles erle­digt, dann noch das Video mit den Seil­spring-Tricks auf­neh­men, das müs­sen wir heu­te an den Leh­rer sen­den und die Ton­lei­ter auf der Posau­ne üben, die­se Vide­os müs­sen auch heu­te noch ver­schickt wer­den. Gut, der Klei­ne hat sei­ne Kin­der­gar­ten­blät­ter fast alle bereits gelöst, aus­ma­len wäre noch, aber das mag er nicht son­der­lich. Also übt er erst mal sei­ne Ver­se, die sei­ne Leh­re­rin per Sprach­nach­richt ver­sen­det hat und er so zum Glück allei­ne üben kann. Die Gros­se kommt nur lang­sam vor­wärts und braucht Hil­fe bei den Auf­ga­ben. Der Klei­ne ist fer­tig, Zeit zum Aus­ma­len und  Kle­ben der Papier-Oster­ei­er. Mathe noch immer nicht fer­tig, die dop­pel­te Zeit die ange­ge­ben wur­de, ist bereits auf­ge­braucht. Also noch­mals mit ihr zusam­men hin­set­zen, erklä­ren, hel­fen, Stra­te­gien fin­den. Die Kon­zen­tra­ti­on ist bei bei­den weg, also mal ein Znü­ni machen. Die Schul­glo­cke ertönt (zum Glück war ich sel­ber mal in die­sem Schul­haus und kann die Melo­die nach­träl­lern), ich schi­cke sie spas­ses­hal­ber in den „Znü­ni-Kreis“ auf den Bal­kon. Pau­se. Papa kommt aus dem Büro raus (er hat­te schon vor Coro­na ein Home­of­fice, wir ken­nen das schon) und trinkt mit uns einen Kaf­fee. Dann mal das Seil­sprin­gen üben. Der Klei­ne kann da gera­de mit­ma­chen, aber ein gutes Video hin­zu­be­kom­men, ist schwie­ri­ger als gedacht. Bei­de aus der Pus­te, also ver­schie­ben wir das auf spä­ter. Oh ja, ich muss mal das Gemü­se für die Wäie rüs­ten, da kann ich einen Hel­fer gebrau­chen. Dem Klei­nen alles bereit­le­gen, der Gros­sen neue Anwei­sun­gen geben. Jetzt wird es aber zu laut, Papa ist noch an einem wich­ti­gen Tele­fon und wir müs­sen lei­ser sein! Die Gros­se schafft es nicht allei­ne, also geb ich ihr die Hand­ar­beit zum Fer­tig­stel­len, sie sol­len ein Insekt sti­cken, da kommt sie allei­ne klar. Rüs­ten, Ofen vor­wär­men, Guss machen. Ach ja, die Ton­lei­ter! Schi­cke die Gros­se zum Posau­ne üben und will kurz mei­ner Schwie­ger­mut­ter und einer Freun­din zurück­ru­fen, woll­te ich ges­tern schon. Rede­be­darf bei bei­den, das Allei­ne­sein schlägt auf die Ner­ven. Der Klei­ne beschäf­tigt sich mit sei­ner Hör­box, die Gros­se sitzt auf dem Bett und liest…. So was, das aber nicht gedacht. Also zusam­men die Ton­hö­he fin­den, sonst ist sie beim letz­ten C wie­der viel zu tief. Jetzt wäre der Opi ganz prak­tisch, der sich mit den Blas­in­stru­men­ten aus­kennt. Also face­timen wir kurz. Der Ofen piepst. Essen! Nach der Mit­tags­pau­se dann also noch­mals ran an ein wei­te­res Video für den Musik­leh­rer. „Probier’s doch ein­mal ohne zu lachen, ich woll­te eigent­lich am Nach­mit­tag nicht noch­mals Schu­le machen. So haben wir noch ewig!“ Mer­ke, wie mei­ne Ner­ven etwas nach­las­sen. Kann doch nicht so schwer sein, die­se Ton­lei­ter. „Üb du mal, ich muss kurz mei­ne Mails che­cken.” Wenigs­tens die Wich­tigs­ten zu beant­wor­ten war mein Plan, heu­te hät­te ich näm­lich auch Home­of­fice. Kei­ne Chan­ce. Dem Klei­nen ist lang­wei­lig, der Gros­sen tun in Lip­pen weh. Den­noch ein­mal ein Video der Ton­lei­ter auf­neh­men, wie­der zu tief, noch eins. Das geht. Noch das Seil­sprin­gen auf­neh­men. Also schi­cken wir mal die Vide­os den Leh­rern raus. Jetzt muss ich unbe­dingt ein­mal mei­ne Mails beant­wor­ten, die Kin­der müs­sen mal sel­ber was machen. Streit, Geschrei. Also muss Papa eine Pau­se machen. Wollt ihr in den Hof raus zum Spie­len? Geht nicht, die Nach­bars­kin­der sind bereits auf dem Tram­po­lin und im Sand­kas­ten. Also dürft ihr einen kur­zen Trick­film auf dem iPad schau­en. Ruhe und end­lich Zeit die Mails zu bear­bei­ten. Geht dann doch län­ger als gedacht, wer­de nicht fer­tig, mer­ke aber, dass die bei­den schon zu lan­ge vor der Glot­ze sit­zen. Ja dann, wol­len wir mit den Velos der Birs ent­lang? Wenig Begeis­te­rung. Aus­to­ben muss aber noch sein. Also dann doch los Rich­tung Birs, eben ohne Velos. Lust hat nie­mand aber Hun­ger. Also zurück nach Hau­se. Das Zvie­ri wäre ja schon durch, daher nur was Klei­nes auf den Tel­ler und gleich nach­se­hen was es zum Znacht geben könn­te. Papa kommt etwas frus­triert zum Büro raus, muss erst mal eine Pau­se haben. Die Küche sieht aber noch immer so aus wie um 9 Uhr mor­gens. “Äääämt­li, Geschirr­spü­ler und Tisch decken!!!“ Die Kin­der fin­den mich ganz doof, heu­te wäre ja Omio­pi-Tag und da haben sie kei­ne Ämt­li. Das Kochen über­nimmt mein Mann, essen, auf­räu­men. Was jetzt? Eine Run­de Mono­po­ly. Dem Klei­nen stinkst, weil er sein gan­zes Geld ver­schwen­det hat also bre­chen wir ab. Ist ja auch schon Zubett­geh-Zeit. Müde ist noch kei­ner, also geht das Pro­ze­de­re län­ger als sonst und die Dis­kus­si­on wer heu­te bei wem schla­fen darf endet in Streit. Also jeder in sei­nem Zim­mer. Ja du darfst noch lesen, ja du kannst die Hör­box anstel­len. Puh, Sofa-Zeit für mich. Whats­App beant­wor­ten. Ohje, woll­te ja noch das Licht bei den Kin­dern abstel­len und sehen was die Müdig­keit macht. Hal­be Stun­de spä­ter, sie schla­fen. Ich müss­te mal ins Home­of­fice, aber um die­se Zeit kann ich nicht mehr tele­fo­nie­ren und der Bild­schirm macht mich nur wie­der wach. Also doch zu mei­nem Mann auf Sofa um sich aus­zu­tau­schen: Arbeit, Coro­na, 10 vor 10 schau­en und eine Dis­kus­si­on betref­fend der Hand­ha­bung mit den Nach­bars­kin­dern und ob wir unse­re noch draus­sen im Hof spie­len las­sen dür­fen. Auf bei­den Sei­ten ein Nein, auch wenn’s schwer wird für unse­re Kin­der. Bleibt für heu­te: ein schlech­tes Gewis­sen, weil ich nichts für die Arbeit gemacht habe, das Gefühl nichts Rich­ti­ges mit den Kin­dern gespielt zu haben, meh­re­re To Do’s für mor­gen und die Nach­rich­ten an Fami­lie und Freun­de „ich mel­de mich mor­gen“.  Und was lehrt es mich? Ich soll­te mei­ne Ansprü­che etwas mini­mie­ren um auch zufrie­den sein zu kön­nen, wenn nicht alles wie geplant erle­digt wer­den konn­te. Und ich soll­te den Kin­dern unbe­dingt die Vor­tei­le der Lan­ge­wei­le leh­ren um ihre Krea­ti­vi­tät und Selbst­stän­dig­keit zu fördern …«

 

Ein Staatsvertrag wird geboren
17 Wilhelm Tell findet zu sich selbst

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