Schau­en wir uns also ein­mal das wah­re Chris­ten­tum à la Matu­s­sek etwas genau­er an. Er demons­triert es anhand von diver­sen Para­beln und Ereig­nis­sen, wie sie in den Evan­ge­li­en geschil­dert werden:

1. Jesus war ein lupen­rei­ner Kapitalist!
Beweis? Hier ist er:
“In sei­nen Lehr­bei­spie­len wäre auch für einen Anti­ka­pi­ta­lis­ten ver­dammt zu oft von Geld die Rede. Ja, sie schei­nen alle aus der Wirt­schaft ent­lehnt, ob es um die Ent­loh­nung im Wein­berg geht, um die Freu­de über die Ent­de­ckung der ver­lo­ren geglaub­ten Drach­me oder um jene Erzäh­lung des ver­rei­sen­den Herrn, der sei­nen Die­nern Kapi­tal in abge­stuf­ter Grös­se hinterlässt.”
Kapiert!?: Drach­men — Kapi­tal — klingelingeling 🙂 !!
“Nach sei­ner Rück­kehr kann ihm der­je­ni­ge sei­ner Die­ner, dem er fünf Talen­te hin­ter­las­sen hat, stolz ver­mel­den, dass er sein Kapi­tal ver­dop­pelt hat. Eben­so der­je­ni­ge, dem er zwei Talen­te anver­trau­te. Den armen letz­ten Die­ner jedoch, der das ihm anver­trau­te eine Talent aus Angst vor Räu­bern ver­gra­ben hat, will er in die Fins­ter­nis wer­fen las­sen, dort­hin, wo Heu­len und Zäh­ne­knir­schen herrschen.
Kann es einen bes­se­ren Beleg dafür geben, dass Jesus für gesun­des Wirt­schaf­ten, ja bei höhe­ren Ein­sät­zen sogar für gewinn­brin­gen­de Spe­ku­la­ti­on zu haben war?”

Im Juden­tum gibt es die Tra­di­ti­on, dass jede Bibel­stel­le auf vier ver­schie­de­nen Ver­ständ­nis­ebe­nen gele­sen wer­den kann. Gott­sei­dank hat uns Matu­s­sek von solch absur­den Vor­stel­lun­gen befreit: Jesus hat ganz ein­fach als aller­ers­ter unse­ren moder­nen Invest­ment­ban­kern grü­nes Licht und mora­li­sche Unter­stüt­zung für ihre Geschäf­te gegeben 😉 !

2. Jesus hat Sym­pa­thie und Ver­ständ­nis für Share­hol­der Value und Gewinnmaximierung!
“Und wie­viel Sym­pa­thie er auf­bringt für den rei­chen Jüng­ling, der ihn fragt, wie er das ewi­ge Leben gewin­nen kann! Jesus ant­wor­tet: “Was fragst du mich nach dem, was gut ist? Gott ist nur der Eine. Willst du aber zum Leben ein­ge­hen, so hal­te die Gebo­te”. … Da sprach der Jüng­ling zu ihm: “Das habe ich alles gehal­ten; was fehlt mir noch?” Jesus sprach zu ihm: “Willst du voll­kom­men sein, so geh hin, ver­kau­fe, was du hast, und gib’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Him­mel haben; und komm und fol­ge mir nach!” Da der Jüng­ling das Wort hör­te, ging er betrübt davon; denn er hat­te vie­le Güter.”

Matu­s­sek: “Jesus hat Ver­ständ­nis für mensch­li­che Schwä­chen. Er spricht nir­gends von Enteignung.”

Der Jüng­ling ent­schied also, dass ihm sei­ne Güter wich­ti­ger waren als die Nach­fol­ge. Das war sein gutes Recht, und Jesus wäre sicher der Letz­te gewe­sen, die von Gott gege­be­ne Frei­heit jedes Men­schen anzu­tas­ten. Aber wie kommt Matu­s­sek dar­auf, dass es in die­ser Para­bel um “Ent­eig­nung” gehen soll!?

Haben all die Kirch­ge­mein­den und christ­li­chen Grup­pie­run­gen, die eine Unter­stüt­zung der KVI als sinn­voll fan­den, je im Traum dar­an gedacht, Glen­core, Syn­gen­ta, Hol­cim und Nest­lé zu enteignen!?

Irgend­wo im Text fin­det sich die rhe­to­ri­sche Fra­ge: “Ist die Berg­pre­digt das “Kom­mu­nis­ti­sche Manifest”?

Für Matu­s­sek ist das “Kom­mu­nis­ti­sche Mani­fest” offen­sicht­lich der leib­haf­ti­ge “Gott-sei-bei-uns”!
So wahr es ist, dass die meis­ten Früch­te des Mani­fests sich tat­säch­lich als ver­gif­tet erwie­sen, so wahr ist es auch, dass das Mani­fest damals ein Auf­schrei war gegen den bru­ta­len und mör­de­ri­schen Früh­ka­pi­ta­lis­mus, für eine sozi­al gerech­te Gesell­schaft ohne Aus­beu­tung. Es war die Schwä­che und der Feh­ler des real exis­tie­ren­den Chris­ten­tums, das den Auf­stieg kom­mu­nis­ti­scher Ideen über­haupt ermöglichte.

Die enga­gier­ten Kirch­ge­mein­den und christ­li­chen Grup­pie­run­gen haben die­se Lek­ti­on begrif­fen, — und des­halb gebührt ihnen statt der Matussek’schen Wat­sche ein ganz gros­ses Dan­ke­schön,  — ganz sicher auch von Jesus ;-)!

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P.S. Wer das vor vie­len Jah­ren auch schon begrif­fen hat­te, war Leon­hard Ragaz, Pro­fes­sor für Sys­te­ma­ti­sche und Prak­ti­sche Theo­lo­gie an der Theo­lo­gi­schen Fakul­tät der Uni­ver­si­tät Zürich und Mit­be­grün­der der reli­gi­ös-sozia­len Bewe­gung in der Schweiz, zusam­men mit sei­ner Frau Cla­ra Ragaz-Nadig.

“Leit­be­griff für Ragaz’ Ethik war das Reich Got­tes. Es sei zwar „nicht von die­ser Welt“ (Johan­nes 18,36), aber eine Ver­hei­ßung für die­se Welt. Wir Men­schen sei­en auf­ge­ru­fen, ihm den Weg zu berei­ten. Ragaz schreibt dazu in sei­nem Bibel­werk: „Schon das Kom­men des Rei­ches ist auch Sache des Men­schen. Es ist gerüs­tet, es wird ange­bo­ten, aber es kommt nicht, wenn nicht Men­schen da sind, die dar­auf war­ten, die dar­um bit­ten, die für sein Kom­men arbei­ten, kämp­fen, leiden.“ …
Sei­ne The­se von der Ver­wirk­li­chung des Rei­ches Got­tes durch den Sozia­lis­mus hielt er ein­mal in den fol­gen­den Wor­ten fest: „Wir beken­nen uns zu einem reli­giö­sen Sozia­lis­mus, das heißt zu einem Sozia­lis­mus, der in der Bot­schaft vom Rei­che Got­tes, in der Got­tes­kind­schaft und Bru­der­schaft, der gegen­sei­ti­gen Ver­ant­wort­lich­keit (nament­lich der Stär­ke­ren für die Schwä­che­ren), der Absa­ge an den Mam­mo­nis­mus, dem Glau­ben an den leben­di­gen Gott und Chris­tus und sein gekom­me­nes und kom­men­des Reich begrün­det und ver­wur­zelt ist.“ Und wei­ter: „Das Got­tes­reich Jesu Chris­ti … schließt unter ande­rem den tiefs­ten und völ­ligs­ten Sozia­lis­mus ein, der sich den­ken läßt. Die­sen Punkt ver­tre­ten wir fest gegen jeden Wider­spruch. Gegen ihn wird auch am meis­ten Wider­spruch erho­ben.“ (aus Wikipedia)

Wie sich Ragaz zum Mar­xis­mus und dem Kom­mu­nis­ti­schen Mani­fest stell­te, wird dem­nächst noch in einem eige­nen Arti­kel erörtert.

Tür.li 10 (2020)
War das nun Lüge oder Unwahrheit?

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