Brup­bach­ers “Ide­al­is­tis­ch­er Sozial­is­mus” fand in den Parteivorstän­den kein Ver­ständ­nis. Diese Ablehnung beant­wortete er mit ein­er ätzen­den Beschrei­bung des “Politikanten”-Typus:
Diese meine Anschau­un­gen stießen auf den heftig­sten Wider­stand bei den Poli­tikan­ten. Es war das gar nicht so unbe­grei­flich, wie man heute denken wird. Die Poli­tikan­ten hat­ten Angst, daß die Arbeit­er klüger wür­den als sie sel­ber, wenn man sie so geistig entwick­le, hat­ten Angst, daß die Arbeit­er zu aktiv wür­den, und es gefiel ihnen ganz und gar nicht, daß ich die Arbeit­er zum Denken und Sel­ber­denken und zur Frei­heit erziehen wollte, und es bildete sich eine eigentliche Ver­schwörung der Gew­erkschaftssekretäre und der Poli­tikan­ten gegen mich …
Die Poli­tikan­ten aller Parteien has­sen am meis­ten all die, die sich vor ihnen nicht rest­los beu­gen. Es macht über­haupt das Zen­trum des Poli­tikan­ten aus, herrschen zu wollen, sei er nun ein sozialdemokratis­ch­er, ein kom­mu­nis­tis­ch­er, ein bürg­er­lich­er oder auch ein syn­dikalis­tis­ch­er oder anar­chis­tis­ch­er Poli­tikant. Denn alle, sog­ar die antipoli­tis­chen Poli­tikan­ten, sind verkappte Machtlustige. Kein­er von all diesen Men­schen will, daß sein Klient sel­ber denke — das ist die aller­schlimm­ste Eigen­schaft, die ein Klient nach Ansicht der Poli­tikan­ten haben kann.

Weil die Durch­schnittsklien­ten der Poli­tik­er aber ganz froh sind, daß sie nicht sel­ber denken müssen, so wird der Poli­tikant immer wieder Meis­ter wer­den. Das soll uns nicht hin­dern, zu ver­suchen, dem Men­schen Anleitung zum got­t­losen, das heißt herrschaft­slosen Denken zu geben. (alle Zitate: Brup­bach­er, Ket­zer)
(Inter­es­sant, wie Brup­bach­er — ganz der dama­li­gen sozial­is­tis­chen Welt­sicht hörig — in der Gle­ich­set­zung Gott = Herrschaft befan­gen war)

Als eigen­ständig denk­ender Men­sch hat­te er auch grösste Mühe mit all jenen, die Karl Marx in einen Hal­b­gott ver­wan­delt hat­ten:
Nun war aber der Name von Marx so etwas Heiliges für die Arbeit­er­schaft oder doch für große Teile der Arbeit­er­schaft, daß das bloße Angreifen oder Nicht-ganz-ein­ver­standen-sein mit ihm eine Art Gottes­lästerung bedeutete.
Unter dem Stich­wort “Die marx­is­tis­chen Wurst­maschi­nen” machte er sich über den Typus des eng­stirni­gen Marx-Anbeters lustig:
… Ihr Typus war mein Fre­und Broschürow­itsch, den wir so nan­nten, weil bei ihm aus jed­er Rock­tasche eine Broschüre, und natür­liche eine marx­is­tis­che Broschüre, her­auss­chaute. In die Hirne dieser Arbeit­er war eine Art Wurst­mas­chine hineinge­baut, Marke Marx nach Kaut­sky. Wenn man nun oben irgen­deine Tat­sache hinein­warf, kam unten diese Tat­sache marx­is­tisch formiert wieder her­aus. Die Leute hat­ten einen Apperzep­tion­sap­pa­rat, das heißt ein Ein­trittsloch an der Wurst­mas­chine, das nur marx­is­tis­che Wörter passieren ließ. Tat­sachen, die nicht marx­is­tisch aus­ge­drückt waren, ganz gewöhn­liche Tat­sachen, wie sie Natur und Gesellschaft liefern, ver­stun­den die armen Knaben nicht. Man mußte, wollte man ihnen etwas klar­ma­chen, zuerst alle Tat­sachen in marx­is­tis­che Wörter über­set­zen. Sie begrif­f­en alles erst, wenn es in diese Sprache über­set­zt war.
Da es nun aber Dinge gab, über die Marx nicht einge­hend geschrieben hat­te — und das waren ger­ade die Details psy­chol­o­gis­ch­er Art —, wo also eine marx­is­tis­che Aus­druck­sweise noch nicht bestund —, so wur­den diese Marx­pro­fes­soren wütend und behaupteten, man habe Marx ange­grif­f­en oder sei kein Marx­ist, und in ihren Hir­nen bedeutete das ebenso­viel wie Bürg­er oder Anar­chist oder son­st etwas ganz Schreck­lich­es. …

Da ihnen aber ihre Hirn­wurst­mas­chine sehr teuer war — ihre Her­stel­lung hat­te viel­er Nächte Arbeit gekostet —, so hiel­ten sie sehr viel auf dieser Wurst­mas­chine und ver­achteten und bekämpften alle andern Arten, etwas zu denken oder auszu­drück­en. Ich habe oft darüber nachgedacht, ob es nicht einen Zusam­men­hang gäbe zwis­chen dieser ins Arbeit­er­hirn einge­baut­en Wurst­mas­chine und der Pas­siv­ität des deutschen Pro­le­tari­ats, wie sie sich gezeigt hat, als der deutsche Faschis­mus sich der poli­tis­chen Macht in Deutsch­land ohne Wider­stand bemächtigte, und bin zum Schluß gekom­men, daß dies der Fall sei.

Wohler fühlte sich Brup­bach­er in der konkreten, hand­festen Gew­erkschaft­sar­beit. Abge­se­hen von sein­er Ref­er­enten­tätigkeit im Kampf um bessere Löhne und Arbeit­szeitverkürzung set­zte er sich zum Ziel, Arbeit­er sel­ber zu Ref­er­enten auszu­bilden:
Machte im Laufe der Zeit Ref­er­entenkurse für Gew­erkschafter, in denen ich den Arbeit­er sel­ber die Geschichte sein­er wichtig­sten Streiks nach den Quellen darstellen ließ. Da mich das Ganze sehr ergriff, so hat­ten die Leute Zutrauen zu mir, und während ver­schieden­er Jahre ging, was Funk­tionär der Gew­erkschaften wer­den wollte, durch diese Kurse hin­durch. Ich sel­ber hielt nie Reden in den Kursen. Leit­ete vor allem an, die Mate­ri­alien zu find­en und sie dann auch wirk­lich zusam­men­zustellen.

Sein offen­er Geist führte ihn — zusam­men mit Lydia Petrow­na — auch an Orte, die vom Klassenkampf so weit ent­fer­nt waren wie nur möglich, z.B. 1907 auf den Monte Ver­ità bei Ascona, der sich vor dem ersten Weltkrieg zu einem Anziehungspunkt für “alter­na­tive Geis­ter” entwick­elt hat­te. Zwar machte sich Brup­bach­er auch dies­mal über “die Haupt­stadt der psy­chopathis­chen Inter­na­tionale” lustig, fand aber den Mit­be­grün­der, den “Naturheili­ge­na­pos­tel” Hen­ri Oedenkoven dur­chaus in Ord­nung und kon­nte offen­sichtlich eini­gen Aspek­ten der natur­na­hen Lebensweise auf dem Berg Pos­i­tives abgewin­nen, wenn er schrieb:
Oedenkoven sel­ber habe ich wenig gekan­nt. Er war nur ein paar Tage mit uns zusam­men. Aber auch er machte mir einen sehr guten Ein­druck. All diese Leute haben vieles vor­weggenom­men von dem, was später Mode gewor­den ist. Sie haben die Sonne zu ein­er Zeit ent­deckt, wo die Aerzte ihr kaum Aufmerk­samkeit schenk­ten ; lange, bevor Rol­lier die Son­nenkuren ein­führte, kul­tivierten sie schon die Naturheili­gen. Lange, bevor die ärztliche Wis­senschaft die Bedeu­tung der Rohkost auch nur disku­tierte, macht­en sie Rohkostkuren. Auch das Wass­er ist erst durch die Naturheili­gen recht zur Gel­tung gekom­men. Oedenkovens haben sich auch um die Rhyth­mik geküm­mert, bevor ihr offizieller Tag gekom­men war.

Dass er und Petrow­na es ihrer­seits nicht so mit Rohkostkuren hat­ten, zeigt zum Abschluss seine amüsante Schilderung eines “Fehltritts”, bei dem sie ertappt wur­den:
… Schön war es auf alle Fälle, daß man zum Aben­dessen nicht in Lackschuhen und im Smok­ing zu erscheinen hat­te. Es genügte die Bade­hose. Weniger schön schien es uns, daß wir für unsere 7 Franken pro Tag und Per­son nichts anderes beka­men als Hasel‑, Baum- und Paranüsse und rohes Obst. Auch noch eine Art Brot. Durch Schmuggel­dien­ste eines Sekretärs gelang es uns, Milch und Eier zu bekom­men, was son­st bei Strafe der Ausweisung ver­boten war. Wir gin­gen sog­ar Fleisch holen in die Stadt, bis uns ein­mal der veg­e­to-ortho­doxe Peters­burg­er Pro­fes­sor Wojekoff beim Kochen von «Leichen­fraß» über­raschte und uns ern­sthaft zus­prach. Diejeni­gen, die als brav gel­ten und doch auf Fis­che und Fleisch nicht verzicht­en woll­ten, für die gab es in einem Restau­rant im Dorf eine im ersten Stock gele­gene heim­liche Fisch- und Fleis­ch­pen­sion, wo man guten Nos­tra­nowein kriegte.

Ger­ade weil Brup­bach­er eine “rev­o­lu­tionäre” Ehe führte und seine Frau deswe­gen nur sel­ten sah, waren für ihn Fre­und­schaften wichtig. Ihnen ist die näch­ste Folge

am Sam­stag, den 23. April  gewid­met.

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Die Reichsidee 37
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