Die beiden Konzepte Kants von der Natur als mechanischer Apparat, den wir mit Physik und Chemie immer vertiefter entschlüsseln können, und von der Natur als nützliches Reservoir für unsere Bedürfnisse hängen zusammen, weil wir die gewonnenen wissenschaftlichen Resultate dazu verwenden können, um für uns nützliche Güter herzustellen:
Demnach sind insbesondere die Erfindungen von Maschinen eine Kunst, durch die wir die Natur selbst für unsere Zwecke gleichsam “arbeiten” lassen. Sie sind “Kunstwerke”, die die natürlichen Kausalprozesse so wirken lassen, dass durch sie für uns nützliche Güter entstehen. (…) Die Natur gilt so als das scheinbar unerschöpfliche Reservoir von an sich wertlosen Dingen und Kräften, die wir, qua Technik, für unsere Zwecke wirken lassen. Dieses Naturverständnis ist unter dem Begriff der “Naturbeherrschung” zusammengefasst worden.
(Sämtliche Auszüge aus Alexander von Pechmann, Die Eigentumsfrage im 21. Jahrhundert)
Immanuel Kant erkannte aber schon damals, dass noch ein entscheidende Aspekt in der Naturbetrachtung fehlt, nämlich die Natur als dynamisches System im Gleichgewicht, und versuchte es mit folgendem Beispiel zu illustrieren:
Die gewächsfressenden Tiere sind da, um den üppigen Wuchs des Pflanzenreichs, wodurch viele Spezies derselben erstickt werden würden, zu mässigen; die Raubtiere, um der Gefrässigkeit jener Grenzen zu setzen; endlich der Mensch, damit, indem er diese verfolgt und vermindert, ein gewisses Gleichgewicht unter den hervorbringenden und den zerstörenden Kräften der Natur gestiftet werde.
Mit der Erkenntnis, dass die Natur auch als ein sich organisierendes und erhaltendes System gedacht werden müsse, wurde er zu einem Vorläufer der Wissenschaft der Ökologie:
Im 19. Jahrhundert entstand die Ökologie, welche die Wechselwirkungen von Organismen mit ihrer Umwelt untersuchte. Im Zentrum standen dabei die Wechselwirkungen einzelner Organismen oder Arten mit ihrer Umwelt, die dynamischen Beziehungen zwischen unterschiedlichen Populationen, sowie das Netz der Interaktionen innerhalb eines biologischen oder Ökosystems.
Ein Quantensprung im Verständnis solcher dynamischer Beziehungen und Interaktionen war die Entwicklung der sog. Chaostheorie, mit der dynamische Systeme im Übergang von “Chaos und Ordnung” in computergestützten Modellen mathematisch beschreibbar gemacht werden sollen.
Sie geht dabei grundsätzlich und methodisch davon aus, dass die Ordnungssysteme nicht allein durch das Verhalten der Teile bestimmt sind, sondern dass umgekehrt auch der Zustand des Gesamtsystems das Verhalten seiner Teile bestimmt, sich das System also in Abhängigkeit von seinem Zustand selber organisiert.
So entwickelte sich die Vorstellung , dass die Erde, bzw. deren Oberfläche insgesamt als ein hochkomplexes dynamisches System im Gleichgewicht verstanden werden muss. Nach ihr wirken die unterschiedlichen Sphären, die Litho‑, Hydro‑, Atmo- und Biosphäre, ein einer Weise zusammen, dass Ereignisse oder Änderungen nicht nur Auswirkungen im lokalen Bereich, sondern unter Umständen auch auf das Gesamtsystem haben.
Ein eindrückliches Beispiel dafür haben wir im Kreislauf des Meerwassers, der durch die Temperaturdifferenz zwischen den Erdpolen und dem Äquator angetrieben wird und sowohl regionale Klimata und regionale Ökosysteme erzeugt.
Solche Kreisläufe verbinden die nur vermeintlich selbständigen Sphären des Wassers, der Luft, der Erde und des Lebens zu einem Ganzen, in dem sie sich wechselseitig bedingen.
Wir erleben heute gerade, wie sich dieser Kreislauf wegen der Klimaerwärmung zu verändern beginnt, und vielleicht dämmert uns, dass die “lineare Strecke” der heutigen massiven Güterproduktion immer stärker in Konflikt mit dem dynamischen Gleichgewicht der Erde gerät.
Dazu mehr in der nächsten Folge am Freitag, den 13. Januar
(Der birsfaelder.li-Schreiberling nimmt sich bis zum Ende der Schulweihnachtsferien eine Auszeit, wenigstens fast …)
P.S. Der Spiegel hat soeben einen eindrücklichen Artikel zum Thema Kreislauf / Kipppunkte veröffentlicht.
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