Im Kapitel “Gott und die Welt” geht Griffiths der Frage nach, in welcher Beziehung Gott und die Welt in den verschiedenen Religionen stehen, und leitet das Kapitel so ein:
Das Ziel dieser Arbeit ist es, die neue Vision der Realität nachzuzeichnen, die sich heute abzeichnet, und wir betrachten das Christentum im Kontext der modernen Physik und Psychologie einerseits und der östlichen Mystik andererseits. Es ist an dieser Stelle angebracht, sich daran zu erinnern, was bisher festgestellt wurde. Wir haben gesehen, dass in der modernen Physik das Universum als ein Feld von Energien aufgefasst wird, das von einer organisierenden Kraft strukturiert wird, und dass dieses Feld von Energien als ein “dynamisches Netz von voneinander abhängigen Beziehungen” beschrieben wird. Alles ist voneinander abhängig und bildet ein komplexes Netzwerk, in dem das Ganze in jedem Teil vorhanden ist. Das Ganze kann nicht aus den Teilen erklärt werden, noch können die Teile getrennt vom Ganzen verstanden werden. Wir haben es also mit einer integrierten Einheit zu tun, die das gesamte physische Universum und auch das gesamte psychologische Universum umfasst, denn wir wissen jetzt, dass der Geist nicht mehr von der Materie getrennt werden kann.
Adieu Descartes mit seiner res cogitans und res extensa 😉
Dies wird durch das neue Verständnis des Ursprungs des Universums in dem, was als Urknall bezeichnet wird, veranschaulicht. Jene große Explosion von Materie/Energie, mit der unser Universum vor etwa fünfzehntausend Millionen Jahren begann, “enthielt” irgendwie das ganze, was später folgte. Der englische Physiker David Bohm spricht, wie wir gesehen haben, von der impliziten Ordnung. Er behauptet, dass das, was wir wahrnehmen, die Explikation oder Entfaltung dessen ist, was ursprünglich impliziert war. Was über Tausende von Millionen von Jahren geschehen ist, war eine allmähliche Entfaltung zunächst des materiellen Universums, dann des Lebens und schließlich des Bewusstseins. Auf irgendeine Weise war unser Bewusstsein bereits in dieser großen ursprünglichen Explosion der Materie enthalten, impliziert.
Gerade der letzte Satz wäre von den Naturwissenschaftlern vor Albert Einstein und der Quantenphysik als hanebüchener Unsinn zurückgewiesen worden. Mit seiner berühmten Formel E = mc2 ist allerdings klar, dass das, was wir als Materie erleben, lediglich tiefschwingende Energie ist, die unsere Sinne als “fest” interpretieren. Die einfache Umwandlung der Formel in m = E/c2 macht das sofort einleuchtend. Die Quantenphysik ihrerseits hat bewiesen, dass das Bewusstsein des/der Forschenden auf der subatomaren Ebene direkten Einfluss auf das Ergebnis der Experimente hat.
Diese Erkenntnisse schlagen sich inzwischen in Dutzenden von Buchtiteln nieder, die sich mit der Beziehung Kosmos und Bewusstsein auseinandersetzen. Eine kleine Auswahl gefällig? Bitte:
Sich auf die Forschungen von Ken Wilber beziehend fährt Griffiths fort:
Die zeitgenössische Psychologie hat dies aufgegriffen und erforscht die Komplexität des menschlichen Bewusstseins. Es wird erkannt, dass das rationale Bewusstsein, mit dem wir das Universum beobachten und unsere Physik entwickeln, selbst nur eine Stufe in der Evolution des Bewusstseins ist. .… Es ist auch möglich, wie wir vor allem aus der östlichen mystischen Erfahrung wissen, über die gegenwärtige Bewusstseinsebene hinaus zum Überbewusstsein zu gehen. … Ken Wilber spricht vom Spektrum des Bewusstseins, wie er es nennt, vom Urbewusstsein, in dem es eine einfache Identifikation mit dem Körper gibt, bis zum überbewussten höchsten Zustand, in dem es ein Erreichen des totalen Seins im totalen Bewusstsein gibt. Das ist die Ansicht, die sich in der heutigen Wissenschaft abzeichnet.
Es gibt heute insbesondere in jenen Kreisen, die das Heil in einer möglichst raschen Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI) suchen, die Ansicht, dass sich die Menschheit nur mit Hilfe der KI — oder sogar mit deren Kombination mit dem menschlichen Gehirn — weiterentwickeln kann. Man spricht dann vom Posthumanismus.
Eine noch extremere Position vertritt der Transhumanismus, in dem es letztlich um die Ablösung des Menschen durch seine eigene KI-Kreation geht. Der Philosoph Richard David Precht hat zu diesem Thema ein höchst bedenkenswertes Buch geschrieben Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens, in dem er die technokratischen Träume aus dem Silicon Valley radikal hinterfragt.
Das tut auch David Griffiths, indem er aufzeigt, wie sich die tiefen Einsichten in den Schöpfungsprozess im Hinduismus, Buddhismus, Islam — und ja, auch im Judentum und Christentum — mit den neuesten Erkenntnissen der Physik sehr wohl vereinbaren lassen. Und vor allem: dass unser eigenes Bewusstsein unendlich entwicklungsfähig ist, sobald wir es wagen, den letzten unbekannten Kontinent — nämlich in uns selber — zu erforschen.
Dazu mehr am kommenden Freitag, den 16. Juni
Alle Religionen, Künste und Wissenschaften sind Zweige desselben Baumes.
Albert Einstein
An anderen Serien interessiert?
Wilhelm Tell / Ignaz Troxler / Heiner Koechlin / Simone Weil / Gustav Meyrink / Narrengeschichten / Bede Griffiths / Graf Cagliostro /Salina Raurica / Die Weltwoche und Donald Trump / Die Weltwoche und der Klimawandel / Die Weltwoche und der liebe Gott /Lebendige Birs / Aus meiner Fotoküche / Die Schweiz in Europa /Die Reichsidee /Vogesen / Aus meiner Bücherkiste / Ralph Waldo Emerson / Fritz Brupbacher / A Basic Call to Consciousness / Leonhard Ragaz