Nach­dem wir uns in der let­zten Folge etwas mit der Sicht Bede Grif­fiths auf Jeshua ben Joseph / Jesus Chris­tus ver­traut macht­en und seine Kri­tik an den real existieren­den Reli­gio­nen zur Ken­nt­nis nah­men, wollen wir der inter­es­san­ten Frage nachge­hen, worin denn das ver­bor­gene Geheim­nis beste­ht, das im Herzen aller Reli­gio­nen liegt.

Richard Hoop­er hil­ft uns in der Ein­leitung zu seinem Buch “Jesus, Bud­dha, Krish­na, Lao Tzu. The Par­al­lel Say­ings” auf die Spur, wenn er schreibt:
Die Geschichte besagt, dass Sid­dhartha Gau­ta­ma — der his­torische Bud­dha — nach sein­er Erleuch­tung die Straße ent­lang­ging, als er einen Mitreisenden traf. Der andere Mann nahm eine große Ausstrahlung wahr, die von Sid­dhartha aus­ging, und anstatt zu fra­gen: “Wer bist du?”, fragte er: “Bist du ein Gott oder ein göt­tlich­es Wesen?” “Nein”, antwortete der Bud­dha. “Bist du ein Schamane oder ein Zauber­er?” “Nein”, antwortete der Bud­dha. “Bist du ein Men­sch?” Wieder antwortete der Bud­dha: “Nein.” “Nun, dann”, fragte der Mann, “was bist du?” Der Bud­dha antwortete: “Ich bin wach.” Und in der Tat, das ist es, was “Bud­dha” bedeutet: ein­er, der erwacht ist.

Laut den Evan­gelien des Neuen Tes­ta­ments geschah im Fall von Jesus genau das Gle­iche. Sid­dhartha wurde von Mara, dem Bösen, ver­sucht, und als er den Sieg über alle Ver­suchun­gen erlangte, “erwachte” er augen­blick­lich. Die Geschichte von der Ver­suchung Jesu in der Wüste ist fast eine Kopie der Bud­dha-Leg­ende. Jesus war wie der Bud­dha siegre­ich über alle Ver­suchun­gen, die ihm von “Satan” vorgelegt wur­den, und im Moment seines Sieges war er völ­lig verän­dert. Als er am Meere­sufer ent­lang­ging, sahen die Fis­ch­er sein Strahlen, ließen ihre Net­ze fall­en und fol­gten ihm. Als er durch Wei­den und Felder ging, ließen die Bauern ihre Pflüge los und fol­gten ihm.

Wir wachen jeden Mor­gen nach einem mehr oder weniger erhol­samen Schlaf auf, und sind dann erwacht. Meinen wir wenig­stens. Ein­er der umstrit­ten­sten und faszinierend­sten spir­ituellen Lehrer des 20. Jahrhun­derts, Georges I. Gur­d­j­eff, war da allerd­ings völ­lig ander­er Mei­n­ung. Er behauptete, dass der grösste Teil der Men­schheit im Grunde ein auto­maten­haftes Leben führen würde:
Immer das gle­iche “Kopfki­no”, die gle­ichen (Vor)urteile, die gle­ichen emo­tionalen Reak­tio­nen auf Ereignisse in unserem Leben!

Wenn wir radikal ehrlich mit uns sel­ber sind, kön­nen wir diesem harschen Urteil einen gewis­sen Wahrheits­ge­halt wohl kaum absprechen …

Worin bestand denn diese “Wach­heit” bei Bud­dha und Jesus? Hoop­er:
Wie bei Bud­dha wusste jed­er, der Jesus begeg­nete, dass er kein gewöhn­lich­er Men­sch war. Was machte diese bei­den Män­ner beson­ders? Zum einen besaßen sie bei­de eine tiefe Weisheit. Aber ihre Weisheit war anders als die ander­er, denn sie kam nicht aus intellek­tuellem Denken, son­dern aus dem direk­ten Bewusst­sein des Absoluten. Jesus und der Bud­dha waren Mys­tik­er. Ihre Lehren tru­gen das Gewicht von Autorität, weil sie aus der Quelle des Seins selb­st kamen. Ihre per­sön­liche Weisheit war nicht das Ergeb­nis von religiösem Glauben oder Glauben, son­dern kam von einem Ort der Gno­sis — des Wis­sens. Sowohl Jesus als auch der Bud­dha waren an “die Quelle” angeschlossen.

Da tauchen gle­ich zwei Wörter auf, die oft ablehnende Reak­tio­nen her­vor­rufen: “Mys­tik” und “Gno­sis”. Die junge entste­hende christliche Kirche tat alles, um gnos­tis­che christliche Schriften radikal auszurot­ten, und mit welchem Mis­strauen “Mys­tik­er” von den Kirchen über die Jahrhun­derte beäugt wur­den, davon zeu­gen die Lebens­geschicht­en von Meis­ter Eck­hart, Jakob Böhme, Hans Denck oder Sebas­t­ian Franck  , — um wenig­stens einige zu nen­nen.

Die bei­den Begriffe sind nicht zu tren­nen. “Gno­sis” wird mit “Wis­sen” über­set­zt, aber es han­delt sich dabei nicht um ein intellek­tuelles Kopfwis­sen, son­dern um eine sehr viel tief­ere innere Erfahrung.
Vor einem Jahrhun­dert bemerk­te William James in The Vari­eties of Reli­gious Expe­ri­ence: “…mys­tis­che Zustände scheinen denen, die sie erleben, Zustände des Wis­sens zu sein. Sie sind Zustände des Blicks in Tiefen der Wahrheit, die der diskur­sive Intellekt nicht ergrün­den kann … und in der Regel tra­gen sie ein merk­würdi­ges Gefühl der Autorität für die Nachzeit in sich.

In den Evan­geliengeschicht­en über Jesus heißt es zum Beispiel, dass diejeni­gen, die ihn hörten, erstaunt waren, dass er mit “Autorität” sprach, nicht wie die Priester oder die anderen Lehrer sein­er Zeit. Hätte Jesus nicht Charis­ma, Weisheit und Wis­sen gehabt, ist es höchst zweifel­haft, dass sich jemand an seine Worte erin­nert hätte.

Men­schen, die dem Bud­dha begeg­neten, wussten sofort, dass er eine tiefe Erfahrung gemacht hat­te und dass diese Erfahrung ihn völ­lig verän­dert hat­te. Wie Jesus hörten die Men­schen zu, wenn der Bud­dha sprach, weil sie erkan­nten, dass seine Worte von irgend­wo anders als dem intellek­tuellen Ver­stand kamen. Sie schienen von der Quelle des Ver­ste­hens selb­st zu kom­men.

Heute ist das Inter­esse an Gno­sis und Mys­tik auch auf den uni­ver­sitären Lehrstühlen angekom­men. Der “Dic­tio­nary of Gno­sis & West­ern Eso­teri­cism” von Wouter J. Hane­graaff umfasst über 1200 kleinge­druck­te Seit­en. Inten­siv disku­tieren die Forsch­er darüber, ob die mys­tis­chen Erfahrun­gen in den ver­schiede­nen Reli­gio­nen iden­tisch seien oder nicht.

Richard Hoop­er hat seine Mei­n­ung gemacht:
Obwohl diese Lehrer vier ver­schiedene Wel­tre­li­gio­nen repräsen­tieren, glaube ich, dass ihre Lehren sehr viel gemein­sam haben. Kön­nte es sein, dass ihre Lehren vier leicht unter­schiedliche Wege zum gle­ichen Ziel darstellen? Jed­er dieser Meis­ter behauptete, dass ihre Lehren aus der per­sön­lichen Erfahrung der ulti­ma­tiv­en Real­ität stam­men, also kön­nten wir erwarten, dass ihre Lehren ähn­lich sind. Sicher­lich haben ihre Lehren das Gewicht von Autorität — in unser­er Zeit, wie auch in ihrer Zeit.

Wenn “Mys­tik” und “Gno­sis” mit inner­er “Wach­heit” zusam­men­hän­gen, dürfte klar wer­den, dass uns diese “Wach­heit” nicht ein­fach in den Schoss fällt. Sie muss mit Hil­fe der spir­ituellen Lehren erar­beit­et wer­den. Der Hak­en daran ist, dass diese Lehren nur Hin­weise und Weg­weis­er zu der tief­er­en Real­ität in uns sel­ber sind, und die Gefahr, sie mit der Real­ität zu ver­wech­seln, ist immer vorhan­den.

Hoop­er fasst die Prob­lematik so zusam­men:
Sicher­lich hat es in der Geschichte viele Mys­tik­er gegeben, die nicht ver­sucht haben, ihr Ver­ständ­nis anderen mitzuteilen. Andere haben es ver­sucht und sind gescheit­ert. Im Fall von Jesus zum Beispiel machen die kanon­is­chen Evan­gelien deut­lich, dass selb­st seine eng­sten Jünger es die meiste Zeit nicht “ver­standen” haben. Lehrer mögen ihr Bestes tun, um mys­tis­che Ein­sicht­en zu ver­mit­teln, indem sie Gle­ich­nisse, Dialek­tik, Sym­bol­is­mus und andere For­men der Weisheit­slehre ver­wen­den, aber am Ende wer­den die Worte immer hin­ter der Real­ität zurück­bleiben. …

Jed­er wahre Lehrer weiß, dass alle, die ihm fol­gen, die Erleuch­tung durch ihre eige­nen per­sön­lichen Bemühun­gen, auf ihre eigene indi­vidu­elle Weise, suchen müssen. Der Lehrer kann Ratschläge geben, Meth­o­d­en vorschreiben und den Schüler von unpro­duk­tiv­en Pfaden ablenken, aber am Ende ist jed­er auf sich selb­st gestellt.

Und das ist auch die Gren­ze der organ­isierten Reli­gion. Sobald der Lehrer weg ist, ist alles ver­loren. Religiöse Anhänger haben die Ten­denz, die Weisheit ihrer Lehrer zu kod­i­fizieren, aber indem sie das tun, ver­wan­deln sie die lebendi­ge Wahrheit in ein blass­es Abbild. In dem Moment, in dem die Lehren von irgend­je­man­dem für den Massenkon­sum ver­packt wer­den, geht die Essenz dieser Lehren auf die eine oder andere Weise ver­loren.

Offizielle Kanons sind zwar wichtig, kön­nen aber oft die Wirk­samkeit eines spir­ituellen Pfades kurz­schließen und sog­ar Täuschung erzeu­gen. Sicher­lich geschieht dies, wenn der Lehrer in den göt­tlichen Sta­tus erhoben und als die Wahrheit selb­st verehrt wird. Deshalb sagen Bud­dhis­ten solche Dinge wie: “Suche nicht den Bud­dha, son­dern das, was der Bud­dha gesucht hat”, oder: “Wenn du den Bud­dha auf der Straße triff­st, töte ihn.”

Jesus sagte seinen Anhängern, dass die Antwort in ihnen selb­st liegt: “Wenn diejeni­gen, die euch führen, sagen, das Him­mel­re­ich sei im Him­mel, dann wer­den die Vögel des Him­mels vor euch dort ankom­men. Wenn sie sagen, es ist im Meer, dann wer­den die Fis­che vor euch dort sein. Vielmehr ist das Reich Gottes in euch…” Jede Lehre, jedes Wort — und sei es noch so tief­gründig — ist nur ein Weg­weis­er auf dem Weg. Jed­er Suchende ist ein Pil­ger, und jed­er Pil­ger reist allein.

Damit ist die Grund­lage gelegt, sich mit ein paar ganz konkreten “Par­al­lel Say­ings” auseinan­derzuset­zen. Doch in der näch­sten Folge  kehren wir vor­erst zu Bede Grif­fiths zurück, und dies wie immer

am kom­menden Fre­itag, den 9. Juli

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