Eine Gruppe, bestehend vorwiegend aus SVPlern, will im Kanton Waadt eine Initiative gegen die Bildung von Parallelgesellschaften lancieren. Im Januar 2017 soll die Initiative starten — vor den im Mai fälligen Wahlen. Ein klarer Vor-den-Wahlen-ein-Initiativchen-SVP-Terminkalender.
BLICK weiss: Das Initiativkomitee besteht aus elf Personen, neun davon sind SVP-Mitglieder. Auf der Seite der Partei heisst es: «Wie könnte man den Islamisten nach einer Anerkennung ihrer Religion das Recht verwehren, in Schulkantinen Halal-Fleisch zu essen? Die gleichen Leute könnten auch zwei Wochen Ferien während des Ramadan anstatt an Weihnachten verlangen.»
Was aber eigentlich ausgeblendet wird und an dieser Stelle auch einmal gesagt sein muss:
In der Schweiz existieren schon viele Parallelgesellschaften, ob die SVP — der Gerechtigkeit halber — nicht auch gegen diese vorgehen sollte? Also z.B.:
• Eine Initiative gegen die Parallelgesellschaft der Christen, die noch immer missionieren und die mosaischen 10 Gebote über die Verfassung stellen.
• Eine Initiative gegen die Parallelgesellschaft der Reichen, die sich anmassen zu behaupten, sie würden die Gesellschaft finanzieren, obwohl sie diese eher ausbeuten.
• Eine Initiative gegen die Parallelgesellschaft der Bigotten, die sich anmassen die Lebensgestaltung anderer Menschen zu bestimmen.
• Eine Initiative gegen die Parallelgesellschaft der SVPler, die meinen bestimmen zu können, was echte Schweizer sind.
• Eine Initiative gegen die Parallelgesellschaft der Politiker, die dem Volk kaum noch trauen und lieber Lobbyisten als Partner haben.
• Eine Initiative gegen die Parallelgesellschaft der vor 2, 3 Generationen zugewanderten, eingekauften Schweizer, die das gar nicht mehr wissen wollen.
• Eine Initiative gegen die Parallelgesellschaft der Veganer, die ihre Kräutergesellschaft auf alle Menschen ausdehnen wollen.
• Eine Initiative gegen die Parallelgesellschaft der Raucherhasser, die immer mehr AHV-Beiträge bezahlen wollen.
• Eine Initiative gegen die Parallelgesellschaft der Extremisten in der Muttenzerkurve, die noch kein sinnvolleres Betätigungsfeld gefunden haben.
• Eine Initiative gegen die Parallelgesellschaft der Bonibezüger, die meinen, auch ohne Leistung und realisierte Gewinne, an ihren Bonis festhalten zu müssen. (Haben Sie letzthin dazu den Ackermann gehört, ja der mit dem Victory-Zeichen?)
• Eine Initiative gegen die Parallelgesellschaft der …
… na ja, es werden Ihnen schon noch einige Parallelgesellschaften einfallen.
In Deutschland ist das Gerede um Parallelgesellschaften schon höher im Kurs als bei uns und die Diskussionen entsprechend scharf — aber auch da stehen ja nächstes Jahr Wahlen an. Im November 2004 veröffentlichte die Redaktion von Spiegel Online ein Interview mit dem Historiker Klaus J. Bade. Darin brachte Bade zum Ausdruck, dass der Begriff Parallelgesellschaft Merkmale von Populismus aufweist. Er sagte:
„Parallelgesellschaften im klassischen Sinne gibt es in Deutschland gar nicht. Dafür müssten mehrere Punkte zusammenkommen: eine monokulturelle Identität, ein freiwilliger und bewusster sozialer Rückzug auch in Siedlung und Lebensalltag, eine weitgehende wirtschaftliche Abgrenzung, eine Doppelung der Institutionen des Staates. Bei uns sind die Einwandererviertel meist ethnisch gemischt, der Rückzug ist sozial bedingt, eine Doppelung von Institutionen fehlt. Die Parallelgesellschaften gibt es in den Köpfen derer, die Angst davor haben: Ich habe Angst, und glaube, dass der andere daran Schuld ist. Wenn das ebenso simple wie gefährliche Gerede über Parallelgesellschaften so weitergeht, wird sich die Situation verschärfen. Dieses Gerede ist also nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems.“
Das gilt wohl sinngemäss auch für die Schweiz. Einen vielleicht etwas anspruchsvollen, aber sehr interessanten Artikel von Wolfgang Kaschuba aus »Der Tagesspiegel« können Sie hier-als-pdf-Datei haben. Er zeigt, dass für viele Migranten eine Parallelgesellschaft nicht gewollt ist, dass aber oft »Fremde gemacht werden«.
Vielleicht sollten wir uns mit dem Thema schon jetzt vermehrt befassen, denn auch bei uns läuft ja der Wahlkampf permanent.
Die Weisheit zur Sache:
Durch die kollektive Hysterie von kommerziellen Medien,
sozialen Medien und politischen Parteien
ist das Wahlfieber permanent geworden.
(David Van Reybrouck)