Cagliostro und Sarafina trafen im Mai 1789 in Rom ein. Als erstes machte sich der Magier an die Abfassung eines Gesuchs an Papst Pius VI. und liess es dem Vatikan zusammen mit den Empfehlungsschreiben und den Regeln und Konstitutionen seines ägyptischen Ritus zukommen. Er war überzeugt, angesichts der vielen hochrangigen katholischen Würdenträger, die der Freimaurerei positiv gegenüberstanden, auch beim Papst ein offenes Ohr zu finden.
Doch es kam keine Antwort, denn die katholische Kirche stand mit der Freimaurerei schon seit Längerem auf Kriegsfuss:
Bereits 1738 kam mit der päpstlichen Bulle “In eminenti apostolatus specula” die erste kirchliche Verurteilung der Freimaurerei. Im Dokument selbst kritisiert Clemens XII. das Stillschweigen und die Geheimgesellschaft, verdächtigt sie der Häresie und stört sich vor allem an der religiösen Toleranz des Bundes, der Männer aller Religionen aufnahm. (katholisch.de). Dazu kamen Gerüchte, welche die Freimaurerei mit den revolutionären Umtrieben in Frankreich in Verbindung brachten. Im Mai waren die Generalstände zusammengetreten, am 14. Juli wurde die Bastille gestürmt und anfangs August wurden die kirchlichen Privilegien abgeschafft und viele Kirchen und Klöster geplündert und angezündet. Auf die Erklärung der Menschenrechte im August 1789 hin meinte der Papst später: Kann man etwas Unsinnigeres ausdenken als eine derartige Gleichheit und Freiheit für alle zu dekretieren?
Und — Herausforderung ohnegleichen — Cagliostro wagte es, auch in Rom unter den Augen des Vatikans seine rituellen Zusammenkünfte weiterzuführen! Gleichzeitig witterte er angesichts der revolutionären Ereignisse in Frankreich Morgenluft und verfasste zusammen mit einem Kapuzinerpater eine Petition an die Generalstände, in der er den politischen Umbruch begrüsste und auf seine reformfreudigen Tendenzen als Freimaurer verwies.
Doch der Brief wurde von der Inquisition abgefangen, die ihre Anklagen seit langem vorbereitet hatte. Sarafina, seine Frau, war inzwischen von ihrem Vater und Priestern so bearbeitet worden, dass sie bereit war, gegen ihren eigenen Gatten eine Klage einzureichen. Am 16. Dezember forderte die Inquisition die Festnahme des Magiers. Pius VI. gab grünes Licht, und so konnte die lokale Presse zum Jahresende verkünden:
Am Sonntagabend wurde der berühmte und berüchtigte Herr Giuseppe Balsam, der unter dem Namen Graf Alexander von Cagliostro Europa bereist, auf höchsten Befehl von einer Wache des Grenadierregiments von Rossi festgenommen und in die Engelsburg, seine gleichfalls festgenommene Gattin auf Befehl seiner Heiligkeit ins Kloster Santa Apollonia gebracht. Nach einer strengen Haussuchung wurden ihre Papiere sowie die Türen ihres Hauses mit dem gerichtlichen Siegel versehen.
Die Falle war zugeschnappt. Weitere Verhaftungen folgten. Wer konnte, floh oder distanzierte sich von Cagliostro. Sogar der Fürstbischof von Trient, der ihm die Reise nach Rom angeraten hatte, entschuldigte sich mit einem Brief beim Papst, er habe sich zu den Freimaurern verirrt.
Dann begann der Prozess, und er sollte sich über anderthalb Jahre hinziehen. Sein Freund Jakob Sarasin schrieb Lavater niedergeschlagen: Die Leiden des Grafen bekümmern mich. Dennoch habe ich das Gefühl, dass die Dinge nur so liegen, weil er es so wollte. Die Welt versteht das nicht; aber ich kenne sein Innenleben. Cagliostro seinerseits, immer noch überzeugt, beim Papst Gehör zu finden, forderte: Wenn seine Heiligkeit nur einwilligen wollte, mich anzuhören, ich prophezeie, noch am selben Abend würde ich auf freien Fuss gesetzt!
Was selbstverständlich nicht geschah. In den folgenden monatelangen Verhören versuchte die Inquisition, ihn unter anderem des Bundes mit dunklen Mächten zu überführen. Interessant, was Cagliostro zur Bedeutung seines Siegels mit der Schlange, dem Apfel und dem Speer aussagte:
Wohl habe ich in meinem ursprünglichen System bei all meinen Operationen grossen Wert auf die Schlange mit dem Apfel im Schlund gelegt; sie ist mein Zeichen und weist auf die Ursache der Erbsünde und all unseres Unglücks hin: aber die Erlösung unseres Herrn Jesus Christus hat sie durchbohrt, was wir uns immer vor Augen halten und in unserem Herzen bewahren müssen; denn Auge und Herz sind der Spiegel der Seele, und wir müssen beständig auf der Hut sein vor den Versuchungen des Teufels. Dass ich also an all das und an die Erlösung unseres Herrn Jesus Christus glaube und darauf auch immer aufmerksam gemacht, kann ich unmöglich gesprochen haben, wie behauptet wird, denn damit hätte ich widerrufen, was ich allenthalben gesagt.
Doch schliesslich brach der Magier unter den erbarmungslosen Verhörtechniken zusammen. Auf das Angebot der Inquisitoren hin, ein umfassendes Geständnis werde ihn retten, unterzeichnete Cagliostro folgenden Widerruf:
Niedergedrückt von Trauer und Reue darüber, dass ich 45 Jahre elend in der Verdammnis meiner Seele und im Abgrund des Irrtums gelebt, bin ich, um meine Seele zu retten und das Unrecht wiedergutzumachen, das ich der Religion und der Seelen so vieler anderer zugefügt, bereit, jedwede Erklärung, jedweden Widerruf oder sonstigen Akt zu leisten, der erforderlich. … Ich bitte eure Herrlichkeiten, diese meine Gefühle meinen Richtern und dem Heiligen Vater bekanntzugeben, auf dass sie wissen, dass ich ihnen meinen Leib überantworte, damit sie mich für meine Verbrechen bestrafen, denn ich bin es zufrieden, meine Seele zu retten. … Ich begehre nur das Heil meiner Seele. Ich bin bereit, die strengste öffentliche Bestrafung auf mich zu nehmen, ja dürste danach, denn ich bin bestrebt, das Übel wiedergutzumachen, das ich so vielen zugefügt, im besonderen meiner Frau, die durch meine Schuld ebenfalls im Irrtum gelebt; hat sie doch die ägyptische Freimaurerei allein auf meine Anweisungen und Einblasungen hin ausgeübt.
Doch dann dämmerte es Cagliostro, dass er damit sein Todesurteil unterzeichnet hatte. Ein letztes Mal bäumte er sich auf.
Dazu mehr am kommenden Samstag, den 16. Oktober.
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