Das scho­ckie­rends­te Buch-Cover in der klei­nen Über­sicht aktu­el­ler Publi­ka­tio­nen zur dro­hen­den Gefahr einer neu­en Trump-Prä­si­dent­schaft ist für den birsfaelder.li-Schreiberling “Con­fron­ting Chris­to­fa­scism” von Caro­lyn Baker. Wie in aller Welt sol­len die Haken­kreuz-Fah­nen mit dem Bild des “Sal­va­tor mun­di” zusam­men­pas­sen?

Nun gut -, dass sich der Faschis­mus mit dem Kir­chen­chris­ten­tum immer wie­der bes­tens arran­gier­te, ist bekannt: Die Later­an­ver­trä­ge zwi­schen Mus­so­li­ni und dem Vati­kan, das Reichs­kon­kor­dat Hit­lers mit dem Hei­li­gen Stuhl und die enge Zusam­men­ar­beit der katho­li­schen Kir­che mit Fran­co in Spa­ni­en und Sala­zar in Por­tu­gal legen dafür Zeug­nis ab, — ganz zu schwei­gen von Bewe­gun­gen wie die Usta­scha in Kroa­ti­en.

Doch auf die­sem Bild wird nicht die Kol­la­bo­ra­ti­on der Kir­che ange­pran­gert, son­dern Jesus Chris­tus wird in einen Zusam­men­hang mit dem Faschis­mus gestellt. Die Fra­ge ist natür­lich, in wel­chen Zusammenhang.

Gehen wir vor­erst der Gene­se des Begriffs “Chris­to­fa­scism” nach. Er stammt von der femi­nis­ti­schen evan­ge­li­schen deut­schen Theo­lo­gin Doro­thee Söl­le. In ihrem Vor­trag mit dem Titel Mys­tik und Wider­stand, den sie am 9. Juni 1983 in der Kir­che zu Pre­di­gern in Zürich hielt, sag­te sie:
Was wir heu­te an Reli­gi­on erle­ben, jeden­falls in Nord­ame­ri­ka, hat eine ganz kla­re Ten­denz zu etwas, was ich “Chris­to­fa­schis­mus” nen­ne. Ich glau­be, wir leben in einem Zeit­al­ter, in dem es immer mehr Chris­to­fa­schis­ten gibt, das heisst Leu­te, die Gott, Chris­tus benut­zen, um den Faschis­mus auszubreiten.
Ich mei­ne den Faschis­mus im Sin­ne eines tota­li­tär-mili­ta­ris­ti­schen Sys­tems, in dem man alles kri­ti­sie­ren kann, nur nicht den Mili­ta­ris­mus, der die ihm zugrun­de­lie­gen­den Geschäf­te beschützt; einen sanf­ten Faschis­mus, der mit freund­li­chen Wor­ten, einem lie­bens­wür­di­gen, mitt­le­ren Schau­spie­ler
(Ronald Rea­gan) ein­her­kommt; einem Faschis­mus, der nicht direkt mit Dro­hung und Zer­stö­rung arbei­tet, der aber die gesam­te Welt in die­ses Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger-Sys­tem ein­bringt und der jeden Tyran­nen in der drit­ten Welt lie­bend gern unter­stützt, weil die­se Tyran­nen bekannt­lich die Geschäf­te sichern, bil­li­ge Arbeits­kräf­te pro­du­zie­ren, unter ihnen vie­le Frau­en, wel­che die bil­ligs­ten aus­beut­ba­ren Arbei­te­rin­nen sind, die es heu­te auf der Welt gibt.

Man muss sich das ganz klar machen, dass jeder, der heu­te für den Kon­ser­va­tis­mus ist, an der Her­stel­lung die­ser Zustän­de arbei­tet, für die­se Zustän­de wählt und sei­ne Mei­nung her­gibt. In die­sem Sin­ne mei­ne ich, dass eine Ver­brä­mung die­ses Sys­tems, des Mords, der Aus­beu­tung, der Zer­stö­rung, wenn sie mit dem Namen Chris­ti ein­her­geht, chris­to­fa­schis­tisch ist.

Dass die USA von Beginn an ein janus­köp­fi­ges Gebil­de mit einer dunk­len Sei­te waren und sind, hat der birsfaelder.li Schrei­ber­ling im Zusam­men­hang mit 9/11 beschrie­ben. Doch muss man gleich­zei­tig aner­ken­nen, dass die Ver­ei­nig­ten Staa­ten trotz aller Schwä­chen und dunk­len Fle­cken — noch — nach halb­wegs demo­kra­ti­schen Regeln funk­tio­niert. Eine so radi­ka­le Geg­ne­rin des aktu­el­len Sys­tems wie Mari­an­ne Wil­liam­son kann ihren Kampf um die Prä­si­dent­schaft unge­hin­dert füh­ren, — im Russ­land Putins unvor­stell­bar. Dass sie kaum eine Chan­ce hat, hängt ande­rer­seits wie­der mit der dunk­len Sei­te der USA zusam­men: der neo­li­be­ra­len Plu­to­kra­tie, wel­che die Poli­tik mas­siv beeinflusst.

Caro­ly­ne Baker hat den Begriff Söl­les wie­der auf­ge­nom­men. In der Ein­füh­rung zu ihrem Buch schreibt sie:
Zur­zeit steht die ame­ri­ka­ni­sche kon­sti­tu­tio­nel­le Demo­kra­tie auf Mes­sers Schnei­de, wenn es dar­um geht, eine demo­kra­ti­sche Repu­blik auf­recht­zu­er­hal­ten oder der Flut­wel­le des Auto­ri­ta­ris­mus zu erlie­gen, die zahl­rei­che Natio­nen welt­weit zu ver­schlin­gen scheint. Ermög­licht wird die­ser erschre­cken­de Trend durch die reli­giö­se Rech­te in Ame­ri­ka, deren Mit­glie­der sich als evan­ge­li­ka­le oder fun­da­men­ta­lis­ti­sche Chris­ten bezeich­nen. Die­se Bewe­gung bedroht nicht nur die ame­ri­ka­ni­sche Repu­blik, son­dern hat auch unzäh­li­ge ihrer Anhän­ger trau­ma­ti­siert, die sich ihr ange­schlos­sen haben, um den schwin­del­erre­gen­den Ver­än­de­run­gen und gewal­ti­gen Her­aus­for­de­run­gen unse­rer Zeit gerecht zu werden. (…). 
Wie die inves­ti­ga­ti­ve Repor­te­rin Sarah Pos­ner in “Unho­ly: Why White Evan­ge­li­cals Wor­s­hip At The Altar of Donald Trump”, “sieht die christ­li­che Rech­te in Trump mehr als nur einen Poli­ti­ker, der sei­ne Ver­spre­chen ein­hält; sie sieht in ihm einen Ret­ter vor den Aus­wüch­sen des Libe­ra­lis­mus”.
In “How Demo­cra­ci­es Die” argu­men­tie­ren Ste­ven Levits­ky und Dani­el Ziblatt: “So ster­ben Demo­kra­tien heu­te. Unver­hoh­le­ne Dik­ta­tu­ren — in Form von Faschis­mus, Kom­mu­nis­mus oder Mili­tär­herr­schaft — sind in wei­ten Tei­len der Welt ver­schwun­den. Mili­tär­put­sche und ande­re gewalt­sa­me Macht­er­grei­fun­gen sind sel­ten. In den meis­ten Län­dern fin­den regel­mä­ßi­ge Wah­len statt. Demo­kra­tien ster­ben immer noch, aber mit ande­ren Mit­teln. Seit dem Ende des Kal­ten Krie­ges sind die meis­ten demo­kra­ti­schen Zusam­men­brü­che nicht durch Gene­rä­le und Sol­da­ten ver­ur­sacht wor­den, son­dern durch gewähl­te Regie­run­gen selbst.”(…)

Reli­giö­ser Fun­da­men­ta­lis­mus in jeg­li­cher Form steht im Wider­spruch zu unse­rer tiefs­ten Mensch­lich­keit, unab­hän­gig davon, wel­ches Glau­bens­be­kennt­nis ihm zugrun­de liegt. Es ist inzwi­schen schmerz­lich offen­sicht­lich, dass die Demo­kra­tie in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten den Tod durch tau­send klei­ne Schrit­te erfährt, und wei­ße Evan­ge­li­ka­le tra­gen mas­siv zu ihrem Unter­gang bei. (…) 

Obwohl die­ses Buch nicht in ers­ter Linie eine poli­ti­sche Abhand­lung ist, kann die poli­ti­sche Land­schaft nicht von der reli­giö­sen getrennt wer­den, denn seit dem Ende des Zwei­ten Welt­kriegs haben die Evan­ge­li­ka­len zumin­dest ver­sucht, die ame­ri­ka­ni­sche Poli­tik deut­lich zu beein­flus­sen, und schlimms­ten­falls ver­sucht, mit den Poli­ti­kern zusam­men­zu­ar­bei­ten, um eine Theo­kra­tie oder eine “Regie­rung durch Gott” zu schaf­fen. Ich habe die­ses Buch aus einem Gefühl der tie­fen Dring­lich­keit her­aus geschrie­ben, und zwar im Zusam­men­hang mit dem ver­blüf­fen­den Ver­fall der Demo­kra­tie in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten. Die Zukunft des ame­ri­ka­ni­schen Expe­ri­ments ist unge­wis­ser als je zuvor.

Der Jour­na­list Chaun­cey DeVe­ga hat kürz­lich einen His­to­ri­ker inter­viewt, der glaubt, dass Joe Biden “viel­leicht nur ein Brems­klotz auf dem Marsch der Faschis­ten an die Macht ist”. Mit ande­ren Wor­ten: Wir haben viel­leicht eine Gal­gen­frist vor dem über­has­te­ten Faschis­mus der Trump-Admi­nis­tra­ti­on, aber aus mei­ner Sicht müs­sen sich wache Ame­ri­ka­ner aktiv der anti­de­mo­kra­ti­schen Poli­tik der Repu­bli­ka­ni­schen Par­tei und ihrer theo­kra­ti­schen Ermög­li­cher der reli­giö­sen Rech­ten wider­set­zen, damit wir nicht, wie so vie­le zuvor demo­kra­ti­sche Natio­nen, der Auto­kra­tie erlie­gen. Das End­pro­dukt des Zusam­men­spiels zwi­schen der reli­giö­sen Rech­ten und den Trump’schen Repu­bli­ka­nern ist das, was ich und ande­re als Chris­to­fa­schis­mus bezeich­net haben.

Wir blei­ben in der nächs­ten Fol­ge am kom­men­den Don­ners­tag, den 14. März bei Caro­lyn Baker.

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Mattiello am Mittwoch 24/10
Die Reichsidee 123

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