In den 1840er-Jahren steuerten die Konflikte zwischen katholischen “restaurativen Ultras”, katholischen und reformierten Konservativen, gemässigten Liberalen und intransigenten Radikalen auf eine unlösbare Krise und schliesslich auf einen offenen Bürgerkrieg zu. Im Bewusstsein der Öffentlichkeit sind als direkte Auslöser bis heute die Aargauer Klosteraufhebung, die Berufung der Jesuiten in Luzern und die beiden Freischarenzüge in Erinnerung geblieben (zur Baselbieter Beteiligung siehe hier)
Neben den religiösen Spannungen entspann sich aber auch ein Kampf um die Frage, ob für eine Revision des Bundesvertrags von 1815 das Einverständnis der europäischen Grossmächte, ein einstimmiger Beschluss der Kantone (Position des “Schutz- oder Sonderbundes”) oder nur eine Mehrheit (Position der liberalen und radikalen Orte) nötig war.
Wer sich etwas detaillierter über diese dramatische Entwicklung und den Sonderbundskrieg orientieren möchte, findet im Blog von René Roca eine ausgezeichnete Übersicht.
Hier wollen wir uns mit der Position Troxlers während dieser religiösen und politischen Wirren auseinandersetzen.
Im Aargauer Klosterstreit geisselte er sowohl das radikale Vorgehen seines ehemaligen Schülers Augustin Keller als auch das Lavieren der Tagsatzung mit der halbherzigen Wiederherstellung der Frauenklöster:
«Die Sache ist ganz klar. Entweder sind die Klöster mit Recht aufgehoben worden, und dann ist es schmähliche Feigheit, von einem mit Recht getanen Schritte auch nur um einen Zoll breit zurückzuwenden, oder sie sind mit Unrecht aufgehoben worden, und dann ist es unverantwortliche Gewissenlosigkeit, sich durch einen mißverstandenen Kantonalsouveränitäts-Point d’honneur von etwas zurückhalten zu lassen, was Recht und Pflicht fordern. Ihr Liberale, Radikale, oder mit welchen Namen ihr euch sonst noch nennen mögt, die ihr der ersten Meinung seid, ihr habt durch das Nachgeben in einem Punkte, durch das Wiedereinsetzen einiger Klöster, und seien es auch die unbedeutendsten, bewiesen, daß ihr eurer Sache denn doch nicht ganz sicher seid, und habt den schon ohnehin regen Argwohn eurer Gegner durch euer eignes Benehmen vermehrt.”
Die Berufung der Jesuiten in Luzern kann als direkte Folge der sich aufheizenden religiösen Kontroversen gesehen werden, und sie goss weiteres Öl ins Feuer. Aus liberaler und radikaler Warte galt dieser Orden als Stütze der Reaktion, als Verteidiger des Absolutismus, und er war der Inbegriff von Antiliberalismus und Intoleranz. Troxler anerkannte zwar durchaus die positive Rolle der Jesuiten in früheren Zeiten, hatte sich aber schon in Luzern zu einem vehementen Gegner entwickelt (siehe Troxler 11).
Eine besondere Artikelserie in der “Nationalzeitung” beleuchtete nun “Das Grundprinzip des Jesuitismus in Bezug auf die Erziehung”. Dem Ordensprinzip des unbedingten, blinden Gehorsams setzte er die Frage entgegen: “Ist ein solcher Gehorsam, ein solches Gefangengeben des ganzen Menschen mit all seinen Kräften und Gaben unter die Macht und Willkühr eines Anderen, nicht eine Ertödtung des Geistes … und eine gänzliche Vernichtung der menschlichen Individualität?” oder “Was ist doch Religion, mit der aus ihr hervorgehenden Sittlichkeit, ohne die heilige Grundlage eines freien, selbstdenkenden und selbstbestimmenden Geistes?”
Troxler befürchtete auch, dass der erzkatholische Orden zu einem eigentlichen religiösen, politischen und gesellschaftlichen Sprengkörper werden könnte, wandte sich aber gleichzeitig strikt gegen ein Verbot des Jesuitenordens durch die Tagsatzung, weil er darin eine Verletzung der kantonalen Souveränität sah, wie sie im immer noch geltenden Bundesvertrag von 1815 festgelegt war.
Als sich in den Freischarenzügen die Spannungen zum ersten Mal mit Waffengewalt entluden, begann Troxler langsam zu resignieren und zu verzweifeln. Nach einem letzten gescheiterten Vermittlungsversuch zwischen den hadernden Parteien bat Troxler das Erziehungsdepartement von Bern um einen Erholungsurlaub und schrieb: “.… innige Teilnahme an den wechselvollen Geschicken meines Vaterlandes, und manche andere besondere Umstände und Vorfälle haben endlich meine sonst so feste Gesundheit erschüttert. … Meine geistigen und körperlichen Kräfte scheinen zwar noch unversehrt zu sein; allein ich fühle mich in meinem Gemüte sehr angegriffen. Ich leide an den Augen mit Abnahme des Gesichts, und meiner Seele hat sich eine tiefe Melancholie bemächtigt.“
Den Sonderbundskrieg erlebte er als eine Katastrophe und war umso erleichterter, als er dank der Umsicht und dem strategischen Können von Guillaume-Henri Dufour in nur 26 Tagen und weniger als 100 Toten beendet werden konnte.
Der Sieg der Radikalen und Liberalen erregte europaweites Aufsehen. Aus aller Welt trafen Glückwunschsadressen ein, — sogar von Karl Marx! Zwar verlangten Frankreich, Preussen, Österreich und Russland sofort die unveränderte Beibehaltung des Bundesvertrags von 1815 und drohten mit militärischer Intervention, aber die Revolution von 1848 fegte gleich darauf die konservativen Kräfte in Frankreich, Deutschland und Österreich hinweg.
Jetzt war die Bahn frei für einen neuen Versuch, die Eidgenossenschaft auf eine neue und solide politische Grundlage zu stellen. Angesichts der tiefen Zerwürfnisse und den noch offenen Wunden v.a. bei den Konservativen kein leichtes Unterfangen! Troxler seinerseits erkannte die Gelegenheit, endlich seiner grossen Vision einer geeinten, auf der Volkssouveränität und bundesstaatlich aufgebauten Schweiz doch noch zum Durchbruch zu verhelfen.
Und damit begann sein letzter grosser Kampf, dem die nächste Folge gewidmet sein wird.
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