Zwei Zita­te aus dem Jah­re 1832 machen die Beweg­grün­de für Trox­lers unent­weg­ten Kampf für eine ech­te Volks­sou­ve­rä­ni­tät deutlich:

«Es bedarf das Gesamt­va­ter­land einer Radi­kal­re­form, wie sie bereits in den Kan­to­nen statt­ge­fun­den, und es muß die­se Radi­kal­re­form auf dem ein­zig und allein gesetz­li­chen Wege eines durch Wahl der Nati­on auf­zu­stel­len­den Ver­fas­sungs­ra­tes gesche­hen. In die­ser Idee muß sich ver­ei­nen, wer Eid­ge­nos­se sein und blei­ben will, es ist die Idee der uralten ewi­gen Bün­de der Eidgenossenschaft.»

«Die Vor­se­hung scheint die schwei­ze­ri­sche Eid­ge­nos­sen­schaft bestimmt zu haben, mit­ten in dem halb dem kras­sen Abso­lu­tis­mus, halb dem fau­len Jus­te-Milieu ver­ra­te­nen Euro­pa die Prin­zi­pi­en und Inter­es­sen der Mensch­heit zu erhal­ten und bei der all­ge­mei­nen poli­ti­schen Sünd­flut in ihrer Bun­des­ar­che das ver­wirk­lich­te Vor­bild einer all­ge­mei­nen Föde­ra­tiv­re­pu­blik der Natio­nen für Euro­pa zu bewahren.»

Trox­ler betrach­te­te die Wie­der­her­stel­lung einer ech­ten Volks­sou­ve­rä­ni­tät also als eine Erneue­rung “der uralten ewi­gen Bün­de”, und Emil Spiess stellt zu Recht fest: “Er sah in der rest­lo­sen Erfül­lung der frei­heit­li­chen Volks­rech­te eine euro­päi­sche Auf­ga­be der Schweiz, eine Ver­pflich­tung gegen­über den um die demo­kra­ti­schen Rech­te geprell­ten Völ­kern Europas.”

In die­ser beweg­ten Zeit war es auf libe­ra­ler und radi­ka­ler Sei­te zu ver­schie­de­nen Ver­eins­grün­dun­gen gekom­men, z.B. dem “Schutz­ver­ein” oder dem “Natio­nal­ver­ein”. Trox­ler war wie immer an vor­ders­ter Front dabei und kämpf­te für sei­ne Visi­on einer zutiefst erneu­er­ten Eidgenossenschaft.

Casi­mir Pfyffer

Doch wie sich bald her­aus­stel­len soll­te, war die Zeit für einen solch radi­ka­len Neu­an­fang noch nicht reif. “Eid­ge­nos­sen! nur in einer Idee könnt Ihr Euch ver­ei­nen und Euch wie­der ein Gesamt­va­ter­land errin­gen. For­dert einen eid­ge­nös­si­schen Ver­fas­sungs­rat! rief er die Bevöl­ke­rung auf, — doch ent­täuscht und erbit­tert muss­te er erfah­ren, dass ihn fast alle radi­ka­len Mit­strei­ter bei die­ser zen­tra­len For­de­rung im Stich lies­sen. Einer sei­ner wich­tigs­ten Gegen­spie­ler, der Luzer­ner Libe­ra­le Casi­mir Pfyffer, sprach gar vom “Trox­le­ria­nis­mus”, „jener eige­nen Mischung von über­spann­ter schwär­me­ri­scher Dem­ago­gie mit der aus­ge­such­tes­ten, gei­fernds­ten, aus wech­seln­den Mas­ken und Hin­ter­hal­ten her­vor­spu­cken­den Bos­heit.“ Doch dürf­te eher die Mei­nung sei­nes Bio­gra­fen Dani­el Fur­rer zutref­fen, wenn er schreibt: “Ein Ver­fas­sungs­rat hät­te den Son­der­in­ter­es­sen der Mäch­ti­gen und Pri­vi­le­gier­ten gefähr­lich wer­den können. ..”

Ein klei­ner Trost mag es für ihn des­halb gewe­sen sein, als ihn die ber­ni­sche Regie­rung 1834 auf den Lehr­stuhl der Phi­lo­so­phie an der neu gegrün­de­ten Uni­ver­si­tät berief. Doch bald muss­te er erfah­ren, wie er von Jahr zu Jahr mehr in eine Aus­sen­sei­ter­po­si­ti­on abge­drängt wur­de. Das hat­te meh­re­re Gründe:

Abge­se­hen vom Zwist um den Ver­fas­sungs­rat kam noch die kon­fes­sio­nel­le Kom­po­nen­te dazu, als Trox­ler sich für mehr reli­giö­se Tole­ranz ein­setz­te (sie­he Trox­ler 16) und damit die Radi­ka­len vor den Kopf stiess.

Auf­zug zum Ham­ba­cher Schloss 1832

Es folg­ten bald mas­si­ve Pro­ble­me an der Uni­ver­si­tät Bern: Bei deren Grün­dung hat­te die radi­ka­le Regie­rung bei der Beset­zung der Lehr­stel­len die Pro­fes­so­ren meist nach poli­ti­schen Gesichts­punk­ten aus­ge­wählt, —  auch 17 Deut­sche, dar­un­ter poli­tisch Ver­folg­te, die 1832 am berühmt-berüch­tig­ten Ham­bacher­fest teil­ge­nom­men hat­ten. Das hat­te zur Fol­ge, dass noch im glei­chen Jahr der dama­li­ge Deut­sche Bun­des­tag sämt­li­che Regie­run­gen auf­rief, ihren Unter­ta­nen den Besuch der Uni­ver­si­tät zu ver­bie­ten, — ein schwe­rer Schlag für die jun­ge Institution.

Doch es kam noch schlim­mer: 1835 wur­de Bern Vor­ort und über­nahm die aus­sen­po­li­ti­schen Geschäf­te des Staa­ten­bun­des. Als die kon­ser­va­ti­ven euro­päi­schen Mäch­te sich wei­ger­ten, den diplo­ma­ti­schen Ver­kehr mit Bern auf­zu­neh­men, solan­ge die Regie­rung poli­ti­schen Flücht­lin­gen Schutz bot, knick­te die­se ein. Einer der deut­schen Pro­fes­so­ren, Lud­wig Snell, den man schon in Basel als “den gefähr­lichs­ten Stö­ren­fried der Schweiz” bezeich­net hat­te, wur­de ver­haf­tet und des Kan­tons ver­wie­sen. Wei­te­re Ver­haf­tun­gen — auch von Trox­ler — waren geplant, fan­den aber kei­ne Regierungsmehrheit.

Trox­ler an einen Freund: „Sie wis­sen, Lud­wig Snell ist ver­haf­tet und am Frei­tag lief durch ganz Bern die Sage, auch Kas­t­ho­fer und W. Snell und ich sei­en im Gefäng­nis. Es war nicht ohne Grund; im Regie­rungs­rat war der Antrag gemacht wor­den. All dies ist die Fol­ge des Umschnap­pens unse­rer Vor­orts­di­plo­ma­tik und des erbärm­li­chen Wahns, der Natio­nal­ver­ein sei die jun­ge Schweiz und also eine Abtei­lung der von Paris (aus) gelei­te­ten Europia.“

Giu­sep­pe Mazzini

Das erfor­dert eine kur­ze Erklä­rung: Der ita­lie­ni­sche Revo­lu­tio­när Giu­sep­pe Mazzi­ni hat­te von der Schweiz aus einen inter­na­tio­na­len Geheim­bund “La Gio­vi­ne Euro­pa” gegrün­det, mit der “Jun­gen Schweiz” als Unter­or­ga­ni­sa­ti­on. Es ging das Gerücht, Mit­glie­der des “Natio­nal­ver­eins” wür­den auch der “Jun­gen Schweiz” ange­hö­ren. Sol­che Ver­bin­dun­gen gab es tat­säch­lich, doch für ein­mal gehör­te Trox­ler nicht dazu: Er stell­te sich gegen die Visi­on Mazzi­nis einer euro­päi­schen Revo­lu­ti­on und for­der­te, die Schweiz müs­se den Erneue­rungs­pro­zess aus eige­ner Kraft leisten.

Neben die­sen poli­ti­schen Wir­ren in Trox­lers Leben, an die sich die geneig­te Lese­rin und der geneig­te Leser inzwi­schen wohl gewöhnt haben, kam nun aber ein wei­te­rer Schlag hin­zu: Sei­ne phi­lo­so­phi­schen Publi­ka­tio­nen und Vor­le­sun­gen sties­sen immer mehr auf Unver­ständ­nis und Ableh­nung. In einer Tage­buch­no­tiz hielt er fest: “Es bedarf der Phi­lo­so­phie um in Bern als Pro­fes­sor der Phi­lo­s­phie aus­zu­hal­ten”. Trox­ler begann poli­tisch und phi­lo­so­phisch zu vereinsamen …

Es lohnt sich, den Grün­den für die­se Ent­wick­lung nach­zu­ge­hen. Und genau das wer­den wir in der nächs­ten Fol­ge auch tun.

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