In Luzern hat­te Trox­ler sei­ne ers­ten päd­ago­gi­schen Erfah­run­gen gesam­melt, und er hat­te erkannt, dass die Lehr­tä­tig­keit ein ent­schei­dend wich­ti­ger Teil sei­ner Lebens­be­ru­fung war. Immer­hin hat­ten ihm sei­ne Schü­ler zum unrühm­li­chen Abschied eine Medail­le mit dem Mot­to “Inta­mi­na­tis ful­gis hono­ri­bus” (Unbe­fleckt leuch­tet sei­ne Ehre) geschenkt.

In Aar­au nun fand er eine Mög­lich­keit, sei­ne päd­ago­gi­sche Tätig­keit wei­ter­zu­füh­ren. Sein Freund Hein­rich Zschok­ke hat­te 1819 den sog. “Lehr­ver­ein” gegrün­det, des­sen Ziel es war, als Alter­na­ti­ve zur staat­li­chen “Kan­tons­schu­le” auf das Leben bezo­ge­nes Sach­wis­sen und staats­po­li­ti­sches Grund­wis­sen in den Mit­tel­punkt zu stel­len. Auf dem Lehr­plan stan­den — ganz im Gegen­satz zum Gym­na­si­um — z.B. Fächer wie Geschich­te, Natur­recht, Wirt­schaft, Poli­zei­wis­sen­schaft, Che­mie, Geo­lo­gie, Ver­mes­sung und Zeichnen.

Schon in der Hel­ve­tik und in den nach­fol­gen­den Jahr­zehn­ten wur­de den Behör­den klar, dass die Volks­bil­dung der ent­schei­den­de Schlüs­sel für gesell­schaft­li­chen und wirt­schaft­li­chen Fort­schritt war. Wäh­rend vor der Hel­ve­tik der Erzie­hungs­rat des Aar­gaus noch mel­den muss­te, dass von 130 Leh­rern höchs­tens zwan­zig ordent­lich lesen und schrei­ben konn­ten, hat­te sich in der Zwi­schen­zeit ein soli­des Schul­sys­tem mit den uns heu­te noch ver­trau­ten drei Stu­fen Pri­mar­schu­le, Sekun­dar­schu­le und Gym­na­si­um resp. Kan­tons­schu­le eta­bliert. Doch die Besol­dung eines Gemein­de­leh­rers noch im Jah­re 1862 macht deut­lich, wel­che Stel­lung ihm in der gesell­schaft­li­chen Hier­ar­chie zuge­wie­sen blieb: Er ver­dien­te soviel wie ein unge­lern­ter Fabrikarbeiter …

Zschok­ke bot sei­nem Freund nach dem Luzer­ner Deba­kel nun eine Stel­le am Lehr­ver­ein an, und Trox­ler sag­te dank­bar zu. In den fol­gen­den sie­ben Jah­ren präg­te er die­se Insti­tu­ti­on, indem er die Phi­lo­so­phie als Herz­stück jeder Aus­bil­dung in den Mit­tel­punkt stell­te. Mit vie­len öffent­li­chen Vor­trä­gen zu päd­ago­gi­schen und didak­ti­schen Thmen ver­such­te er, Ziel und Zweck der Schu­le im Bewusst­sein der Öffent­lich­keit zu verankern.

Hier ist der Ort, auf die Grund­ge­dan­ken Trox­lers zum The­ma Erzie­hung ein­zu­ge­hen. Wil­li Aepp­li* hat sie im fol­gen­den Pas­sus auf den Punkt gebracht:
«Der Erzie­her muss […] ‹eige­nen und frem­den Dün­kel› durch­schau­end, zu sei­nem eige­nen Selbst vor­zu­stos­sen trach­ten. Mit andern Wor­ten: Er muss sei­nen eige­nen Geni­us in sich wach­ru­fen. Dann, aber nur dann darf, ja kann er Ver­trau­en zu sich selbst haben. Die­ses durch­aus legi­ti­me Selbst­ver­trau­en (legi­tim, weil es mit sei­nem eige­nen Dün­kel nichts mehr zu tun hat) ist Aus­gangs­punkt der Erzie­hungs­pra­xis. Denn die­ses Selbst­ver­trau­en schafft ihm das Ver­trau­en zu dem im Kin­de ver­bor­ge­nen Geni­us. … Ein Erzie­her, der selbst auf dem Wege ist zur Frei­heit, wird nicht mehr in Ver­su­chung kom­men, die Hilf­lo­sig­keit des Kin­des zu miss­brau­chen, das Kind dienst­bar machen zu wol­len für eine Welt­an­schau­ung, für eine Kon­fes­si­on, für irgend eine von Men­schen geschaf­fe­ne Insti­tu­ti­on. Er wird die inners­te Wesen­heit des Kin­des nicht antas­ten, son­dern alles tun, damit die­se zum Durch­bruch kommt, wis­send, dass ein­zi­ges Ziel der Erzie­hung ist, dass der Mensch sich selbst wie­der gege­ben wer­de. Aber auch der Leh­rer, der erzieht, darf in allen Erzie­hungs­si­tua­tio­nen nie­man­des Unter­tan sein, nicht Knecht sei­nes Sys­tems, einer Par­tei, einer Insti­tu­ti­on – eige­nen und frem­den Dün­kels. Was in einer Schu­le gelehrt wer­den soll, ist ein­zig und allein ‹nach dem Gesetz des mensch­li­chen Geis­tes und sei­nem Ent­wick­lungs­gan­ge gemäss anzu­ord­nen.› (*Wil­li Aepp­li, I. P. V. Trox­ler, Frag­men­te, St. Gal­len 1936)

Von daher wird es ver­ständ­lich, dass Trox­ler die Erzie­hungs­kunst als zen­tra­les Ele­ment für eine har­mo­ni­sche und freie gesell­schaft­li­che Ent­wick­lung betrach­te­te und sich gegen jeg­li­che reli­giö­se, staat­li­che, wirt­schaft­li­che oder par­tei­po­li­ti­sche Bevor­mun­dung stell­te. Und es wird klar, dass wir auch heu­te noch ziem­lich weit ent­fernt von die­sem Ide­al sind …

Wer sich noch etwas ver­tief­ter mit den Gedan­ken Trox­lers dazu aus­ein­an­der­set­zen möch­te, fin­det im Anhang den Rund­brief des Trox­ler-Ver­eins, der ganz die­sem The­ma gewid­met ist: Tetrak­tys 2019

Und wer sich in die Haut eines Leh­rers auf dem Lan­de in jener Zeit ver­set­zen möch­te, dem sei die Lek­tü­re von Jere­mi­as Gott­helfs berüh­ren­dem und span­nen­den Buch “Lei­den und Freu­den eines Schul­meis­ters” ange­le­gent­lich empfohlen!

Neben sei­ner Lehr­tä­tig­keit konn­te es Trox­ler natür­lich nicht las­sen, sich wei­ter­hin mit aller Kraft für die Erstar­kung der demo­kra­ti­schen Kräf­te im eid­ge­nös­si­schen Staa­ten­bund ein­zu­set­zen. Das war nicht ein­fach, denn die ver­schie­de­nen Kan­to­ne hat­ten auf mas­si­ven Druck der umge­ben­den restau­ra­ti­ven Mäch­te eine Zen­sur der Pres­se ein­ge­führt: „Alle Stän­de wer­den auf das nach­drück­lichs­te ein­ge­la­den, die erfor­der­li­chen erns­ten und genü­gen­den Mass­re­geln auf geeig­ne­tem Wege zu ergrei­fen, dass, in Bezie­hung auf den Miss­brauch der Pres­se bei Berüh­rung aus­wär­ti­ger Ange­le­gen­hei­ten, allem aus­ge­wi­chen wer­de, was die schul­di­ge Ach­tung gegen befreun­de­te Mäch­te ver­let­zen könn­te.“ (Pres­se- und Frem­den­kon­klus­um 1823).

Trox­ler hin­ge­gen hat­te schon 1816 in sei­ner Kampf­schrift “Über die Frei­heit der Pres­se in beson­de­rer Bezie­hung auf die Schweiz” dagegengehalten:
„Wir glau­ben also […] behaup­ten zu dür­fen: es gäbe kein gewis­se­res Kenn­zei­chen, dass Regie­run­gen repu­bli­ka­nisch, frei­staat­lich und volks­mäs­sig sei­en, als wenn sie unbe­ding­te Geis­tes­frei­heit und schran­ken­lo­se Öffent­lich­keit ertra­gen, ohne ihre Wir­kung durch phy­si­sche Gewalt hem­men oder auf­he­ben zu müssen.“
oder: „Es möch­te nun immer­hin, da der Ber­ner und Luzer­ner, dort der Waadter und Aar­gau­er, auf sei­ne Wei­se hau­sen, schal­ten und wal­ten; aber den Schwei­zer soll­te doch Alles ange­hen und auf­re­gen, was vom Jura bis zu den Alpen und zwi­schen der Rho­ne und dem Rhein geschieht, getan und gelit­ten wird. […] Mögen immer noch die Grenz­pfäh­le da und dort ste­hen blei­ben, möge die Mün­ze des einen Kan­tons vom ande­ren ver­ru­fen wer­den, mögen noch Sper­ren die­ser und jener Art gegen­ein­an­der freund­nach­bar­lich ver­hängt wer­den […]: nur eine Schran­ke fal­le, nur Press­zwang und Zen­sur, Geis­tes­sper­re ver­schwin­de, und wir alle wer­den uns ken­nen und ach­ten, uns ein­an­der hel­fen und lie­ben ler­nen; wir wer­den bald wie­der Schwei­zer sein.“

Doch die Zen­sur war eine Tat­sa­che. Um sie zu umge­hen, gab es aller­dings eine gan­ze Rei­he von Mög­lich­kei­ten: Publi­ka­ti­on der Arti­kel und Streit­schrif­ten in ande­ren Kan­to­nen oder — solan­ge noch mög­lich — im Aus­land. Trox­ler nütz­te bei­de inten­siv. Die Lis­te der ent­spre­chen­den Zei­tun­gen, Wochen- und Monats­blät­ter ist lang. Als Glücks­fall erwies sich die Grün­dung der Appen­zel­ler Zei­tung 1828, die Trox­ler eine dau­er­haf­te Platt­form für sei­ne Publi­ka­tio­nen bot.

Zurück zum Leh­rer­ver­ein: Neben dem Trox­ler-Schü­ler Augus­tin Kel­ler, der im aar­gaui­schen Kir­chen­kampf noch eine ent­schei­den­de Rol­le spie­len soll­te, gab es einen zwei­ten, Ste­fan Gutz­wil­ler aus Ther­wil, der ohne es zu wol­len dafür sorg­te, dass Trox­ler schon bald wie­der in eine höchst dra­ma­ti­sche Situa­ti­on geriet, — dies­mal aller­dings nicht in Luzern, son­dern in Basel, wohin er 1830 als Pro­fes­sor der Phi­lo­so­phie beru­fen wor­den war.

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