Schlacht am Morgarten

Nun begann ein Heldenal­ter, ein Rit­ter­tum der Freien, das seines Gle­ichen in der alten Welt und in der neuen nicht gese­hen. Die Eidgenoßen, ein Name, den sie sich einem wahrhaft heili­gen Bund auf Leben und Tod, für Frei­heit Aller, und des Ganzen Selb­st­ständigkeit beze­ich­nend bei­legten, dem nach und nach die Luzern­er, die Zürcher, die Glarn­er, die Zuger und Bern­er sich zuge­sell­ten, schlu­gen und zer­stäubten begeis­tert die starken wohlgerüsteten und kriegskundi­gen Heere in den glo­r­re­ichen Schlacht­en am Mor­garten, bei Lau­pen, zu Tätwil, ob Sem­pach, vor Näfels. … Von kindlich from­mem Glauben an die all­wal­tende Got­theit gin­gen unsere Väter aus, mit kühn­stem Freisinn wider­strebten sie jed­er men­schlichen Anmaßung, mit heilig­stem Ern­ste bewahrten sie Gle­ich­heit in Ansprüchen und Recht­en unter sich, freudig opfer­ten sie Gut und Blut für das Vater­land, das sie sich geschaf­fen, dulde­ten wach­sam keine fremde Ein­mis­chung, ver­schmäht­en weis und edelmüthig jede Eroberung und waren selb­st gegen ihre Feinde men­schlich und gerecht. Sie liefer­ten den lebendig­sten Beweis, daß Gottes­furcht, Ein­tra­cht, Gemeingeist, Frei­heitssinn, Treue, Tapfer­keit und Gerechtigkeit die Grund­la­gen sind, aus welchen Staat­en erblühen, und den Völk­ern Glück, Macht und Ruhm zuwächst.”

Moment mal, sind wir da zufäl­lig in eine 1. Augus­trede von Christoph Blocher hineingeraten!?

Nun, dem ist nicht so: Es ist ein klein­er Auszug aus der berühmten Rede Trox­lers vor der Hel­vetis­chen Gesellschaft am 8. Mai 1822. Trox­ler also als Hur­ra­p­a­tri­ot und Vor­läufer der AUNS?

Hüten wir uns vor vorschnellen Plakatierun­gen. Es gibt ein paar Risse in dieser These, denen wir gle­ich nachge­hen wer­den. Doch zuvor ein­fach die Fest­stel­lung, dass Trox­ler im Jahre 1822 wie alle seine Zeitgenossen noch voll im mythis­chen Bild der Eidgenossen­schaft behei­matet war, wie es Johannes Müller in sein­er mehrbändi­gen Schweiz­er Geschichte zeichnete.

Mit diesem mythis­chen Bild ist heute kein gross­er Staat mehr zu machen: Heutige His­torik­er wie Thomas Mais­sen (“Schweiz­er Heldengeschicht­en”) oder Bruno Meier (“1291”) haben es gründlich zerpflückt.

Doch, um mit den Worten Peter von Matts zu sprechen: “So ein­fach ist es aber nicht. Wer die Geschichte vom Rütlis­chwur für die blanke his­torische Wahrheit hält, ist nicht das nai­vere Gemüt als der, der mit eben­so glänzen­den Augen “Mythos! Mythos!” ruft. Für jede Nation verdichtet sich ihre his­torische Herkun­ft in erre­gen­den Geschicht­en, die man erzählt bekommt und weit­er­erzählt. … Diese Geschicht­en haben eine emi­nente Funk­tion. Denn sie sind in ihrem Wesen poli­tis­che Ver­hal­tensan­weisun­gen. Sie reden vom richti­gen und vom falschen Han­deln.” (aus “Rede auf dem Rütli am 1. August 2009”, in “Das Kalb vor der Got­thard­post. Zur Lit­er­atur und Poli­tik der Schweiz”, Hanser Ver­lag 2012)

Damit sind wir wieder bei Trox­ler ange­langt, denn seine ganze Rede drehte sich um dieses The­ma: Richtiges und falsches Han­deln eines Staates.

Tui­le­rien­sturm

Erin­nern wir uns an die “Löwendenkmal”-Geschichte in Trox­ler 10: Der ster­bende Löwe stand bekan­ntlich für die hero­is­che Vertei­di­gung des franzö­sis­chen Königs Lud­wig XVI. durch die Schweiz­er Gardis­ten anlässlich des Tui­le­rien­sturms 1792, — für Trox­ler allerd­ings Sinnbild ein­er Eidgenossen­schaft, die ihre wahre Bes­tim­mung ver­rat­en hatte!

Dieser Ver­rat begann sein­er Ansicht nach schon kurze Zeit nach der Bundesgründung:
Aber schon das zweite Jahrhun­dert … fiel doch schon von dem Urquell aller wahren Großthat­en, von der hohen sit­tlichen Kraft, welche die erste Schweiz geschaf­fen, und den tugend­haften Nei­gun­gen, durch welche sie jet­zt gedieh, inner­lich ab.

Alter Zürichkrieg

Warum? Weil mit der Eroberung des Aar­gaus 1415 und später des Thur­gaus die ersten Unter­ta­nenge­bi­ete geschaf­fen wur­den. Weil es wegen eines Erb­schaft­stre­its zum ersten Bürg­erkrieg, dem Alten Zürichkrieg, kam. Weil der Krieg zur Ver­ro­hung der Sit­ten führte:
… acht wilde Kriegs­jahre hat­ten die Brüder gewöh­nt, sich feindlich anzuse­hen, und die Jugend aller Zucht ent­bun­den. Da streute Frankre­ichs Staat­slist ihren bösen Saa­men, es bot Gold für Blut, für Knochen Sil­ber — und Schweiz­er ließen sich kaufen.”

Und dann begin­nt seine eigentliche Standpauke:

Schweiz­er Reisläufer

Auf die erste Ver­let­zung der ewigen, der Frei­heit heili­gen Bünde durch die Herrschgi­er, durch die Bil­dung von Untertha­nen­lan­den im Umfange des Freis­taats, auf die Zer­störung der Ein­tra­cht und die Ver­wilderung der Sit­ten im ersten Bürg­erkriege, entwick­el­ten sich bald noch mehrere Keime des Verder­bens. Schon vor dem Aus­bruch der Bur­gun­derkriege … begann das Reis­laufen, und mit ihm der fremde Ein­fluß. Nach dem Tod Karl des VII. von Frankre­ich fühlten die fränkischen und bur­gundis­chen Fürsten den Vortheil, den das Fußvolk der Schweiz­er im Kampf gegen äußere Feinde. und zur Unter­drück­ung auf­streben­der Großen im Lande, über­haupt zur Befes­ti­gung und Erweiterung der Herrschaft gewähren konnte. …

Die Her­rn jen­er Zeit wur­den … nach Pfun­den gewogen, und leicht befun­den, die eid­genös­sis­chen Tage wur­den zu Stap­pelplätzen und Wech­sel­stät­ten entwei­ht, bald unter dem Namen von Geschenken, bald unter der Form von Jahrgeldern kam die gefährlich­ste aller Bestechun­gen, die für das Aus­land, in Schwung. … das Blut­geld für Lan­de­skinder, und der Sün­den­sold der Tode­spreis, mit dem die Unab­hängigkeit und Ein­tra­cht verkauft wurde, lief unter den herrschen­den Geschlechtern umher, die oft darin und in ihren Verbindun­gen mit Fürsten, welche in ihrem Lande selb­st die alten Ord­nun­gen zer­störten, die besten Mit­tel fan­den, die ein­heimis­che anges­tammte Frei­heit zu unter­drück­en. Das Vater­land schien feil gewor­den …

Jet­zt ver­ste­hen wir die Hal­tung Trox­lers angesichts des Löwen­denkmals und seinen Kampf gegen die restau­ra­tiv­en Kräfte bess­er, wenn wir lesen:
Die Söhne der Helden, die für unsicht­bare Güter gekämpft, wur­den feile Kriegsknechte der Willkühr. Was im Aus­land knechtisch diente, betrug sich zu Hause her­risch … Die Regierun­gen selb­st wur­den geheimnißvoll, hüll­ten sich, ihr Rathen und That­en in Dunkel, es gab kein öffentlich­es Leben mehr, so wie Vater­land und Frei­heit das Eigen­thum Weniger gewor­den. Das Recht der sich selb­st Begün­sti­gen­den herrschte, der Staats­geist erlag dem Stadt­geist, dieser der Geschlechtssucht: und eben so über­wältigte den Sinn für das All­ge­meine, für das Ganze, den wahren Patri­o­tismus der engherzige Kan­ton­al­geist, der sich in Miß­trauen, Eifer­sucht, in Span­nun­gen und Sper­ren, in Abson­derun­gen und in Ent­frem­dung gefiel, während er sich an Parteien und Fak­tio­nen dahingebend in seinem let­zten Rin­gen wieder an das Aus­land knüpfte. So kam es, daß endlich das Volk, welch­es in physis­ch­er Stärke und sit­tlich­er Kraft seines gle­ichen nicht hat­te, der Spiel­ball fremder Höfe, denen es sich selb­st hingegeben, lange Zeit sein Loos von aus­ländis­chen Mächt­en sich bes­tim­men ließ.

Hat­te Trox­ler recht mit sein­er Vision eines eid­genös­sis­chen Bünd­niss­es, das seine Wurzeln “in unsicht­baren Gütern” hat­te — “Gottes­furcht, Ein­tra­cht, Gemeingeist, Frei­heitssinn, Treue, Tapfer­keit und Gerechtigkeit” — , und das im Laufe der Zeit durch Hab­sucht und Eigen­nutz kor­rumpiert wurde?

Kloster Ein­siedeln

Als die Schwyz­er im sog. “Marchen­stre­it” mit dem Kloster Ein­siedeln mit dem Kirchen­bann belegt wur­den, gaben sie nicht wie erhofft klein bei, son­dern über­fie­len das Kloster, trieben die Mönche in der Dreikönigsnacht 1314 als Gefan­gene nach Alt­dorf und lösten damit das Ein­greifen der Hab­s­burg­er als Schutz­macht des Klosters aus. War die daraus fol­gende Schlacht am Mor­garten also Aus­druck von Frei­heitssinn, Gottes­furcht, Tapfer­keit und Gerechtigkeit, — oder waren sie vielmehr “Men­schen, die man nicht Men­schen nen­nen kann”, und “die man als Unge­heuer beze­ich­nen müsse”, wie der dama­lige Augen­zeuge Rudolf von Radegg meinte?

Diesen Fra­gen wird der Kolum­nist nachge­hen, wenn er dem Mythos von “Wil­helm, dem Tellen” nach­spürt. Für lese­freudi­ge Zeitgenossen sei als kleine Ein­stim­mung dazu schon mal die Lek­türe des Klas­sik­ers “Der Heros in tausend Gestal­ten” des berühmten Mytholo­gieforsch­ers Joseph Camp­bell empfohlen.

Und wer Lust hat, Trox­lers Rede ganz zu lesen, find­et sie als PDF im Anhang:Was ver­loren ist, was zu gewinnen

Wir wollen uns in der näch­sten Folge mit Trox­lers inten­siv­er und inno­v­a­tiv­er päd­a­gogis­ch­er Tätigkeit in Aarau auseinan­der­set­zen, bevor es in Basel zum näch­sten grossen Dra­ma in seinem Leben kam …

Fort­set­zung: Trox­ler 13

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