Fürst und Volk nach Buchanan’s und Milton’s Lehre” — was für ein brisan­ter Inhalt sorgte dafür, dass man in Luzern Trox­ler schle­u­nigst entsor­gen wollte?

Es ist für das Ver­ständ­nis nötig, das dama­lige poli­tis­che Umfeld etwas auszuleuchten:
1812 hat­te Spanien eine lib­erale Ver­fas­sung einge­führt, deren Grund­lage Rousseaus “Con­trat social” und die Sou­veränität des Volkes war. Nach dem Sturz Napoleons hob der zurück­gekehrte Fer­di­nand VII. die Ver­fas­sung auf, führte die Inqui­si­tion wieder ein und brachte die Lib­eralen in ein­er bru­tal­en Säu­berungsak­tion aufs Schafott.
Auch der Papst drehte damals — neben­bei erwäh­nt —  das Rad zurück: Ver­bot der Strassen­beleuch­tung im wieder hergestell­ten Kirchen­staat, Ver­bot der neu entwick­el­ten Pock­en­imp­fung und Rück­kehr der Juden in die Ghettos …

1820 stürzte die Armee den König und führte die Ver­fas­sung wieder ein, aber mit franzö­sis­ch­er Hil­fe wurde die absolute Monar­chie gle­ich wieder hergestellt. Doch das spanis­che Beispiel wirk­te: Es brachen Rev­o­lu­tio­nen in Por­tu­gal, Neapel, Piemont und schliesslich 1821 auch in Griechen­land aus.

Trox­ler schrieb damals in einem Brief “Spaniens Befreiung habe ich mit Ihnen im Herzen gefeiert”, — doch dann kam die kalte Dusche in Form eines Pam­phlets, geschrieben vom Bern­er Staat­srechtler und Poli­tik­er Karl Lud­wig von Haller: “Über die Kon­sti­tu­tion der spanis­chen Cortes”. Haller war zuvor — je nach Stand­punkt — berühmt oder berüchtigt gewor­den durch sein Mam­mutwerk “Restau­ra­tion der Staatwissenschaften”, in dem er jegliche Volkssou­veränität radikal in Abrede stellte und den Fürsten als von Gott einge­set­zte Herrsch­er die alleinige und absolute Staats­ge­walt zus­prach. Oester­re­ich und Preussen jubel­ten seinen Gedanken naturgemäss zu. Eine franzö­sis­che und ital­ienis­che Über­set­zung war erschienen.

Und nun vertei­digte der zur katholis­chen Kirche kon­vertierte Haller im Pam­phlet erneut die Inqui­si­tion und die Jesuit­en als Boll­w­erk gegen jegliche rev­o­lu­tionären Umtriebe. Das war für Trox­ler zuviel: Er musste dage­gen Posi­tion beziehen. Doch wie vorge­hen, um nicht gle­ich wieder im Gefäng­nis zu landen?

Seine Idee: Die Vertei­di­gung der Volkssou­veränität und des Wider­stand­srechts gegen eine ungerechte Herrschaft in Form ein­er “harm­losen” und anony­men Über­set­zung der Schriften der bei­den Englän­der George Buchanan und John Mil­ton aus dem 16. und 17. Jahrhun­dert zu ver­bre­it­en. Von Buchanan stammt der  Satz “Kings exist by the will of the peo­ple („Könige existieren durch den Willen des Volkes“), und Mil­ton, der berühmte Autor von “Par­adise Lost”, hat­te unter anderem die Hin­rich­tung des englis­chen Königs Karl. I auf­grund des Natur­rechts gerecht­fer­tigt, die Frei­heit der Völk­er als ange­borenes Recht vertei­digt, und er war ein radikaler Kri­tik­er des Katholizis­mus, den er als eine poli­tis­che Partei darstellte, die unter dem Schein ein­er Kirche die priester­liche Tyran­nei anstrebe. — Trox­ler, der überzeugte Katho­lik, der radikalen Kri­tik­ern der katholis­chen Kirche das Wort erteilt? Auf diesen Wider­spruch werde ich später noch einge­hen müssen.

Trox­ler war sich des Risikos dieser Veröf­fentlichung dur­chaus bewusst, als er schrieb “Da kön­nte man sich doch leicht die Fin­ger ver­bren­nen, um so mehr, wenn man mit Mil­tons Grund­sätzen fast ganz einig ist” oder “… mir selb­st bangt zuweilen, … dass dies jetz raus her­aus soll, — aber es muss doch sein, und bald. … aber so ein­sam, so ange­fein­det, wie ich hier ste­he, wird mir oft bang und weh in meinem Innern.” — Doch sein Kampfeswille set­zte sich durch: “Meinen Buchanan und Mil­ton will ich den Kerls an den Kopf wer­fen!” und “... Ich aber bleibe fest, und erk­läre, dass, wenn Despo­tismus durch Haller vertei­digt wer­den durfte in der Schweiz, auch eine Wider­legung ges­tat­tet sein müsse.

Seine Schrift stiess auf gross­es Inter­esse. Obwohl in den Kan­to­nen Luzern und Bern sofort ver­boten, war die erste Auflage schon nach sechs Wochen ver­grif­f­en. Die Luzern­er Regierung, die natür­lich begriff, wer hin­ter der anony­men Schrift steck­te, pack­te die gün­stige Gele­gen­heit und entliess  Trox­ler nach ein­er bewegten Diskus­sion auf der Stelle wegen staats­feindlich­er Hal­tung und Ans­tiftung zum Königsmord.

Trox­lers Schick­sal war in aller Leute Munde, auch im Aus­land. Ein Spitzel­bericht hielt fest: „Im Kan­ton Luzern schimpft der Pöbel und Nicht­pö­bel öffentlich und auss­chweifend auf die Luzern­er Regierung; denn Trox­ler hat die Verehrung und Teil­nahme dieses Pub­likums durch liebenswürdi­ge Per­sön­lichkeit und seine Gelehrsamkeit in einem solchen Grade erlangt, dass es nicht zu viel ist, wenn man sagt, er werde wie ein Gott ange­betet; beispiel­los ist der Enthu­si­as­mus für diesen Mann. […] Es wird hin­re­ichen, zu sagen, dass Trox­ler unter den poli­tis­chen Refor­ma­toren in der Schweiz ein­er der allergewichtig­sten und gefahrbrin­gend­sten ist.

Diese ehrlose Ent­las­sung hat Trox­ler lange Zeit nicht ver­wun­den. Vom sicheren Aarau aus geis­selte er im Anschluss noch ein­mal die Missstände des Schul­we­sens und der klerikalen Vorherrschaft in Luzern mit zwei weit­eren Brand­schriften: “Luzerns Gym­na­si­um und Lyzeum” und “Kirchen­verbesserung”. Während seine Forderung nach ein­er Radikalre­form des Katholizis­mus kein gross­es Echo fand, han­delte er sich mit der Schulschrift eine gerichtliche Anklage des ange­grif­f­e­nen Lehrkör­pers ein. Er wurde vom Bezirks­gericht in erster Instanz tat­säch­lich wegen Belei­di­gung verurteilt, wandte sich daraufhin an das Appel­la­tion­s­gericht, wo er sich in ein­er dreistündi­gen Rede sel­ber vertei­digte und — abge­se­hen von ein­er Geld­busse von 60 Franken und dem Tra­gen der Gericht­skosten — von den Anschuldigun­gen freige­sprochen wurde. Seine Fre­unde beglichen die Rech­nung umgehend.

Woher holte Trox­ler eigentlich den Mut und die Energie, ungeachtet all der Nachteile für sein per­sön­lich­es Wohl für seine poli­tis­chen Ideen zu kämpfen? Eine Antwort darauf liefert seine Rede “Was ver­loren ist, was zu gewin­nen”, die er am 8. Mai 1822 — also mit­ten im Luzern­er Dra­ma — als Präsi­dent der Hel­vetis­chen Gesellschaft in Schinz­nach hielt. Sie stiess auf ein bre­ites Echo und gilt als eines der grossen “High­lights” in Trox­lers Schaf­fen. Ihr wollen wir uns deshalb in der näch­sten Folge zuwenden.

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