Störfall 1x rational-emotional
Nach all unseren Erkundungen und dem Zusammentragen von Einzelinformationen, staune ich ob der schieren Menge an Gefahrengütern, welche im Birsfelder Hafen gelagert sind. Obwohl uns die Verantwortlichen der lokalen Feuerwehr, Michael Schäfer, und der Chef für die Sicherheit in der Gemeinde, Daniel Lerch, glaubhaft versichert haben, dass sie alles im Griff haben und die Anlagen zudem rundum elektronisch überwacht werden, überfällt mich bei meinen Velo-Hafenrundfahrten jeweils trotzdem ein mulmiges Gefühl.
Bei der schieren Vorstellung, dass hier im Hafen rund 99’429 m3 Kerosin und in rund 60 Tanks, kreuz & quer über das Hafenareal verteilt, ein irrer Cocktail aus Diesel, Benzin, Methanol, Ethanol, Toluol, RBHC, ZLM, MZBE, HVO, FAME, Xylol, BF95, Dünger & Schüttgut (Eco Swiss, Fachstelle Grosstanklager, Jahresbericht 2019) gelagert wird, stehen mir die Haare zu Berge. Ob man diese gewaltigen Lager tatsächlich im Überblick haben kann und ob die Mannen der Basler Berufsfeuerwehr & das Laiencorps der Birsfelder Feuerwehr diese explosive Mischung im Störfall tatsächlich zähmen könnten, vage ich zu bezweifeln.
Wenn ich neben diesen Tanks stehe, durchzucken mich die Bilder der Schweizerhalle-Katastrophe vom 1. November 1986. Im Vorfeld des Grossbrandes einer Sandoz-Lagerhalle konnte sich ebenfalls niemand vorstellen, dass je etwas passieren könnte.
Nun, ich will keine Katastrophe herbeireden, aber die Ballung der Tanks und Chemielager im Birsfelder Hafen ist ungeheuerlich und nicht haltbar. Es ist auch nicht einsichtig, warum Birsfelden für die ganze Schweiz als Gefahrengüter-Lagerplatz den Kopf hinhalten muss, notabene ohne einen Franken Entschädigung zu erhalten. Was mir bei diesem ganzen Szenarium aber nachwievor nicht einleuchtet, wieso sich unsere Volksvertreter keinen Deut um diese desaströse Situation kümmern und sich entsprechend, sowohl beim Bund, wie auch bei Kanton beschweren und Remedur einfordern.
Keinen Durchblick erhalten wir, wenn wir uns nach den Kosten und Geldflüssen erkundigen. Für die Feuerwehr wirft die Gemeinde jährlich rund 600’000 Franken auf. Damit finanziert sie ein 65-köpfiges Feuerwehr-Corps. Einsatz: 365 Tage & 24 Stunden. Weil das aber fast ausschliesslich Laien (qualifizierte & ausgebildete Laien, notabene!) sind, werden die Einsätze auch nur mit einem bescheidenen Sold honoriert. Defacto sind die Mannen im Hafen gratis im Einsatz. Regelmässig sind sie unterwegs, wenn auf dem Rhein Ölschlieren auftauchen, oder die Legacy Pharmaceuticals Switzerland («Wir bedienen hauptsächlich die Europäischen, US‑, Nahost‑, GUS- und Asien-Pazifik-Märkte«), wiedereinmal irgendwo ein Leck hat. Aber dies fällt jetzt unter das «Betriebsgeheimnis«…
Wer diese regelmässigen Einsätze bezahlt, wissen wir nicht. Vermutlich, wir, die SteuerzahlerInnen. Klar ist: Der Verantwortungsbereich der Birsfelder Feuerwehr schliesst per Feuerwehrgesetz das gesamte Hafenareal mit ein. An den Kosten beteiligt sich der Kanton aber wiederum nur marginal. Er stellt ein paar Spezialfahrzeuge, inklusive ein paar Gummibooten für die Sondereinsätze zur Verfügung.
Zu den Spezialaufwendungen der Gemeinde zählt übrigens auch ein separates Abwassersystem, welches kontaminierte Abwässer auffangen und reinigen kann. Der Unterhalt dieser Anlage ist ebenfalls Sache der Gemeinde. Die Anrainer müssen zwar eine Aufwandsentschädigung bezahlen, aber ob die Kosten (Unterhalt & Amortisation) damit gedeckt werden können, entzieht sich unserer Kenntnis.
Die Störfall-Karten im Hafenperimeter zeigen verschiedene Störfall-Sektionen. Die Verwaltung, inkl. Bewilligung, dieser Störfall-Quellen liegt beim Kanton. Die Gemeinde kann dies nicht beeinflussen und muss die Situation zur Kenntnis nehmen. Im Alltag haben die potentiellen Störfallquellen aber kaum Einfluss auf den wirtschaftlichen Ablauf des Geschehens.
Entlang der Sternenfeldstrasse tangieren die Störfallperimeter der Tanklager u.a. die Wohngebiete im Sternenfeld (Hochhäuser) zwar erheblich, aber das scheint niemanden zu stören. Den effektiven Störfall (sprich: Brand der Tanklager) mag sich einfach niemand vorstellen.
Turnusgemäß versichern uns die Verantwortlichen, dass man die Problematik auf dem Radar habe, aber natürlich sind ihnen (wie immer) die Hände gebunden. Einmal ist der Bund zuständig, ein andermal der Kanton und wenn keiner zuständig ist, dann haben die SRH mit einer Pachtverlängerung die nötigen Sachzwänge schon geschaffen. Auch in den Strategiepapieren wird ab und an vage von einer Reduktion der Mineralöllager gesprochen, aber immer ohne verbindliche Agenda, ohne Konzept und (ganz wichtig) ohne die verantwortliche Behörde zu benennen, welche für eine entsprechende Umsetzung zuständig wäre. Auch die SRH hat bezüglich Dezimierung der Tanklager keinen klaren Auftrag erhalten, oder ist auf ein entsprechendes Moratorium bei der Vergabe der Baurechte verpflichtet worden.
Daher ist es ein Leichtes diese Pendenz beliebig vor sich her zu schieben. Irgendwann ist Mann nicht mehr im Amt, wechselt den Job, oder ist pensioniert. Der Bevölkerung kann man jederzeit vorgaukeln, dass der Rückbau der Mineralöllager kurz bevorsteht, die Dinge im Fluss sind und eine Entwicklung hin zum Besseren (Industrie 4.0, Smart City, Kreislaufwirtschaft, Clean Tech, oder wie die Luftschlösser alle heissen) unmittelbar in Angriff genommen werden könnte. Entsprechend werden in Abständen neue Entwicklungspapier erstellt, Planer mit weiterführenden Aufträgen gefüttert, eine aufgepeppte Website installiert, ein Branding und Logos implantiert. Nach der gepushten und medial ausgewerteten Anfangseuphorie beginnt die Begeisterung zu schwächeln und der Courant normal hält Einzug. Das wär’s dann wiederum für ein paar Jahre gewesen.
Ende der Durchsage!
Bilder: Titel und Zwerg: Franz Büchler, Playmobil: Christoph Meury
Franz Büchler
Jun 23, 2020
Dass im Hafen genügend Ethanol vorhanden war zur Herstellung der mangelnden Desinfektionsmittel, wurde irgendwann ja schon einmal erwähnt.
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Wenn ich jetzt noch wüsste, was RBHC, ZLM, MZBE, HVO, FAME und BF95 ist, wüsste ich wenigstens vor was ich Angst haben muss.
Christoph Meury
Jun 23, 2020
Tja, offensichtlich im Chemieunterricht nicht aufgepasst…
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Die Verantwortlichen für Sicherheit können dir sicher sagen, was die Abkürzungen allesamt bedeuten, wofür sie verwendet werden und ob sie harmlos oder gefährlich sind. Vielleicht weiss auch die Feuerwehr Bescheid, oder die ABC-Wehr Baselland: «Kommt es im Kanton Basel-Landschaft zu einem Ereignis, bei dem atomare, biologische und chemische Stoffe austreten, zählen die Einsatzkräfte auf die Unterstützung der ABC-Wehr Basel-Landschaft. Das in Chemie- und Strahlenwehr, Mess- und Analyseverfahren sowie Dekontaminationsmassnahmen spezialisierte Team wird von der Industriefeuerwehr beider Basel Standort Schweizerhalle gestellt und steht unter der Leitung des Amts für Militär- und Bevölkerungsschutz. Bedarfsgerecht und in Zusammenarbeit mit der Feuerwehr setzt die ABC-Wehr Einsatz- und Schutzmaterial ein und kümmert sich um die Abdichtung, Bergung und Neutralisierung von Schadstoffen«.
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HVO ist hydriertes Pflanzenöl / FAME Fettsäuremethylester (Biodiesel) / BF95 ist Benzin / MZBE organisch-chemische Verbindung aus der Stoffgruppe der aliphatischen Ether (Lösungsmittel) / Rubidiumcarbid, eigentlich Rubidiumacetylid, ist eine chemische Verbindung des Rubidiums (Rubidium, das weiche, silbrigweiß glänzende Alkalimetall entzündet sich spontan bei Luftzutritt.) / etc.
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Mit offenem Feuer wäre ich in Tanknähe daher eher vorsichtig.
Franz Büchler
Jun 23, 2020
Gar nicht aufpassen können / dürfen!
Knabenrealschule KRS Wettstein. Chemieunterricht gabs nicht. Im Abschlusszeugnis stand »tritt aus«, d.h., wenn ich nicht schon genügend Schuljahre gehabt hätte, wäre ich geflogen … siehe auch in meinem übernächsten Artikel …
Hans Kästli
Jun 23, 2020
Danke vielmals für das aufmerksam machen
über diesen höchst gefährlichen “Blindgänger” im Hafen Birsfelden ! Unbedingt dem zuständigen Amt melden !
Herzlich Hans Kästli
Franz Büchler
Jun 24, 2020
Den zuständigen Amt etwas zu melden ist völlig unnötig! Denn die wissen das seit Jahrzehnten.
Michael Schäfer
Jun 26, 2020
Ich danke den Laienjournalisten (nota bene für Laien professionell schreibend) für diesen interessanten, wenn auch leicht tendenziösen Bericht. Hoffen wir alle, dass nie etwas passiert. Über die Eintretenswahrscheinlichkeit und die Wirksamkeit der in den letzten Jahren stark verbesserten stationären Präventivmassnahmen gehen die Meinungen zwischen sicherheitstechnischen Laien (hier sind die Hobbyjournalisten gemeint) und den Fachleuten (wir und die kantonalen Ämter) offensichtlich auseinander 🙂
Professioneller (Laien-)Feuerwehrkommandant Michael Schäfer
PS: Wir haben in unseren Reihen auch einige Berufsfeuerwehrleute, die in ihrer Freizeit bei uns Dienst leisten… wenn man es nicht weiss, merkt man es nicht. Was nicht gegen sie, sondern für uns spricht…
PPS: Leider kann ich hier kein Bild anhängen… hätte bestimmt etwas Geeignetes, das in Eure Bebilderung passt 🙂
Christoph Meury
Jun 26, 2020
Die humorvollen Ergänzungen und Präzisierungen von Michael Schäfer nehmen wir natürlich gerne zur Kenntnis.
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Vielleicht müsste man gutschweizerisch eher von einer Feuerwehr im Milizsystem reden. Dabei würde klarer, dass die öffentlichen Aufgaben der Feuerwehr meist nebenberuflich ausgeübt werden.
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Sinngemäss würden wir dann zu Milizjournalisten mutieren. Allerdings ohne öffentlichen Auftrag, aber als sinnvolle Ergänzung der kommunalen Medien und als freiwilliger Medienkanal für Birsfelder Anliegen.