Von einer gewissen historischen Aura war die Gemeindeversammlung am vergangenen Montagabend spürbar umgeben. Dies nicht wegen der übervollen Traktandenliste und der damit einhergehenden Befürchtung um eine neue Rekorddauer. Es war mehr die greifbare Wahrscheinlichkeit, dass sich durch die Entscheide des Abends Birsfelden endlich wieder einmal bewegen und verändern können wird.
Die letzten grossen Entwicklungs- und Bauprojekte in der Gemeinde liegen Jahrzehnte zurück. Der Schreibende hat sie selber nicht erlebt. Unmittelbar in der Erinnerung sind gerade noch der Neubau des Alterszentrums und der benachbarten Alterswohnungen, die Wohngenossenschaft Hagnau und dann vielleicht noch die Überbauung des Geländes der Coca-Cola-Fabrik. Und dann war da noch der Bau der Sporthalle in den Nullerjahren. Viel mehr ist in Birsfelden sonst nicht passiert in den letzten 25 Jahren. Und nun an einem Abend zwei Gelegenheiten, der Gemeinde Entwicklungsschritte zu ermöglichen: Eine historische Gelegenheit für die jüngere und die übermässig anwesende ältere Generation.
Der positive Beschluss zum BLKB-Filialkauf ging ohne grössere Diskussion über die Bühne. Spannend sind in diesem Zusammenhang eigentlich nun noch zwei Fragen: 1. Warum ist der bekannte Verfechter von Mietlösungen für Verwaltungsnutzungen Hiltmann plötzlich für eine Eigentumsstrategie? 2. Was kommt auf die Parzelle an der Hardstrasse? Die Antwort auf die zweite Frage werden wir wohl bald erhalten.
Ums Eingemachte, bzw. zuerst ums Eintreten, ging es dann erwartungsgemäss bei der Zentrumsplanung. Nach der 40-minütigen Präsentation des Gemeindepräsidenten, welche die bereits Informierten als WC-Pause nutzten, waren klare Voten gegen das Vorhaben zu hören: Zu dicht, zu riskant, nicht legitimiert. Der Eintretensentscheid fiel trotzdem deutlich. Stimmungstest bestanden.
In der anschliessenden Diskussion blieben die in der Eintretensdebatte angerissenen Argumentationslinien ungefähr die gleichen. Viele v.a. grüne Voten für den Erhalt von Freiraum, Baumbestand und damit einhergehend den englischen Rasenflächen und dem grossen Freiluftparkplatz wurden so lange gewälzt, bis die Argumente sich in der eigenen Kausalkette verfingen. Auch weil erstaunlicherweise eine Anwohnermobilisierung ausgeblieben ist, enschied sich die Versammlung schliesslich dafür “dem Ergebnis der Projektüberarbeitung grundsätzlich zuzustimmen” und den Kredit für den Quartierplan freizugeben.
Klar ist nach dem GVS-Montag nun definitiv: Die Zentrumsverdichtung ist mit der Zustimmung zum Quartierplanungskredit nun endlich demokratisch legitimiert. Dass diese Legitimation an “nur” knapp 400 anwesende Stimmberechtigte deliegiert wurde, lässt zwar zu wünschen übrig. Doch die deutliche Zustimmung von 75 % zeigt, dass es kein Zufallsresultat war und die Birsfelderinnen und Birsfelder bereit sind, das Dorf nach Jahrzehnten des Dornrösschenschlafs in eine neue Zukunft zu lenken. Das neue Zentrum wird positive Impulse setzen und darauf wartet Birsfelden schon sehr lange.
Schade, dass rund 100 Leute nach dem Zentrumsentscheid den Rest des Abends nicht mehr in der Versammlungsgemeinschaft verbringen wollten. Von der kühlen Sporthalle gings wahrscheinlich nach Hause in den beheizten Wintergarten zur Sportschau oder zum Runterspülen des Zentrumsentscheids. Die trockene Materie “Budget” schien nach 23 Uhr auch für diejenigen kein Bleibegrund mehr zu sein, die davor noch bemängelt haben, dass eine Finanzstrategie zum Tragen künftiger Investitionen fehle. Der Finanzplan bis 2023 und die Erläuterungen dazu hätten vielleicht die eine oder andere Frage beantworten können…
Sonstige Erkenntnisse und Gedanken des Abends:
- Die Traktandenlisten-Dramaturgie darf nicht unterschätzt werden. Trotzdem wäre es wieder einmal spannend, Kausalitäten durcheinander zu bringen.
- Die Nach-Subventionierung von Pfahlbauten der Stiftung Abendrot hätte auch am Volk vorbeigeschmuggelt werden können. Solche Sachen erlaubt offenbar der partnerschaftliche Baurechtsvertrag.
- Bei Diskussionen um organisierte Kunststoffsammlungen sollte an einem langen Abend nicht zu viel Öl ins Feuer gegossen werden, sonst überhitzen die Gemüter zu früh.
- Früher haben die Schulklassen Papier gesammelt. Vielleicht könnten sie heutzutage mal eine Plastik-Sammlung machen?
- Grosse Krippen(betreiber) haben Angst vor kleinen Krippen und grosser Krippenkontrolladministration. Ob die Krippenkontrolle schon bei den ganz kleinen Krippen im Museum war?
- Bei Beratungsbedarf in Stockwerkeigentumsfragen würde ich mich an Patrick Rüegg wenden.
- Kurz vor Mitternacht sollte sich keine profilierungswillige Partei mit Budgetkosmetik-Anträgen unbeliebt machen.
- Vom Staat finanzierte Velopumpen sind definitiv überflüssig.
Stephan Zahno
Dez 12, 2018
Flammende Plädoyers und populistische Poltereien: An der letzten Gemeindeversammlung wurden wieder mal basisdemokratisch Entscheide getroffen — könnte man meinen. Denn obwohl die beinahe 400 Stimmberechtigten einen vergleichsweise grossen Andrang bedeuteten, so entschieden doch letztlich selbst grosszügig geschätzt nur rund 10% der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger über das zukunftsweisende Projekt der Zentrumsentwicklung.
Dass unter den Anwesenden der Anteil an Jungen, welchen “die Zukunft gehört”, wie es immer heisst, verschwindend klein war, wirft noch verstärkt die Frage auf, ob die Gemeindeversammlung für eine grosse Gemeinde wie Birsfelden heutzutage noch repräsentativ sein kann.
Aus diesem Grund plädiere ich für die Einführung eines Einwohnerrates.
Franz Büchler
Dez 12, 2018
Lieber Stephan
Das mit den Jungen siehst du ganz richtig. Allerdings fehlten die Jungen nicht nur an dieser Gemeindeversammlung. Sie fehlen an jeder Gemeindeversammlung! Und so ganz unter uns: Auch dich habe ich erstmals an einer Gemeindeversammlung erlebt.
Dass die enttäuschten Projektgegner den Saal nach der Abstimmung verlassen haben und das Budget 2019 inklusive Finanzplan bis 2023 dem Rest der Anwesenden überlassen haben, war ebenfalls deprimierend.
Es bleibt aber noch immer die Möglichkeit des Referendums. Vielleicht findest du die 500 Jungen, die da mitziehen und Interesse an der Zukunft haben?
Solltest du aber das Projekt Einwohnerrat wieder einmal auf die Schienen bringen, helfe ich gerne beim Unterschriftensammeln. Allerdings habe ich das schon einmal mitgemacht und wurde enttäuscht … das war am 31. Oktober 2011, als in der Sporthalle nach diversen Winkelzügen die Einführung des Einwohnerrats versenkt wurde.
Alex Gasser
Dez 12, 2018
Lieber Jungbürger Stephan Zahno
Schlussendlich stellt sich doch die Frage, wer über die Zukunft in jeglicher Art bestimmen soll und darf. Zum Beispiel Zentrumsentwicklung. Die Ü80 dürften nicht abstimmen, weil sie mit einiger Wahrscheinlichkeit den End-Bau-Streich nicht erleben werden. Die U30 dürften nur dann abstimmen, wenn sie sich eidlich verpflichten, immer in Birsfelden zu bleiben.
Das ist natürlich totaler Blödsinn. Aber ich meine, dass ein Einwohnerrat mit diesem zukunftsträchtigen Entscheid überfordert wäre.
Demokratie funktioniert nur, wenn sie gelebt werden. Was wiederum bedeutet, dass man sich dafür engagieren muss.
In diesem Sinne Frohe Weihnachten und erfüllende kommende Jahre hin zum echten Birsfelder Zentrum.