Wiener Kongress!! Kongress der aristokratischen Sieger über Napoleon, den französischen Emporkömmling, der inzwischen gefangen auf der Insel Elba sass: 16’000 Besucher in Wien, das damals nur wenig mehr Einwohner hatte als Basel heute! Zwei Kaiser, sechs Könige, ein paar Dutzend Fürsten waren angetreten, den europäischen politischen Trümmerhaufen wieder neu zu ordnen, — natürlich gemäss ihren höchst konservativen Ansichten: „Heilige Allianz“ hiess das Zauberwort.
Nachdem sich wie erwähnt die wackeren Eidgenossen unter massivem Druck der Alliierten knapp vor Torschluss auf einen wackligen Kompromiss geeinigt hatten, schickte die Tagsatzung drei Abgeordnete nach Wien, um dem Kongress den neuen Bundesvertrag vorzulegen.
Es gab nur ein kleines Problem: Abgesehen davon, dass sich das Schweizer Triumvirat schon selbst nicht grün war, — der Basler J.H. Wieland und der Freiburger J. den Montenach hatten z.B. diametral entgegengesetzte politische Ansichten — , schickten einige Kantone und diverse Parteien noch ihre eigenen Gesandten. Der preussische Gesandte Varnhagen meinte damals verzweifelt: „An Abgeordneten der schweizerischen Freistaaten war kein Mangel, wohl aber an Zusammenhang und Nachdruck in allem, was hier zu wünschen und zu bezwecken war“, — etwas einfacher formuliert: perfektes Chaos!
Um diesen gordischen Knoten zu lösen, regten die beiden alliierten Diplomaten, die schon in Zürich die Tagsatzung unter Druck gesetzt hatten, die Schaffung eines besonderen Ausschusses an mit dem Ziel, sich die höchst unterschiedlichen Ansichten und Wünsche der Schweizer Vertreter anzuhören und dann zu einem salomonischen Urteilsspruch zu gelangen.
Inzwischen war auch Ignaz Troxler in Wien eingetroffen. Soweit so gut. Die Frage war nur: Wie konnte er sich als Privatmann, der die Interessen von ein paar Luzerner Demokraten vertreten wollte, hier überhaupt Gehör verschaffen? Da war guter Rat teuer.
Doch dann winkte ihm das Glück: Er traf auf einen alten Bekannten in Wien, Karl August Varnhagen von Ense, Mitglied der preussischen Delegation, und der arrangierte für ihn im Januar 1815 endlich ein persönliches Gespräch mit Wilhelm von Humboldt, Mitglied des Ausschusses! Daraus entwickelte sich zuhanden des Ausschusses in kürzester Zeit ein Memorandum und die Druckschrift „Über die Schweiz von einem schweizerischen Vaterlandsfreunde“.
Vielleicht hätten seine Vorschläge dort durchaus Gehör gefunden, wenn ihm Napoleon nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte. Der betrat am 1. März 1815 bekanntlich wieder französischen Boden und übernahm kampflos erneut die Herrschaft. 100 Tage später sollten ihn allerdings die Engländer nach dem Sieg in Waterloo auf einer kleinen Insel im Atlantik definitiv entsorgen …
Angesichts dieser dramatischen Entwicklung erarbeitete der Ausschuss in höchster Eile einen Vertrag, der von den acht Kongressmächten Österreich, Russland, Preussen, Grossbritannien, Spanien, Portugal und Schweden schon am 20. März 1815 unterzeichnet wurde. Damit waren die Grundlagen für ein neues Kapitel in der Schweizerischen Eidgenossenschaft gelegt. Wer sich genauer dafür interessiert, findet alle relevanten Details hier.
Am 7. August besiegelte dann auch die Tagsatzung in Zürich die Beschlüsse des Wiener Kongresses, — fast einmütig: Nidwalden weigerte sich, den Vertrag anzuerkennen. Die Tatsatzung musste schliesslich zu militärischen Mitteln greifen, um den kleinen Landstrich zur Vernunft zu bringen.
Aber neben Nidwalden gab es noch jemanden, der mit diesem Bundesvertrag gewaltig haderte: Ignaz Paul Vital Troxler. Noch 1832 war sein ganzer Zorn handgreiflich zu spüren, als er schrieb: „Der Bundesvertrag vom Jahre 1815 hat einen Riss in die ganze Schweizergeschichte gemacht; er hat nicht nur mit List und Gewalt die Vermittlungsakte von 1803, welche alle Herrschaften mit Vorrechten in der Schweiz aufhob, aufgehoben, hiemit das durch sie Aufgehobene von Grund aus umgekehrt, und ihr eine ganz fremdartige Grundlage gegeben, nämlich die Grundlage der heiligen Allianz, der Legitimität, des Stabilismus […]. Der Hochverrat, welcher im Jahr 1815 unter fremdem Einfluss an den Grundsätzen und Zwecken des Eidgenossenbundes begangen worden, ist eine Todsünde, eine himmelschreiende Sünde gegen den heiligen Geist der uralten ewigen Bünde und gegen die gesamte Schweizernation.“
Starker Tobak! Was war geschehen? Troxler hatte sich in seiner Denkschrift scharf gegen die restaurativen Kräfte ausgesprochen und für eine neue Schweiz gekämpft, die demokratischer und in sich geeinter sein würde. Darin wird in Ansätzen schon die Idee des Bundesstaates sichtbar, wenn er z.B. schreibt:
„Das Eine und das Viele. was hier versöhnt werden muß. liegt nicht, wie man jetzt noch allgemein wähnt. in einem Einheitsysteme, oder in einem Föderalismus. …“
oder „Es hat das kerngesunde Gefühl unserer Nation gegen die unbedingte Einheit und die lockere Vielheit gleich edel und muthig gekämpft, von jeher sicher erkennend, daß die Freyheit das Wesen nur von der Einheit, von der Vielheit aber die Form haben will, …“
Der Bundesvertrag des Wiener Kongresses erfüllte keine dieser Forderungen: Die Schweiz blieb weiterhin ein lockerer Bund von souveränen Staaten, was politische Ungleichheit bedeutete. Keine Niederlassungs‑, Handels- und Gewerbefreiheit, von der Pressefreiheit ganz zu schweigen: ein gewaltiger Rückschritt im Vergleich zur Mediationsverfassung. Die sog. Restauration hatte auf der ganzen Linie gesiegt!
Damit eröffnete sich für Troxler für die kommenden Jahrzehnte ein politisches Kampffeld, auf dem er mehr als einmal zum „verbalen Zweihänder“ griff, um seinen Ideen zum Durchbruch zu verhelfen. Man darf gespannt sein!
Doch zuvor wollen wir uns dem Werk zuwenden, das er in Wien verfasst hatte, das 1812 bei Heinrich Remigius Sauerländer in Aarau publiziert wurde, und in dem er die Grundlagen für sein Welt- und Menschenbild legte: “Blicke in das Wesen des Menschen”. Wer glaubt, es hier mit einem antiquierten Schmöker zu tun zu haben, wird sich in der nächsten Folge bald eines Besseren belehren lassen müssen …
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Herbert Holliger
Sep. 15, 2019
Herzlichen Dank, lieber Max Feurer, für diesen ausgezeichneten Beitrag mit interessanten Zitaten und wertvollen Bildern über die wechselvolle Entstehung unserer Eidgenossenschaft am Anfang des 19. Jahrhunderts. Mit Freude erwarte ich die Fortsetzung Nr. 8 in einer Woche!