Auch in der vergangenen Nacht war dem birsfaelder.li-Schreiberling das Glück hold: Unsere Landesmutter erklärte sich — dem magischen Code sei Dank! — ein weiteres Mal bereit, ihm Rede und Antwort zu stehen.
Sch(reiberling): Sei gegrüsst, edle Helvetia! Gestern hat die NZZ, die “Neue …”
Helvetia: Ich weiss, ich weiss, diese ehrwürdige Zeitung ist mir durchaus bekannt!
Sch: Dann hast du dein Bild mit dir als Hantelheberin ja auch gesehen. Schockiert es dich?
Helvetia: Nicht im geringsten. Auch die vielen Karikaturen, auf denen ich verewigt bin, sind manchmal interessanter als die Bilder, die vorgeben, meine Würde zu repräsentieren …
Sch: Du wirst mir immer sympathischer! Doch erlaube mir jetzt, auf die Frage vom letzten Mal zurückzukommen: Warum räumst du Wilhelm Tell trotz des SVP-Missbrauchs einen Ehrenplatz in der Geschichte der Eidgenossen ein?
Helvetia: Diese Frage könntest du eigentlich selber beantworten. Hast du nicht vor einiger Zeit einmal etwas über die Drei Tellen geschrieben?
Sch: Stimmt, hätte ich beinah vergessen … Ihr Schicksal war unerfreulich! Und sie teilten es mit Samuel Henzi im 18. Jahrhundert, der gegen die Berner Oligarchie ankämpfte und dabei seinen Kopf verlor. Sein Testament war ein Theaterstück: “Grisler (Gessler) ou l’ambition punie”. Im Urteil der Gnädigen Herren hiess es:
Also haben Wir auf den heutigen Tag Uns bey Eyden versammeln lassen, diese schwäre Missethaten, nach dem von GOTT Uns anvertrauten Hoch-Obrigkeitlichen Gewalt, Richter-Ampt und darmit verknüpfften Pflichten, zu bestraffen, damit Jedermann von dergleichen Greuel abgeschreckt, und gemeine Ruhe und Sicherheit unter dem Segen des Allerhöchsten erhalten werde.
Helvetia: Was hältst du von ihrer Berufung auf Gott?
Sch: Spannende Frage! Absolutistische Herrscher beriefen sich für die Legitimation ihrer Herrschaft ja seit jeher auf Gott. Andererseits beginnt der Bundesbrief 1291 mit “In Gottes Namen. Amen”. Und die Bundesverfassung von 1848 bekräftigte mit “Im Namen Gottes, des Allmächtigen”.
Helvetia: Und was hältst du von dieser Anrufung? Ist die Eidgenossenschaft ihr gerecht geworden?
Sch: Jetzt beginnst du aber in die Tiefe zu bohren …
Helvetia: Selbstverständlich. Dafür bin ich ja da!
Sch: (überlegt lange) Also …, wenn ich mir die Geschichte der Eidgenossenschaft so vor Augen stelle, müsste ich mich “Jein” antworten. Einerseits haben sich die Eidgenossen regelmässig zerstritten, waren voll Eigennutz und sind mehr und mehr in autokratische Strukturen abgerutscht — die drei Tellen und Samuel Henzi lassen grüssen — , andererseits gab es einen Faktor x, der verhinderte, dass diese Gemeinschaft auseinanderbrach … Ignaz Troxler, der eigentliche “Vater der Bundesverfassung von 1848”, war ein tief gläubiger Mensch, verankert im Geist der deutschen Mystik. Vielleicht gab es da im Hintergrund so etwas wie eine “führende Hand”? Vielleicht hat sie uns ja den Tell-Mythos geschenkt?
Helvetia: Was hältst du von der Überlegung, dass es so etwas wie eine “ewige Eidgenossenschaft” geben könnte, und die reale schweizerische Eidgenossenschaft ist einfach ein manchmal mehr, manchmal weniger gelungener Versuch, sich dieser anzunähern?
Sch: Moment mal .. Wenn ich diesen Gedanken aufnehme, würde das ja bedeuten, dass auch andere Länder den Weg der Eidgenossenschaft gehen können. Das wäre allerdings ein schwerer Schlag für die Exklusivität, die wir mehr oder weniger bewusst für uns in Anspruch nehmen!! Die junge SVP hat gerade “die Schlacht um die Seele der Schweiz” angekündigt!
Helvetia: (verdreht die Augen und bleibt stumm)
Sch: Ich würde den Gedanken der “ewigen Eidgenossenschaft” mit dir gerne noch etwas weiter erforschen. Würdest du dazu Hand bieten?
Helvetia: Das sei dir gewährt.
Diese Helvetia wird definitiv immer interessanter! Der Schreiberling freut sich schon auf die nächste Unterhaltung — hoffentlich nicht in allzu weiter Ferne ..
An anderen Serien interessiert?
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