Wann taucht unsere Helvetia als Landesmutter und Schutzpatronin in den Geschichtsquellen zum ersten Mal auf?
Kommt drauf an, in welcher Form …
In voller Blüte und Siegesgewissheit zeigt sie, wer auf diesem Bild das Sagen hat: Winkelried schaut staunend und voller Ehrfurcht auf die streitbare Landesmutter, die deutlich macht, wo’s ab jetzt lang geht, während Tell eher frustriert in die Ferne guckt …, doch nicht etwa eifersüchtig!?
Bei genauerem Hinsehen entdeckt man eine zerbrochene Kette in ihrer linken Hand. Der Grund: Der Neuenburgerhandel 1856, als General Dufour — uns vom Sonderbundskrieg her bestens bekannt — mit 30’000 Mann die Grenze am Rhein sichern musste. Wer wissen will warum, findet die spannende Geschichte dazu hier.
Finden sich Bilder der Helvetia auch früher? Das tun sie tatsächlich. Im nächsten Bild thront sie als strahlende Göttin, links umgeben von Symbolbildern des Volks und des Staats, rechts der Kirche und des Glaubens. Wir schreiben das Jahr 1813, mit der Völkerschlacht bei Leipzig Schicksalsjahr von Napoleon Bonaparte und damit auch seiner Mediationsakte für die zerstrittene Eidgenossenschaft.
Ein ganz ähnliches Bild findet sich aus dem Jahr 1780. Die holde Dame trägt diesmal einen Freiheitshut und hält ein Liktorenbündel, Sinnbild der Einheit. Die Französische Revolution ist nicht mehr fern … Zu ihren Füssen liegt ein Löwe. Zu ihrer Rechten sitzt lässig ihre Freundin aus Frankreich, zur Linken Clio, die Muse der Geschichtsschreibung, die im Spiegel die Wahrheit zu ergründen sucht. Von der Decke baumeln Medaillons mit den wichtigsten Schlachten der alten Eidgenossen.
Es gibt allerdings ein kleines Problem: Die Dame auf dem Thron heisst nicht Helvetia, sondern Libertas, — die Freiheit. Die man allerdings in der damaligen Eidgenossenschaft fast mit der Lupe suchen musste … Nichtsdestotrotz war ein konservativer Berner Flugblatt-Verfasser 1798 der Meinung, die Niederlage der Berner gegen die Franzosen bei Neuenegg habe der Helvetia den Todesstoss versetzt, als er das Blatt an einen Freiheitsbaum nagelte:
“Hier liegt begraben Helvetia! ihres Alters 490 Jahr, geboren auf dem Grütli, im Jahr 1308, gestorben den 5. Merz 1798”, — worauf ein zweites Flugblatt zirkulierte mit dem Hinweis, dass nur “Helvetia die ältere” zu Recht ins Grab gesunken sei und sich schon “Helvetia die jüngere” frohgemut erhebe.
Zum ersten Mal findet sich eine Abbildung der Helvetia in einer Wappensammlung aus dem Jahre 1750. Aber auch hier gibt es einen Haken: Sie versteckt sich offensichtlich noch zwischen ihren beiden Gespielinnen hinter ihrem Namenszug …
Doch vielleicht war sie ja schon früher da und hat sich einfach noch nicht mir ihrem wahren Namen zu erkennen gegeben, wie etwa auf diesem Bild?
Der Basler Historiker Georg Kreis schreibt dazu:
Die Schweiz als Jungfrau, umworben von den mit ihren Wappen gekennzeichneten europäischen Fürsten (…). Die Jungfrau, nicht als Helvetia bezeichnet, trägt eine Art Krone, auf der die Wappen der kantonalen Bundesgenossen und zugewandten Orte angebracht sind. Anonymes Ölgemälde um 1650, möglicherweise älteste weibliche Personifikation der Schweiz mit politischer Dimension. Auf der Schürze steht der folgenden Text (Auszug):
Sehet/Wie des Mahlers hand/ Mich, das wunder Schweizerland,/ Werthster Freyheit höchste Zier,/ Vunder frömbde Stände hier/ Thut in alter KeüschheitsTracht/ Stellen vor und meine Macht,/ Die Gott stärke gnädiglich,/ setzen Königreichern gleich. (…)
Doch auch hier klaffen Selbstbild und Realität ziemlich auseinander: Drei Jahre später erstickten die Gnädigen Herren von Bern, Luzern und Zürich die berechtigten Anliegen der Landbevölkerung nach Freiheit, mehr Autonomie und sozialer Gerechtigkeit in Blut und Asche. Vielleicht war es doch nicht die Helvetia …
(Sämtliche Bilder und Textauszüge stammen aus “Helvetia im Wandel der Zeiten. Die Geschichte einer nationalen Repräsentationsfigur” von Georg Kreis anlässlich der Ausstellung “Helvetia im Bild” der Schweizerischen Landesbibliothek 1991)
Nächste Folge am kommenden Donnerstag, den 13. September.
An anderen Serien interessiert?
Wilhelm Tell / Ignaz Troxler / Heiner Koechlin / Simone Weil / Gustav Meyrink / Narrengeschichten / Bede Griffiths / Graf Cagliostro /Salina Raurica / Die Weltwoche und Donald Trump / Die Weltwoche und der Klimawandel / Die Weltwoche und der liebe Gott /Lebendige Birs / Aus meiner Fotoküche / Die Schweiz in Europa /Die Reichsidee /Vogesen / Aus meiner Bücherkiste / Ralph Waldo Emerson / Fritz Brupbacher / A Basic Call to Consciousness / Leonhard Ragaz / Christentum und Gnosis / Helvetia — quo vadis? / Aldous Huxley