Selbst­ver­ständ­lich wur­de unse­re Hel­ve­tia auch für poli­ti­sche Zwe­cke ein­ge­spannt. Ein schö­nes Bei­spiel dafür aus dem 19. Jahr­hun­dert lie­fert das Titel­bild des Volks­ka­len­ders “Meis­ter Häm­mer­lin”, der von 1865 bis 1868 in Zürich erschien und mit Vor­lie­be die Inner­schwei­zer Katho­li­ken und den erz­kon­ser­va­ti­ven Papst Pius IX. mit sei­nen Dog­men der Unbe­fleck­ten Emp­fäng­nis Mari­as und der Päpst­li­chen Unfehl­bar­keit aufs Korn nahm. Eine jugend­li­che und streit­ba­re Hel­ve­tia hält, unter­stützt von Tell, Win­kel­ried, Pes­ta­loz­zi und Zwing­li, die reak­tio­nä­ren Kräf­te in Schach.

Um die Jahr­hun­dert­wen­de begann sich auch in der Schweiz der Kampf zwi­schen den bür­ger­li­chen Kräf­ten und der Arbei­ter­schaft zu akzen­tu­ie­ren, wie das Leben des Zür­cher Arz­tes Fritz Brup­ba­cher sehr schön illus­triert. Die Angst vor der Lin­ken war all­ge­gen­wär­tig. Eine Kari­ka­tur aus dem Jahr 1899 im “Neu­en Pos­til­lon”,  dem poli­tisch-sati­ri­schen Sprach­rohr der sozi­al­de­mo­kra­tisch orga­ni­sier­ten Arbei­ter­schaft zeigt eine Hel­ve­tia, die sich dank der Bun­des­po­li­zei zu einem Werk­zeug der Repres­si­on durch rechts­bür­ger­li­che Krei­se degra­die­ren lässt. “Spit­ze­lei”, “Poli­zei­li­che Über­wa­chung”, “Aus­wei­sung”, “Aus­lie­fe­rung der ita­lie­ni­schen Flücht­lin­ge”, “Ser­vil nach aus­sen” ist jetzt ange­sagt. Und auf der Hals­krau­se “Anar­chis­ten Rie­che­rei”.

Doch die Arbei­ter­schaft gab ihre Hel­ve­tia nicht kampf­los preis. Der noch vor der Ent­ste­hung des Bun­des­staa­tes 1848 gegrün­de­te patrio­ti­sche “Grüt­li­ve­r­ein”, der 1901 mit der Sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Par­tei fusio­nier­te, liess auf dem Titel­blatt sei­nes Grüt­li­ka­len­ders 1906 eine strah­len­de Hel­ve­tia als eigent­li­che Schutz­göt­tin der Arbei­ter auf­mar­schie­ren, die gleich­zei­tig uner­schüt­ter­lich zu ihren patrio­ti­schen Wur­zeln steht.

Ins­be­son­de­re gegen­über Anar­chis­ten, dem Alb­traum jeder bür­ger­li­chen Gesell­schaft, gab es kein Par­don. Und falls sich Hel­ve­tia von die­ser höchst gefähr­li­cher Ideo­lo­gie anste­cken liess, muss­te rasch und radi­kal gehan­delt wer­den, auch wenn die Hei­lungs­pro­ze­dur sich als etwas schmerz­haft erwei­sen soll­te: Offen­sicht­lich hat­te sie gewis­se Sym­pa­thien für radi­ka­le Lin­ke wie Fritz Brup­ba­cher gezeigt, der mit sei­nen Genos­sen Jahr­zehn­te vor der GSOA für die Abschaf­fung der Hei­li­gen Kuh “Schwei­zer Armee” kämpf­te, weil er sie ledig­lich als Repres­si­ons­in­stru­ment des Bür­ger­tums gegen die berech­tig­ten Anlie­gen der Arbei­ter­schaft ver­stand. Um Hel­ve­tia wie­der auf stramm bür­ger­li­chen Kurs zu brin­gen, war eine rasche Ope­ra­ti­on unumgänglich.

So konn­te sie wie­der guten Gewis­sens für die Ver­tei­di­gung der — aus der Sicht des Bür­ger­tums — “ein­zig wah­ren Eid­ge­nos­sen­schaft” ein­ge­setzt wer­den, wie das Pla­kat aus dem Nebel­spal­ter aus dem Jahr 1919 zeigt: Die Lan­des­mut­ter hält ihre schüt­zen­de Hand über den urchi­gen Berg­ler und schiebt die dunk­le Gestalt — die böse Lin­ke — weg, die sich mit fins­te­ren Absich­ten von hin­ten her­an­ge­schli­chen hat.

Es war zu erwar­ten, dass es sich die Schwei­zer “Frönt­ler” in den 30-er Jah­ren eben­falls nicht neh­men lies­sen, die Hel­ve­tia für sich zu bean­spru­chen. Zum Glück dau­er­te der Nazi-Spuk in der Schweiz nur ein paar Jahre …

Die nächs­te Fol­ge wie immer am kom­men­den Don­ners­tag, den 16. November.

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