1917 — Deutschland steckt nach den vielen brutalen Materialschlachten an der Westfront weiterhin im Stellungskrieg. Auch an der Ostfront bewegt sich nichts mehr. Doch im April bewegt sich doch etwas: Die USA erklären dem Deutschen Reich den Krieg und sorgen dafür, dass sich die Waagschale definitiv zugunsten der Alliierten zu neigen beginnt.
Ebenfalls im April begann ein publizistisches Kesseltreiben gegen Meyrink. In der antisemitischen Zeitschrift “Deutsches Volkstum” lancierte Albert Zimmermann, Freund des antisemitischen protestantischen Hofpredigers Adolf Stoecker, ein Attacke gegen Meyrink, einem “der
geschicktesten und gefährlichsten Gegner des deutschen, des völkischen Gedankens”, gefolgt von einer erweiterten 23-seitigen Flugschrift “Gustav Meyrink und seine Freunde”.
Worin bestand denn die Anklage? — Meyrink denke nicht nur international, sondern geradezu antinational, verfolge alle nationalen Bestrebungen mit der ihm eigenen Rücksichtslosigkeit. Fast jede seiner Novellen habe den Haupt- oder Nebenzweck, die Monarchie, die Offiziere, Vertreter des deutschen Volkes im Ausland oder überhaupt Deutsches lächerlich zu machen (Binder)
Damit hatten die aufgebrachten Deutschnationalen nicht unrecht: In Kurzgeschichten wie Die Erstürmung von Sarajewo, Petroleum, Petroleum oder Die Schwarze Kugel tauchen die Offiziere grundsätzlich als Schwachköpfe auf. Im Das verdunstete Gehirn verwandelt sich ein künstlich erzeugtes, selbständig denkendes Gehirn umgehend in ein schiefes Maul mit aufwärts gebogenem Schnurrbart, sobald ihm der Hauptmann Fritz Edler von Zechprell seinen Helm aufsetzt. Und in Schöpsoglobin sorgt ein Impfstoff dafür, dass er bei den Geimpften “in kürzester Zeit eine Art primären, patriotischen Koller” hervorruft, der sich bei “erblich belasteten Individuen sogar bis zur sogenannten unbehebbaren progressiven Patriomanie” steigere.
Aber auch “Verhöhnung deutscher Frauen” wurde ihm vorgeworfen. Im Der Saturnring etwa habe er sich auf niederträchtigste Weise über die “Pastorenweibsen” lustig gemacht.
“Für mein Gefühl liegt darin aber auch eine wahrhaft satanische Gemeinheit, die uns wohl das recht gibt, einen derartigen Spötter, der sich jeder sittlichen Hemmung entblösst, mit allem Nachdruck abzulehnen. Es gibt in dem offiziellen Schrifttum deutscher Sprache Weniges, das an Gemeinheit und sittlicher Niedertracht diesem gleich käme”, — so der Herausgeber der Zeitschrift “Deutsches Volkstum”. Diesen “völkischen Schädling” gelte es radikal zu bekämpfen: “Wir greifen jetzt an! Wir zeigen dem deutschen Volke die Gedanken und Pläne der Meyrink und Genossen — ihrer sind viele — heute schon.”
Zahlreiche Zeitungen verbreiteten die Pamphlete mit der Folge, dass Meyrink-Titel aus zahlreichen Buchhandlungen und Volksbibliotheken verschwanden. Seine Verleger wurden unter Druck gesetzt, man wolle aus ihren Verlagen keine Bücher mehr beziehen, solange Meyrink im Programm sei.
Die Starnberger Lokalzeitung begann einen Artikel mit dem Titel “Modergestank” mit den Worten: “Engländer und Franzosen überbieten sich zurzeit mit dem Bestreben, deutsches Wesen und deutsche Art vor der ganzen Welt herabzuwürdigen. Ihre Lästerungen aber sind jedoch noch glimpflich zu nennen gegenüber der Art, wie der leider in Starnberg lebende deutsche Schriftsteller Gustav Meyrink die deutschen Frauen in den Kot zieht.” Die Folge war, dass Meyrink von Starnberger Bäckern und Metzgern nicht mehr bedient und von aufgehetzten Arbeitern mit Steinen beworfen wurde.
Zwar wurde ihm Hilfe vom Schutzverband deutscher Schriftsteller zuteil: “Die Unterzeichneten, (darunter Heinrich Mann und Frank Wedekind), die Gustav Meyrink als Menschen von lauterster, vornehmster Gesinnung kennen und als einen unserer hervorragendsten Erzähler hochschätzen, legen gegen jene niedrigen persönlichen Angriffe Verwahrung ein und betonen, dass sie in seinen Werken niemals irgendwelche Verunglimpfungen, sondern nur die jedem Dichter freistehende Satire gegen lächerliche oder unerfreuliche Erscheinungen der Zeit gefunden haben.”
Und ein befreundeter Redaktor schrieb: “Will sich jedes Mal ein jedes Mitglied eines Standes beleidigt fühlen, wenn ein Satiriker seine Geissel über Seinesgleichen schwingt, dann können sogar die Fliegenden Blätter einpacken und Sebastian Brant kann froh sein, sein Narrenschiff geschrieben zu haben, bevor zu deutschen Patrioten sich Patriomanen gesellten. Nichts anderes aber meint Meyrink mit seinen Worten, er wolle sich gegen die “Teutobolde” wehren.”
Das nützte nicht viel. Meyrink wurde sogar als jüdischer Ausländer abgestempelt, obwohl er die bayrische Staatsangehörigkeit besass.
Was Meyrink über “Heimat” dachte, zeigt sich an einem auf den 31. Januar 1919 datierten Zettel mit dem Wortlaut:
“Das wahre Vaterland ist die Gemeinschaft anständiger Menschen”
In der nächsten Folge wenden wir uns wieder seiner schriftstellerischen Tätigkeit zu, denn nach dem Grosserfolg des Golem erschienen in rascher Folge zwei weitere Romane: “Das Grüne Gesicht” und “Walpurgisnacht”, — und dies wie immer
am kommenden Samstag, den 6. Februar.
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