Mari­an­ne Will­liam­son, ame­ri­ka­ni­sche jüdi­sche Frie­dens­ak­ti­vis­tin, Schrift­stel­le­rin und Bewer­be­rin für die kom­men­de Prä­si­dent­schaft in den USA, nahm vor kur­zem eben­falls Stel­lung zu den Hamas-Greu­eln und unter­nahm eine Ana­ly­se der Kon­flikt­hin­ter­grün­de aus ihrer Sicht. Hier ihr Kommentar:

ISRAEL UND HAMAS: AUGE UM AUGE LÄSST ALLE STERBEN

13.10.2023

Vor einer Woche kam es zu einem Ereig­nis, wel­ches das außen­po­li­ti­sche Kal­kül ver­än­dert hat. Die Situa­ti­on in Isra­el und im Gaza­strei­fen ist der­zeit extrem gefähr­lich, nicht nur für die Men­schen in die­sen bei­den Regio­nen, son­dern für die gan­ze Welt.

Schwarz-Weiß-Den­ken hilft nie­man­dem und hat kei­nen Platz in einer ernst­haf­ten Ana­ly­se der aktu­el­len Situa­ti­on. Hier gibt es vie­le Wahr­hei­ten gleichzeitig.

Gräu­el­ta­ten, wie sie von der Hamas an Zivi­lis­ten in Isra­el began­gen wur­den, waren Akte des puren Bösen, die gegen die grund­le­gends­ten Gebo­te einer mora­li­schen Welt ver­sto­ßen. Die Inva­si­on hat die Sache der Gerech­tig­keit für die Paläs­ti­nen­ser nicht vor­an­ge­bracht; wenn über­haupt, hat sie die Sache der Gerech­tig­keit für die Paläs­ti­nen­ser um Jahr­zehn­te und mög­li­cher­wei­se län­ger zurück­ge­wor­fen. Die Hamas ist eine ter­ro­ris­ti­sche Orga­ni­sa­ti­on, und dies war ein ter­ro­ris­ti­scher Angriff. Die Bestre­bun­gen der Hamas haben nichts mit dem Abschluss eines Frie­dens­ab­kom­mens mit Isra­el zu tun. Ihr erklär­tes Ziel ist die voll­stän­di­ge Aus­lö­schung des Staa­tes Isra­el, und sie wer­den sich mit nichts Gerin­ge­rem zufriedengeben.

Wäh­rend oft — fälsch­li­cher­wei­se — behaup­tet wird, das Ziel Isra­els sei die Aus­rot­tung der Paläs­ti­nen­ser, ist das erklär­te Ziel der Hamas in Wirk­lich­keit die Aus­rot­tung der Juden. Es ist klar, dass sie es ver­su­chen, und man kann nicht erwar­ten, dass Isra­el nicht dar­auf reagiert. Nie­mand hat erwar­tet, dass die Ver­ei­nig­ten Staa­ten nach dem 11. Sep­tem­ber nicht gegen Al-Qai­da vor­ge­hen wür­den, und nie­mand soll­te erwar­ten, dass Isra­el nicht gegen die Hamas vor­ge­hen wür­de. Natür­lich haben wir das getan, und natür­lich wer­den sie es tun.

Aber “Auge um Auge” macht nicht nur alle blind, son­dern in die­sem Fall auch alle tot. Wäh­rend ich tage­lang über ein Ereig­nis geweint habe, bei dem zehn­mal mehr Juden aus­ge­löscht wur­den als in der Kris­tall­nacht star­ben, wei­ne ich jetzt die­sel­ben wüten­den und hilf­lo­sen Trä­nen für die über zwei Mil­lio­nen Men­schen, die im Gaza­strei­fen leben, von denen über die Hälf­te Kin­der sind.

Es müs­sen sofort huma­ni­tä­re Kor­ri­do­re ein­ge­rich­tet wer­den. Die Bela­ge­rung muss been­det und die Strom­ver­sor­gung sofort wie­der­her­ge­stellt wer­den, damit die Kran­ken­häu­ser mehr als nur Fried­hö­fe sein kön­nen. Der Zivil­be­völ­ke­rung des Gaza­strei­fens und aus­län­di­schen Staats­an­ge­hö­ri­gen muss siche­res Geleit gewährt wer­den. Die füh­ren­den Poli­ti­ker der Welt — ein­schließ­lich der Euro­pä­er und der Ara­ber — tele­fo­nie­ren heu­te sicher­lich hin und her und ver­su­chen ver­zwei­felt, eine huma­ni­tä­re Lösung aus­zu­han­deln, einen Waf­fen­still­stand her­bei­zu­füh­ren und die Ver­sor­gung mit Was­ser, Lebens­mit­teln und medi­zi­ni­schen Gütern wiederherzustellen.

Die Hamas ist nicht das paläs­ti­nen­si­sche Volk; in Wirk­lich­keit übt die Hamas eine dik­ta­to­ri­sche Macht über ihr eige­nes Volk in Gaza aus. Doch unschul­di­ge Paläs­ti­nen­ser und Israe­lis zah­len bereits einen schreck­li­chen Preis für die Gescheh­nis­se, und ihre Sicher­heit muss für die Welt eben­so hohe Prio­ri­tät haben wie die Sicher­heit unschul­di­ger Israelis.

Die Hamas hat ange­kün­digt, dass sie eine nach der ande­ren der 150 Gei­seln hin­rich­ten wird, wenn Isra­el mili­tä­risch gegen den Gaza­strei­fen vor­geht, was die Ange­hö­ri­gen der Gei­seln und die gesam­te israe­li­sche Nati­on in einen Zustand schreck­li­chen Trau­mas ver­setzt. Kein Mensch guten Wil­lens irgend­wo auf der Welt möch­te, dass die­se Gei­seln hin­ge­rich­tet wer­den. Der durch einen sol­chen Wahn­sinn erzeug­te Hass wür­de nur die Feind­se­lig­keit ver­stär­ken, die bereits zwi­schen viel zu vie­len Israe­lis und Paläs­ti­nen­sern besteht — zwei Völ­kern, die, wie wir uns erin­nern soll­ten, jahr­hun­der­te­lang in Frie­den gelebt haben und hof­fent­lich eines Tages wie­der in Frie­den mit­ein­an­der leben wer­den. Eine der tra­gi­schen Fol­gen die­ser Situa­ti­on ist, dass vie­le Paläs­ti­nen­ser und Israe­lis jah­re­lang auf einen bes­se­ren Weg hin­ge­ar­bei­tet haben — nur um zu sehen, wie ihre Träu­me vom Frie­den durch die Ereig­nis­se zunich­te gemacht werden.

Als Prä­si­dent hät­te ich mich in den Jah­ren davor viel akti­ver für die Ver­mitt­lung eines Frie­dens zwi­schen Isra­el und den Paläs­ti­nen­sern ein­ge­setzt. Isra­el mili­tä­risch zu unter­stüt­zen, aber kei­ne akti­ve Rol­le zu spie­len, um die Not­wen­dig­keit paläs­ti­nen­si­scher Gerech­tig­keit zu beto­nen, war ein Ver­sa­gen der ame­ri­ka­ni­schen Füh­rung und ein Ver­stoß gegen unse­re eige­nen Wer­te. Sobald Trump aus dem Amt war, hät­te ich die US-Bot­schaft zurück nach Tel Aviv ver­legt. Ich hät­te nicht zuge­las­sen, dass das Abra­ham-Abkom­men die Sache der Gerech­tig­keit für die Paläs­ti­nen­ser auf ein Mini­mum redu­ziert. Ich hät­te Gerech­tig­keit für Shireen Abu Akleh gefor­dert. Ich hät­te gefor­dert, dass die mili­tä­ri­sche Unter­stüt­zung Isra­els — die durch eine Ver­ein­ba­rung des Kon­gres­ses geschaf­fen wur­de, die bis 2028 gilt — nicht in einer Wei­se ver­wen­det wird, die die Beset­zung des West­jor­dan­lan­des, die Sied­lun­gen oder die Blo­cka­de des Gaza­strei­fens unter­stützt. Ich hät­te mich gegen alle drei Maß­nah­men aus­ge­spro­chen. Ich hät­te eif­rig mit den Frie­dens­stif­tern im Nahen Osten zusam­men­ge­ar­bei­tet, sowohl dort als auch hier. Ich hät­te alle Bemü­hun­gen um die Wie­der­be­le­bung der Plä­ne für eine Zwei­staa­ten­lö­sung unter­stützt. Ich hät­te die ame­ri­ka­ni­sche Macht genutzt, um mich auf die Sei­te unse­res wich­tigs­ten Ver­bün­de­ten zu stel­len: der Mensch­heit selbst.

Ich schät­ze die mora­li­sche Klar­heit der Rede von Prä­si­dent Biden am Diens­tag. Sie kam ein­deu­tig aus sei­nem Her­zen. Mei­ne Klar­heit und mein Mit­ge­fühl wären jedoch uni­ver­sel­ler gewe­sen. Ich hät­te dem ame­ri­ka­ni­schen Volk gegen­über betont, dass die Hamas nicht das paläs­ti­nen­si­sche Volk ist, und das paläs­ti­nen­si­sche Volk ist nicht die Hamas. Die paläs­ti­nen­si­schen Ame­ri­ka­ner hät­ten eben­so wie die jüdi­schen Ame­ri­ka­ner in mei­ner Rede sowohl Respekt als auch Unter­stüt­zung erfah­ren. Als Ame­ri­ka­ner und als Jude ste­he ich auf der Sei­te Isra­els. Aber ich ste­he nicht weni­ger für die legi­ti­men Bestre­bun­gen des paläs­ti­nen­si­schen Vol­kes ein.

Am Mitt­woch traf der Prä­si­dent mit jüdi­schen ame­ri­ka­ni­schen Füh­rern zusam­men, was ich auch getan hät­te. Aber ich hät­te mich auch mit ara­bisch-ame­ri­ka­ni­schen Füh­rern getrof­fen, ins­be­son­de­re mit paläs­ti­nen­si­schen, um einen tie­fe­ren Dia­log dar­über zu begin­nen, wie die Welt von hier aus wei­ter­ge­hen wird — ins­be­son­de­re, wel­che Rol­le Ame­ri­ka bei dem Ver­such spie­len kann, die Scher­ben am Ende von all dem auf­zu­sam­meln. Als Prä­si­dent wer­de ich die Macht der US-Regie­rung dafür ein­set­zen, dass aus der Asche die­ses Krie­ges ein Phö­nix des Frie­dens auf­steigt. Die Frie­dens­kon­so­li­die­rung wird ein Eck­pfei­ler mei­ner Prä­si­dent­schaft sein, und die Frie­dens­stif­ter in der Welt wer­den immer mein Ohr haben. Man hat mich gefragt, was mein Frie­dens­mi­nis­te­ri­um in die­ser Situa­ti­on tun wür­de? Der Punkt ist, dass ein Frie­dens­mi­nis­te­ri­um dazu hät­te bei­tra­gen kön­nen, dies zu verhindern.

In der Zwi­schen­zeit hat Prä­si­dent Biden zu Recht gewarnt, dass ande­re Natio­nen — ich neh­me an, das bezieht sich ein­deu­tig auf den Iran — sehr vor­sich­tig sein soll­ten, sich nicht ein­zu­mi­schen. Der Prä­si­dent ist zu Recht besorgt über die Betei­li­gung des Irans; ich tei­le die­se Sor­ge. Der Prä­si­dent der Ver­ei­nig­ten Staa­ten muss stets in erhöh­ter Alarm­be­reit­schaft sein, um Ame­ri­kas Hei­mat­land sowie unse­re Inter­es­sen im Aus­land zu schüt­zen, und kein ame­ri­ka­ni­scher Strafverfolgungs‑, Mili­tär- oder Geheim­dienst soll­te leicht­fer­tig anneh­men, dass die­se Situa­ti­on nicht auch Aus­wir­kun­gen auf uns haben könn­te. Ich bin mir sicher, dass sie das nicht tun.

Am Tag nach der Inva­si­on saß ich in einer Flug­ha­fen­bar in Reno, Neva­da, als ich mit einem Herrn, der neben mir saß, ins Gespräch kam. Wir unter­hiel­ten uns und genos­sen die Gesell­schaft des ande­ren, und nach einer Wei­le erzähl­te er mir, dass er ein paläs­ti­nen­si­scher Ame­ri­ka­ner sei und ich ihm, dass ich Jüdin sei. Die Iro­nie ent­ging kei­nem von uns. Wir wur­den bei­de an die Welt erin­nert, wie sie sein soll­te, denn wir erleb­ten sie gemein­sam. Der Ver­wirk­li­chung die­ser Welt — für jeden Paläs­ti­nen­ser und für jeden Juden, ja für jeden Bür­ger der Welt — wid­me ich mein Leben und wür­de ich mei­ne Prä­si­dent­schaft widmen.

Aus meiner Fotoküche 130
Therese Weber, Topografien der Räume

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