Um die Katho­li­sche Kir­che zu cha­rak­te­ri­sie­ren, bie­tet sich wohl am bes­ten das Bild des Janus­kopfs dar: Sie ist ein janus­köp­fi­ges Gebil­de mit einer dunk­len und einer hel­len Seite.

Wer sich — um damit zu begin­nen — in deren dunk­le Sei­te ver­tie­fen möch­te, für den bie­tet sich kei­ne bes­se­re Lek­tü­re an als das zehn­bän­di­ge Werk „Kri­mi­nal­ge­schich­te des Chris­ten­tums“ von Karl Heinz Desch­ner, das — nicht nur, aber klar über­wie­gend — akri­bisch die dunk­len Ecken in der Geschich­te der Katho­li­schen Kir­che aus­leuch­tet. So beinhal­tet etwa der drit­te Band „Die alte Kir­che“ (bis ca. 500 n.Chr.) die Kapitel:
Das christ­li­che Fäl­schungs­we­sen /Der Wun­der- und Reli­qui­en­schwin­del / Die Wall­fahrts­wirt­schaft / Die Ver­dum­mung und der Ruin der anti­ken Bil­dung /Die christ­li­che Bücher­ver­nich­tung und die Ver­nich­tung des Hei­den­tums / Die Erhal­tung und Fes­ti­gung der Skla­ve­rei / Die dop­pel­zün­gi­ge Sozi­al­leh­re und die tat­säch­li­che Sozi­al­po­li­tik der Grosskirche.

Was heu­te offen­sicht­lich der gros­sen Mehr­zahl unse­rer Zeit­ge­nos­sin­nen und ‑genos­sen immer noch nicht bewusst ist, ist die Tat­sa­che, dass das Chris­ten­tum mit sei­nen Dog­men, wie wir es heu­te ken­nen, sich erst im Lau­fe der ers­ten drei Jahr­hun­der­te lang­sam aus einer Viel­zahl von „Chris­ten­tü­mern“ her­aus­schäl­te. So heisst es etwa im Vor­wort des Buches von Gre­go­ry J. RileyOne Jesus, Many Christs“:
In One Jesus, Many Christs zeigt Gre­go­ry Riley, dass es nicht nur ein wah­res Chris­ten­tum gab, son­dern von Anfang an vie­le ver­schie­de­ne Chris­ten­tü­mer. Ver­eint durch die lei­den­schaft­li­che Treue zu Jesus als Held, haben die­se frü­hen, lehr­mä­ßig unter­schied­li­chen Chris­ten­tü­mer zur Ent­wick­lung vie­ler ver­schie­de­ner Arten von christ­li­chen Kir­chen bei uns heu­te geführt. Riley zeigt, dass das frü­he Chris­ten­tum gro­ße lehr­mä­ßi­ge Unter­schie­de in Bezug auf alle Aspek­te des Lebens, des Todes, der Auf­er­ste­hung und der Gött­lich­keit Jesu aufwies.
Als Exper­te für den his­to­ri­schen Kon­text, in dem das Chris­ten­tum ent­stand, beleuch­tet Riley die grie­chisch-römi­sche Welt der frü­hen Chris­ten, eine Welt, die von heroi­schen Idea­len geprägt war. Jesus wur­de als ein neu­er und fes­seln­der Held begrüßt, dem man in ein ganz neu­es Leben der für­sorg­li­chen Gemein­schaft und der tran­szen­den­ten Hoff­nung fol­gen konn­te. Riley behaup­tet kühn, dass der Mythos des Apos­to­li­schen Glau­bens­be­kennt­nis­ses erst ent­stand, als das Chris­ten­tum zur Reichs­re­li­gi­on wur­de, und damit die Illu­si­on ver­brei­te­te, die Apos­tel hät­ten sich ver­sam­melt und sich auf einen Kern­be­stand an Leh­ren geei­nigt, die für den christ­li­chen Glau­ben wesent­lich sind. In Wirk­lich­keit war die Recht­gläu­big­keit der Leh­re für die frü­hen Chris­ten jedoch kein The­ma. Viel­mehr kon­zen­trier­ten sie sich in ganz unter­schied­li­cher Wei­se auf die Nach­fol­ge Jesu als Lebensmodell.

Alles rich­tig, aus­ser dass die­se “Behaup­tung” Rileys seit der Ent­de­ckung der Schrif­ten von Nag Ham­ma­di, dar­un­ter das fas­zi­nie­ren­de Tho­mas-Evan­ge­li­um, zu einer unwi­der­leg­ba­ren Tat­sa­che gewor­den ist. Deren Schick­sal — sie wur­den für die Nach­welt in der ägyp­ti­schen Wüs­te in einem Ton­krug ver­gra­ben — macht deut­lich, dass sich im drit­ten Jahr­hun­dert eine Rich­tung des christ­li­chen Glau­bens durch­zu­set­zen begann, die sich „ortho­dox“ nann­te, und die sich sofort dar­an mach­te, alle Schrif­ten und alle Anhän­ger eines ande­ren Bil­des von Jesus zu ver­fol­gen und zu ver­nich­ten: Die katho­li­sche — allein selig­ma­chen­de — Kir­che als Macht­ap­pa­rat war gebo­ren, und damit auch die Begrif­fe „Häre­ti­ker“, Ket­zer“ und „Inqui­si­ti­on“.

Es ist gera­de­zu ein Hohn, wenn Köp­pel jetzt die Medi­en­schel­te ange­sichts der immer deut­li­cher zu Tage tre­ten­den Miss­brauchs­fäl­le durch Pries­ter einen „Kreuz­zug gegen die Kir­che“ nennt und dabei ver­gisst, welch unfass­ba­res rea­les Elend die Kir­che sel­ber mit ihren „Kreuz­zü­gen“ ver­ur­sach­te. Das Bei­spiel der Ver­nich­tung einer gan­zen Kul­tur inklu­si­ve ihrer Bevöl­ke­rung in Süd­frank­reich — der Albi­gens­er­kreuz­zug — im 13. Jahr­hun­dert durch den mit der Katho­li­schen Kir­che ver­bun­de­nen Adel möge als Bei­spiel dienen.

Damit kom­men wir zu einem zwei­ten Aspekt ihrer dunk­len Sei­te: Ihre Kun­ge­lei mit den Mäch­ti­gen die­ser Erde. Sie zieht sich seit Kon­stan­tin dem Gros­sen durch all die Jahr­hun­der­te bis hin zu Gene­ral Fran­co in Spa­ni­en und Mus­so­li­ni in Ita­li­en. Kon­quis­ta­do­ren ver­sklav­ten im Namen der aller­hei­ligs­ten katho­li­schen Kro­ne Spa­ni­ens in der neu­en Welt gan­ze Völ­ker­schaf­ten und rot­te­ten sie aus, beglei­tet von der Fuss­no­te der bru­ta­len Ver­trei­bung der spa­ni­schen Juden und Moslems.

Der gan­ze kle­ri­ka­le Macht­ap­pa­rat erklomm schliess­lich im 19. Jahr­hun­dert den Gip­fel der Hybris mit der “ex cathe­dra”- Unfehl­bar­keits­er­klä­rung des Paps­tes am 18, Juli 1870. Im Selbst­ver­ständ­nis der Katho­li­schen Kir­che ist die­ser Anspruch durch die Tat­sa­che, dass der Papst die allei­ni­ge Stell­ver­tre­ter­funk­ti­on für Jesus Chris­tus aus­übe, gerecht­fer­tigt. Und die­se her­aus­ra­gen­de Stel­lung pflanzt sich anschlies­send über eine Hier­ar­chie­stu­fe nach der ande­ren hin­un­ter bis zum ein­fa­chen Pries­ter, dem allei­ne das Recht zukommt, für die Gläu­bi­gen die Hei­li­ge Mes­se zu lesen.

Wie unbe­weg­lich die­ser gan­ze Macht­ap­pa­rat geblie­ben ist, zeigt sich am ekla­tan­tes­ten dar­in, wie die Kir­chen­hier­ar­chie bis heu­te mit den The­men „Zöli­bat“ und „Pries­ter­wei­he für Frau­en“ umgeht. Und damit, wie noch heu­te Mit­glie­der die­ser Kir­che, die den ver­krus­te­ten Appa­rat mit neu­en Impul­sen auf­bre­chen woll­ten, mit Lehr­ver­bot belegt oder gna­den­los aus­ge­stos­sen wur­den: Als Stich­wor­te sei­en die Ver­tre­ter der Befrei­ungs­theo­lo­gie in Süd- und Mit­tel­ame­ri­ka, Pries­ter wie Eugen Dre­wer­mann oder Mat­thew Fox genannt.

Aus­ge­rech­net die­ser reak­tio­nä­ren Kir­che, die das von Papst Johan­nes XXIII. initi­ier­te Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil am liebs­ten wie­der rück­gän­gig machen will, redet nun der Chef­re­dak­tor der Welt­wo­che mit sei­nem Angriff auf die vom Mora­lis­mus befal­le­ne „woke“ Kir­che das Wort. Für ihn gibt es nur die Wahl zwi­schen der kon­ser­va­ti­ven Insti­tu­ti­on Kir­che, die “den neu­en Göt­zen­an­be­tern die christ­li­che Glau­bens­leh­re ent­ge­gen­zu­hal­ten” ver­pflich­tet sei, —  und den “säku­la­renWoke“-Tyrannen”. Die­se Gegen­über­stel­lung könn­te fal­scher nicht sein. Dazu spä­ter mehr.

Mor­gen wer­fen wir einen Blick auf die hel­le Sei­te der Katho­li­schen Kir­che, denn die gibt es selbst­ver­ständ­lich auch.

Die Weltwoche und die Katholische Kirche 1
Die Weltwoche und die Katholische Kirche 3

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