Roger Köp­pel hält in sei­nem Edi­to­ri­al zur Bibel — und war­um man sie wie­der lesen muss — apo­dik­tisch fest: Wo es kei­nen Gott im Him­mel gibt, droht die gren­zen­lo­se Tyran­nei auf Erden.

Das Pro­blem ist nur: Wen oder was stellt er sich eigent­lich unter “Gott im Him­mel” vor? In den letz­ten Jahr­zehn­ten wur­de ja immer deut­li­cher, welch tief­grei­fen­den Wan­del das Got­tes­bild schon allein im Alten Tes­ta­ment durch­ge­macht hat: Im ers­ten Tem­pel in Jeru­sa­lem thron­te im Aller­hei­ligs­ten neben ihm noch sei­ne Gemah­lin, die Ashe­ra. Der berühm­te Ori­en­ta­list und Anthro­po­lo­ge Rapha­el Patai hat dazu ein span­nen­des Buch, “The Hebrew God­dess” geschrie­ben. Erst in der zwei­ten Tem­pel­pe­ri­ode setz­te sich jene Pries­ter­frak­ti­on durch, die ein patri­ar­cha­les und mono­the­is­ti­sches Got­tes­bild vertrat.

Wer sich etwas ver­tief­ter mit dem Wan­del der Got­tes­bil­der in den west­li­chen Buch­re­li­gio­nen aus­ein­an­der­set­zen möch­te, liest am bes­ten “Die Geschich­te von Gott: 4000 Jah­re Juden­tum, Chris­ten­tum und Islam” von Karen Arm­strong.

Seit den For­schun­gen von Jean Pia­get zur Ent­wick­lung der kind­li­chen Psy­che wis­sen wir, dass das Got­tes­bild eines Kin­des von des­sen Erfah­rung mit der elter­li­chen Auto­ri­tät geprägt ist. Sig­mund Freud erklär­te des­halb “Gott” als das Pro­dukt einer infan­ti­len Vater-Sehn­sucht. Der Mensch wer­de erst reif, wenn er sich von die­sem über­höh­ten Vater-Gott löse und sein Schick­sal in die eige­nen Hän­de neh­me. Einer sei­ner Schü­ler, der Zür­cher Pfar­rer Oskar Pfis­ter,  zeig­te in sei­nem Buch “Das Chris­ten­tum und die Angst” auf, welch ver­hee­ren­de see­li­sche Ver­wüs­tun­gen die­ses Got­tes­bild bei vie­len sei­ner Kli­en­ten ver­ur­sach­te. Und schliess­lich erklär­te Fried­rich Nietz­sche die­sen “Gott im Him­mel” kur­zer­hand als tot.

Dass aber hin­ter die­sem in irgend­ei­nen Him­mel pro­ji­zier­ten Gott viel­leicht doch noch eine ande­re, tie­fe­re Rea­li­tät — näm­lich in uns sel­ber — ste­cken könn­te, zeig­ten so gross­ar­ti­ge For­scher wie C.G. Jung, Mir­cea Elia­de oder Hen­ri Cor­bin auf. Dazu spä­ter mehr.

Und schliess­lich zeich­ne­te Jean Gebser in sei­nem revo­lu­tio­nä­ren Werk “Ursprung und Gegen­wart” nach, wie sich das mensch­li­che Bewusst­sein über Jahr­tau­sen­de hin­weg über vie­le Stu­fen hin­weg ent­wi­ckelt hat — und mit ihnen das ent­spre­chen­de Gottesbild.

Es fehlt hier der Platz, um sei­ne Aus­füh­run­gen zur Bewussts­einent­wick­lung vom magi­schen über das mythi­sche bis zum men­ta­len Bewusst­sein auch nur in Ansät­zen dar­zu­stel­len. Aber es macht Sinn, wenigs­tens auf die dra­ma­ti­schen Ver­än­de­run­gen hin­zu­wei­sen, die das Got­tes­bild  des­we­gen durch­mach­te. Gil Ducom­mun fasst das  in sei­nem Buch “Nach dem Kapi­ta­lis­mus. Wirt­schafts­ord­nung einer inte­gra­len Gesell­schaft” so zusammen:
Mit der lang­sa­men Ent­ste­hung (Emer­genz) mono­the­is­ti­scher Reli­gio­nen (Juden­tum, Chris­ten­tum, Islam) ab 1000 v. Chr. wur­de die gött­li­che, see­li­sche Dimen­si­on der Natur, der Frau, dem Kör­per und der Erde aberkannt (Mate­rie und Mut­ter haben die­sel­be latei­ni­sche Wur­zel, mater). Das Gött­li­che wur­de im Mono­the­is­mus allein in den Him­mel pro­ji­ziert, auf eine (männ­li­che) Vater­fi­gur. Es kam in die­ser Zeit zur gänz­li­chen Tren­nung von Mate­rie und Geist/Seele wie auch von Natur und GEIST (das Gött­li­che). Die Natur­re­li­gio­nen, in wel­chen GEIST, Geist/Seele und Erde/Körper ver­eint waren, wur­den ver­wor­fen, eben­so der Poly­the­is­mus der Mythen. In Indi­en blieb jedoch im Hin­du­is­mus eine patri­ar­cha­le Mytho­lo­gie mit bedeu­ten­den weib­li­chen Gott­hei­ten bestehen.

In matrif­o­ka­len Kul­tu­ren konn­ten Frau­en Pries­te­rin­nen sein. Dies wur­de nun ver­hin­dert. Im Chris­ten­tum wur­den Sexua­li­tät und Trie­be zu teuf­li­schen Dimen­sio­nen, wel­che die Tätig­keit des Geis­tes (des Man­nes) stör­ten. Für die Pries­ter wur­de das Zöli­bat ein­ge­führt. Die Frau war ein Werk­zeug der Ver­füh­rung des Teu­fels, wel­cher die Gestalt eines Tie­res erhielt, der Schlange, …

Die Mensch­heit heu­te lebt zum gröss­ten Teil ent­we­der noch auf der mythi­schen oder der men­ta­len Ebe­ne, — und die waren sich gegen­sei­tig gar nicht grün:
Die christ­li­che Kir­che bekämpf­te die neue Weit­sicht der Ratio/Wissenschaft unbarm­her­zig. So kam es zum Bruch: Die ratio stell­te sich über die reli­gio, kop­pel­te sich ab und erklär­te die­se als irra­tio­nal, ein Über­bleib­sel vom Aber­glau­ben alter Zei­ten, unbrauch­bar und tyran­nisch gegen­über der frei­en Ver­nunft. Die Reli­gi­on ver­lor ihre Vor­macht­stel­lung, wie auch die mit ihr ver­schmol­ze­nen Herr­scher der Königs­häu­ser und Adli­gen­fa­mi­li­en der mytho­lo­gi­schen Zeit. Staat und Reli­gi­on wur­den getrennt, Ver­stand und Reli­gi­on wur­den getrennt, Kunst und Reli­gi­on eben­so wie Recht und Religion.

Das moder­ne Recht, die Befrei­ung des Indi­vi­du­ums von der Will­kür des Staa­tes (Rechts­staat­lich­keit), die Abschaf­fung der Skla­ve­rei und die pro­gres­si­ve Befrei­ung der Frau sind nicht Wer­ke der Reli­gi­on. Sie wur­den von der Ver­nunft gegen sie erkämpft. Die Befrei­ung der Frau ist noch nicht abge­schlos­sen, das vier­tau­send­jäh­ri­ge Patri­ar­chat lebt im Islam, im Chris­ten­tum und im Hin­du­is­mus noch weiter.

Damit ist aber der Ent­wick­lungs­pro­zess des mensch­li­chen Bewusst­seins noch nicht been­det. Gemäss Jean Gebser ist die Mensch­heit dar­an, sich lang­sam aber sicher auf die inte­gra­le Ebe­ne hin zu bewe­gen. Was dar­un­ter zu ver­ste­hen ist, unter­su­chen wir in der nächs­ten Fol­ge anhand des Werks von Ken Wil­ber.

Was aber viel­leicht doch deut­lich gewor­den ist: Abge­se­hen davon, dass der WW-Chef­re­dak­tor allen Nicht-Buch­re­li­gio­nen (z.B. Tao­is­mus, Bud­dhis­mus oder Hin­du­is­mus), die kei­nen “Gott im Him­mel” ken­nen, jeg­li­chen Bei­trag zur Wei­ter­ent­wick­lung der mensch­li­chen Gesell­schaft schlicht­weg abspricht, bewegt sich sei­ne reli­giö­se Welt­sicht mit der apo­dik­ti­schen Gegen­über­stel­lung des ach so hoch ent­wi­ckel­ten Chris­ten­tums und der sei­ner Ansicht nach pri­mi­ti­ven Natur­re­li­gio­nen bes­ten­falls auf Pri­mar­schul­ni­veau. Es macht ganz den Anschein, dass es sich beim Köppel’schen “Gott im Him­mel” um eines die­ser Ste­reo­ty­pen oder buz­zwords han­delt. Ein “Gott im Him­mel” küm­mert sich bekannt­lich weder um schrei­en­de sozia­le Unge­rech­tig­kei­ten noch um den Raub­bau an der Erde, noch um so klei­ne Kin­ker­litz­chen wie den rasan­ten Kli­ma­wan­del, (gemäss Köp­pel sowie­so nur eine Erfin­dung böser Sozia­lis­ten und nai­ver Gut­men­schen). Er kommt des­halb allen, die vom jet­zi­gen Sys­tem des unbe­grenz­ten Wirt­schafts­wachs­tums pro­fi­tie­ren und es auf Teu­fel komm raus bei­be­hal­ten wol­len, ganz zupass.

Zum Abschluss ein Gebet der Objib­way, einem der Nati­ve-Ame­ri­can-Völ­ker, alles Anhän­ger einer “heid­ni­schen Natur­ver­göt­te­rung”, die aller­dings, wie man weiss, mit den weis­sen Chris­ten eher unan­ge­neh­me Erfah­run­gen gemacht haben …

Grand­fa­ther,
Look at our brokenness.
We know that in all creation
Only the human family
Has stray­ed from the Sacred Way.
We know that we are the ones
Who are divided
And we are the ones
Who must come back together
To walk the Sacred Way.
Grand­fa­ther,
Sacred One,
Teach us love, com­pas­si­on, and honor
That we may heal the earth
And heal each other.

Fort­set­zung am Don­ners­tag, den 8. April!

 

 

 

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