Die Schweiz als föde­ra­lis­ti­scher Rechts­staat kennt kei­ne allein ver­bind­li­che amt­li­che Geschichts­schrei­bung, son­dern Meinungs‑, Infor­ma­ti­ons- und For­schungs­frei­heit. Sie hat nicht ein­mal eine Haupt­stadt, son­dern nur eine Bun­des­stadt. So ist es denn auch oft Glücks­sa­che, wo man sich wofür erkun­digt, wo man recher­chiert. Aber ich glau­be, es ist in wei­ten Tei­len der Schweiz akzep­tiert, dass man sich nicht nur an 100-jäh­ri­gen Geschichts­bü­chern orientiert.

Auch in die­sem Arti­kel geht es um das Stän­de­mehr, das mög­li­cher­wei­se aus der »Urform des Schwei­zer­par­la­ments«, der Tag­sat­zung, ent­stan­den ist.
Tag­sat­zung hies­sen bis 1848 die Ver­samm­lun­gen, an denen bevoll­mäch­tig­te Boten der eid­ge­nös­si­schen Orte (heu­te Kan­to­ne) gemein­sa­me Geschäf­te berie­ten. Die­se als »eid­ge­nös­si­scher Gesand­ten­kon­gress« defi­nier­te Ver­samm­lung wur­de seit dem spä­ten 15. Jahr­hun­dert ver­ein­zelt und seit dem 17. Jahr­hun­dert über­wie­gend als Tag­sat­zung, auch als »Tag­leis­tung« und »Tag« bezeich­net. Die Bezeich­nung Tag­sat­zung ist abge­lei­tet von der Wen­dung »einen Tag set­zen« und meint die Ver­ein­ba­rung eines Ter­mins etwa für Rechtsgeschäfte.

An der Tag­sat­zung hat­te jeder Kan­ton eine ein­zi­ge Stim­me. Die Schweiz wur­de also recht eigent­lich von einem Stän­de­rat regiert. Der Abge­sand­te eines Kan­tons (damals noch zuge­wand­ter Ort) hat­te die Mei­nung und die Inter­es­sen sei­nes Kan­tons zu vertreten.
Man stel­le sich heu­te vor, dass Rue­di Noser für die Kon­zern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­ti­ve ein­tre­ten müss­te, weil ihm der Kan­ton Zürich das als Auf­ga­be mit gege­ben hat 🙂

Die gros­se Bedeu­tung der Tag­sat­zung als »wich­tigs­te gemein­eid­ge­nös­si­sche Ein­rich­tung« liegt in ihrer Funk­ti­on als fak­ti­sches und sym­bo­li­sches Zen­trum der Eid­ge­nos­sen­schaft. Sie war Treff­punkt der poli­ti­schen und sozia­len Eli­te, Ort des offi­zi­el­len und infor­mel­len Infor­ma­ti­ons­aus­tau­sches sowie insti­tu­tio­na­li­sier­te Kom­mu­ni­ka­ti­ons­platt­form nach innen und aussen.

Und dann kam Napoleon …

Wäh­rend der »Hel­ve­ti­schen Repu­blik« mit einem von Napo­le­on auf­ok­tru­ier­ten Zwei­kam­mer­par­la­ment herrsch­ten meist etwas ver­wor­re­ne Zustän­de. Las­sen wir das.

Wäh­rend der Media­ti­on nahm die Tag­sat­zung wie­der ihre Arbeit auf.
Es schick­te gemäss Media­ti­ons­ak­te von 1803 jeder der 19 Kan­to­ne einen, die sechs bevöl­ke­rungs­reichs­ten je zwei Boten (sic!), die fak­tisch mit kan­to­na­len Instruk­tio­nen ver­se­hen waren, an die Tag­sat­zung. Zu den am stärks­ten besie­del­ten Kan­to­nen wur­den Bern, Zürich, Waadt, St. Gal­len, Aar­gau und — auf­grund einer irr­tüm­lich ange­nom­me­nen Bevöl­ke­rungs­zahl — Grau­bün­den gerech­net. Bei Abstim­mun­gen, deren Resul­ta­te wei­ter­hin “ad refe­ren­dum” zu neh­men waren, galt das in der Pra­xis aller­dings aus­ge­höhl­te ein­fa­che Mehr­heits­prin­zip. Nur für die Berei­che Krieg, Frie­den und Bünd­nis­se war eine Drei­vier­tel­mehr­heit erforderlich.

Am Wie­ner Kon­gress erhielt dann die Schweiz die etwa heu­ti­ge Form. Die genaue Gebiets­ver­tei­lung kön­nen Sie hier nach­le­sen. So ent­stand die Schweiz mit 22 Kan­to­nen (noch ohne Jura). Nun haben wir die heu­ti­ge Schweiz, aber noch ohne Verfassung.
Gut, das war eine ziem­lich ver­kürz­te Geschich­te der Schweiz. Aber es geht ja nicht um Détails, son­dern um den Weg zum Ständemehr …

Dazu mehr im nächs­ten Artikel.

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