Ältere Semester wie ich erinnern sich sicher noch an das Soldatenbuch, das jedem wehrhaften Schweizer bis 1974 in die Hand gedrückt wurde. Darin fanden sich neben dem Bundesbrief von 1291, dem Fahneneid und der Nationalhymne auch Kapitel mit Titeln wie “Der Feind ist überall” oder “Wir treten zum Nahkampf” an. Aber es gab auch einen Kursus in staatsbürgerlichem Grundwissen. Darin findet sich die Aussage:
1499. Die Eidgenossenschaft und die zugewandten Drei rätischen Bünde erkämpfen sich im Schwabenkriege ihre Unabhängigkeit vom Deutschen Reiche.
Werner Meyer, emeritierter Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Basel, einer breiten Öffentlichkeit wegen seines umfassenden Wissens auch als “Burgenmeyer” bekannt, hält dazu in einem Artikel “Krisen, Korruption und Kampfbegierde. Der politische, ideologische und emotionale Konfliktrahmen des Schwabenkrieges von 1499″ lakonisch fest:
Mit Geschichte im Sinne einer Wissenschaft, die sich um die Rekonstruktion der Realität bemüht, um so für die Allgemeinheit die Vergangenheit verständlich zu machen, hat dieser ideologische Schrott nichts zu tun. Wenn immer wieder beklagt wird, dass die Menschen aus der Geschichte nichts lernten, hängt das damit zusammen, dass die Vergangenheit in der Politik und leider in der Schule nicht so akzeptiert wird, wie sie wirklich gewesen ist, sondern dass sie zur Legitimierung politischer Leitideen und im Dienste pädagogischer Zielsetzungen bis zur Unkenntlichkeit krummgebogen wird.
Happiger Vorwurf! Aber ist er auch gerechtfertigt?
Dieser Frage wollen wir hier nachgehen. Dafür ist es allerdings unumgänglich, sich anhand dieses ausgezeichneten Wikipedia-Artikels eine Übersicht über Ursachen und Verlauf des Schwabenkriegs zu verschaffen. Unsere Region war bekanntlich 1499 mit dem Gefecht am Bruderholz und der kriegsentscheidenden Schlacht bei Dornach in die Geschehnisse direkt involviert. Das Schlachtdenkmal in Dornach mit seiner Schädelwand und
der “Bluthügel”, auf dem heute das Goetheanum steht, zeugen noch vom brutalen Gemetzel mit mehreren tausend Toten, die zum Teil noch jahrelang unbegraben auf dem Schlachtfeld verblieben.
Werner Meyer kritisiert ähnlich wie Bernd Marquardt die Tendenz der Rückprojektion späterer national geprägter Geschichtsbilder auf frühere Ereignisse, deren Bedeutung damit verfälscht wird:
So hat man vielen mittelalterlichen Konflikten, hinter denen oft blosse Räch- und Ruhmsucht, Beutegier oder fadenscheinige Erbansprüche standen, im nachhinein Zielsetzungen unterstellt, die den modernen, nationalstaatlichen Ideologien entsprachen. Der Schwabenkrieg erhielt im landläufigen Geschichtsbild die Bedeutung eines nationalen Unabhängigkeitskampfes, und sein Verlauf wurde als erfolgreiche Grenzverteidigung — als vermeintlich historische Analogie zu den Grenzbesetzungen der beiden Weltkriege — verstanden.
Und er beginnt — die gegnerischen Lager betreffend — gleich mit einem fundamentalen Missverständnis :
Wenn man die Kontrahenten auf der einen Seite als Schweizer oder Eidgenossen und auf der anderen als Königliche oder Österreicher bezeichnet, entsteht leicht der Eindruck von zwei kompakten Machtblöcken, die sich einen Entscheidungskampf auf Leben und Tod geliefert hätten. In den Quellen treten uns kompliziertere und differenziertere Verhältnisse entgegen. Es gab auf beiden Seiten Personen und Gruppen, die insgeheim oder offen mit der Gegenpartei sympathisierten, es gab Kriegerscharen, die auf eigene Faust operierten, es gab Orte und Landschaften, von denen nicht klar war, zu welcher Partei sie gehörten. Ganz zu schweigen von jenen Städten und Herren, die versuchten, sich als Neutrale aus dem Konflikt herauszuhalten.
Damit nicht genug: Neben den politischen Spannungsfeldern im Zusammenhang mit den Zentralisierungsbestrebungen im Reich durch Maximilian I., denen die Eidgenossen kritisch gegenüberstanden, spielten emotionale Gründe — insbesondere das “Sauschwob”- “Kuhschweizer”-Syndrom -, die Beutegier frei agierender Kriegerscharen und die Bestechlichkeit der eidgenössischen Obrigkeiten eine entscheidende Rolle, weshalb Mayer zum Schluss kommt:
Die Kriegsläufe des Jahres 1499 zeichnen sich von beiden Seiten her durch eine chaotisch anmutende Ziellosigkeit aus.
Dazu mehr in der nächsten Folge am 19. August!
Franz Büchler
Aug. 13, 2021
… und dann gab es auch noch das rote Büchlein »ZIVILVERTEIDIGUNG«. Eine wunderbar gschämige Sache …
Hans-Jörg Beutter
Aug. 14, 2021
schon früener stand ich eher auf anspruchsvolle lektüre – jedenfalls hab ich mich lieber ausführlich in klausur begeben (knast statt militär), statt diesen schrott womöglich noch zu verinnerlichen …
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manche werden sich sagen: darum schreibt der jetzt halt diese abgefahrenen kommentare – ihm fehlt wohl einfach eine ganz wesentliche ingredienz zum echten schweizer 😉
(ich find allerdings die vorstellung der mit schnürsenkeln abgebundenen hosenbeine gegen die atombombe immer noch ähnlich absurd wie vor langenlangen zeiten – etwa ähnlich idiotisch, wie seine freiheit usgrächnet darin zu sehen, sich gegen ein zunehmend virulentes virus umsveregge nicht schützen zu wollen – mein altersstarrsinn halt.)