Am let­zten Don­ner­stag lud Oper­a­tion Libero Nord­westschweiz zu ein­er Diskus­sion­srunde im Sud­haus Basel zum The­ma “Europa — Neu­tral­ität — Ukraine”. Für das Input-Refer­at war es ihnen gelun­gen, den Basler His­torik­er Prof. em. Dr. Georg Kreis zu gewin­nen. Georg Kreis ist unter den Schweiz­er His­torik­ern ohne Zweifel ein Schw­ergewicht. Bis 2011 leit­ete er auch das Europainsti­tut in Basel.

Die Schweiz mit­ten in Europa: Was ist unsere Rolle, wie viel Neu­tral­ität soll es sein, wie viel Kante sollen wir zeigen? Komm und disku­ti­er mit! hiess es in der Ein­ladung. Der birsfaelder.li-Schreiberling fand das eine gute Idee und meldete sich an.

Angesichts der “heis­sen poli­tis­chen Kartof­fel” begab er sich in Erwartung eines vollge­drängten Saales eine halbe Stunde vor Beginn an besagten Ort und glaubte vor­erst, sich verir­rt zu haben, weil im Saal lediglich zwei zusam­mengeschobene kleine Tis­chchen und ein paar Stüh­le drum herum zu find­en waren. Es zeigte sich dann, dass es kein Irrtum war: Als Prof. Kreis mit seinem Input-Refer­at anf­ing, hörten ihm ger­ade mal ein knappes Dutzend zu, — inklu­sive Veranstalter.

Angesichts der bre­it­en medi­alen Diskus­sion zu einem The­ma, das im schweiz­erischen Selb­stver­ständ­nis Gewicht hat, eigentlich erstaunlich … Der Vorteil war immer­hin, dass so zwis­chen den Teil­nehmerIn­nen ein inten­siv­er Gedanke­naus­tausch möglich wurde.

Es kann hier nicht darum gehen, die weit auseinan­der­drif­ten­den Posi­tio­nen in dieser Frage vorzustellen. Inter­essierte kön­nen als kleine Auswahl je einen Artikel von Bun­de­spräsi­dent Ignazio Cas­sis, Alt-Bun­desrat Kas­par Vil­liger, Roger Köppel und René Roca (Forschungsin­sti­tut Direk­te Demokratie) herun­ter­laden.

Was meinte Georg Kreis zu diesem bren­nen­den The­ma? Hier ein paar wenige Stich­worte aus der Diskussion:
Es hat in der Eidgenossen­schaft nie eine fest­gelegte Neu­tral­ität gegeben. Ihre Inter­pre­ta­tion hat sich im Laufe der Geschichte immer wieder geändert.
Die Neu­tral­ität wird in der Schweiz­er Bun­desver­fas­sung nur am Rande erwäh­nt. Die Autoren der Ver­fas­sung haben die Neu­tral­ität bewusst wed­er im Zweckar­tikel noch in den aussen­poli­tis­chen Grund­sätzen ver­ankert, denn sie ist ein Mit­tel zum Zweck. … Die Umset­zung der Neu­tral­ität­spoli­tik hängt von der Analyse des aktuellen inter­na­tionalen Umfelds ab. (aus einem EDA-Artikel)
Die bewaffnete Neu­tral­ität wurde der Eidgenossen­schaft 1815 nach dem Sturz Napoleons von den Siegermächt­en dik­tiert, damit sie als neu­traler Puffer zwis­chen Frankre­ich und Öster­re­ich diene. Gle­ichzeit­ig half sie aber auch, innere Span­nun­gen zu neu­tral­isieren, so z.B. im 1. Weltkrieg, als die Romandie mit Frankre­ich sym­pa­thisierte, die Deutschschweiz mit Deutschland.
“neu­tral” heisst eigentlich “wed­er-noch”. Das galt aber während des Kalten Krieges so sich­er nicht: Die Schweiz pflegte damals ein­deutig eine “west­liche” Neutralität.
Der Bun­desrat hat sich vor Jahren der “Part­ner­schaft für den Frieden” angeschlossen, die eine mil­itärische Zusam­me­nar­beit mit der NATO bein­hal­tet, — ohne Par­la­ments­beschluss und Volksab­stim­mung. War das bere­its eine Ver­let­zung der Neutralität?
“Knopfdruck”-Antworten zum The­ma sind nicht hil­fre­ich. Die Schweiz braucht Hand­lungsspiel­räume. Es geht let­ztlich um die Frage: Wann ist das Abrück­en von der Neu­tral­ität im Inter­esse der Schweiz?
Auch “neu­tral” kann partei­isch sein.

Aktuell zirkulieren — etwas vere­in­facht — drei Nar­ra­tive zur Ukraine:
1. Die USA arbeit­eten seit langem auf einen offe­nen Kon­flikt mit Rus­s­land hin, indem sie die Ukraine mas­siv aufrüsteten und in eine von den USA kon­trol­lierte “Kolonie” ver­wan­del­ten. Putin wurde so in die Enge getrieben, dass er aus Notwehr die Ukraine angreifen musste, um poli­tisch von den USA nicht erdrosselt zu werden.
2. Der Angriff auf die Ukraine war klar völk­er­rechtswidrig und ist zu verurteilen, aber die NATO trägt durch die Ost-Erweiterung ent­ge­gen gemachter Ver­sprechen eine Mitschuld.
3. Rus­s­land hat sich unter Putin in einen von ein­er reak­tionären Ide­olo­gie geprägten autoritären Staat ver­wan­delt. Der Angriff ist das Resul­tat ein­er tox­is­chen Mis­chung aus ein­er faschis­toiden Ver­her­rlichung Rus­s­lands, das im Gegen­satz zu dem in moralis­ch­er Hin­sicht degener­ierten West­en die wahren men­schlichen Werte allein auf weit­er Flur verteidige.

Je nach Nar­ra­tiv wird die Antwort auf die Frage, ob die Schweiz mit der Über­nahme der Boykottmass­nah­men der USA und der EU dem Neu­tral­itäts­gedanken untreu gewor­den ist, anders ausfallen.

Der birsfaelder.li-Schreiberling tendiert nach der Lek­türe des Buch­es “Auf dem Weg in die Unfrei­heit” von Tim­o­thy Sny­der klar zur drit­ten Ver­sion. Sie wird umso gefährlich­er, als dank des Pak­tes zwis­chen Putin und Patri­arch Kyrill I. auch eine pseu­do-religiöse Dimen­sion hineinzus­pie­len beginnt.

Aber vielle­icht sehen das die werten Leserin­nen und Leser anders?

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Mattiello am Mittwoch 22/23
Die Reichsidee 45

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