Wenn man sich vor Augen führt, welch mas­si­ven Angrif­fen und Ver­leum­dun­gen Peter Ochs wäh­rend Jah­ren aus­ge­setzt war, erscheint es gera­de­zu als ein Wun­der, dass er sich des­sen unge­ach­tet bis zu sei­nem Tod wei­ter­hin uner­müd­lich für Stadt und Land­schaft Basel einsetzte.

Sicher spiel­te sei­ne Her­kunft eine Rol­le: Gebo­ren in Nan­tes, auf­ge­wach­sen in Ham­burg, welt­män­nisch erzo­gen, fehl­te ihm “der Stall­ge­ruch”, um vom Bas­ler Patri­zi­at als ihres­glei­chen aner­kannt zu wer­den. Für den Hass, der ihm ent­ge­gen­schlug, ist aber vor allem die rela­tiv kur­ze Zeit­span­ne ver­ant­wort­lich, in der Ochs bei der radi­ka­len Umge­stal­tung der poli­ti­schen Ver­hält­nis­se in Basel und in der Eid­ge­nos­sen­schaft eine zen­tra­le Rol­le spielte.

Schon im Janu­ar 1798, kurz vor der Erklä­rung der Rechts­gleich­heit der Stadt- und Land­be­völ­ke­rung, bezeich­ne­te ihn Alt­bür­ger­meis­ter de Bary als Ver­rä­ter, wenig spä­ter sekun­diert vom Theo­lo­gie- und Hebräisch­pro­fes­sor Ema­nu­el Lin­der.
Spott­ver­se über ihn zir­ku­lier­ten noch und noch
:

“Doch stolz ver­rükt ihm der Verstand/ und er ver­räth sein Vaterland”,
“Wär der Ochs als Kalb krepiert/ Wär die Schweiz nicht ruiniert”.
“Der Erz­di­rek­tor Peter / Der erz­in­fa­me Lan­des­ver­rä­ter / Ist nun auch bald zur Höl­le reif!”

An der Fas­nacht 1803 wur­de etwa auf dem Peters­platz unter Wald­horn­fan­fa­ren ein gebra­te­ner Och­sen­kopf  (…) samt Stoff­bän­dern und Koka­r­den in den Far­ben der unter­ge­gan­ge­nen Hel­ve­ti­schen Repu­blik ver­gra­ben, nach­dem sich bereits im Febru­ar 1801 das Gerücht ver­brei­tet hat­te, die Ein­woh­ner der Spa­len­vor­stadt beab­sich­tig­ten, den Bür­ger Ochs zu begra­ben oder zu ver­bren­nen. (Men­schen­rech­te und Revolution)

Als im Vor­feld zum gros­sen Bau­ern­krieg in der Schweiz 1653 die Bewoh­ner der Land­schaf­ten ihre Bitt­schrif­ten an die “Gnä­di­gen Her­ren” in den Städ­ten rich­te­ten, ging es nicht etwa um die Auf­he­bung des Ver­hält­nis­ses “Her­ren — Unter­ta­nen”. Das wur­de von den Bau­ern schon als “gott­ge­ge­ben” aner­kannt. Es ging nur noch dar­um, Erleich­te­run­gen bei Steu­ern, Abga­ben, usw. und eine etwas grös­se­re Auto­no­mie zu errei­chen. Ende des 18. Jahr­hun­derts schliess­lich waren die poli­ti­schen Struk­tu­ren  so ver­knö­chert, dass es einen mas­si­ven Impuls von aus­sen brauch­te, um sie aufzubrechen.**

Die­ser Impuls war die Fran­zö­si­sche Revo­lu­ti­on mit ihrer Dekla­ra­ti­on “Frei­heit, Gleich­heit, Brü­der­lich­keit”. Er wur­de von muti­gen Zeit­ge­nos­sen wie Peter Ochs oder Fré­dé­ric Lahar­pe auf­ge­nom­men. Deren Hoff­nung rich­te­te sich vor­erst auf eine fried­li­che Revo­lu­ti­on von innen, ohne aus­län­di­sche Inter­ven­ti­on. Das blieb eine Illu­si­on. Eine Illu­si­on blieb auch die Hoff­nung auf einen ech­ten Neu­be­ginn: Die fran­zö­si­sche Besat­zung und die mas­si­ven mili­tä­ri­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit den euro­päi­schen Revo­lu­ti­ons­geg­nern auf hel­ve­ti­schem Boden ver­ur­teil­ten  das Expe­ri­ment der Hel­ve­tik von Anfang an zum Scheitern.

Das Zer­würf­nis zwi­schen den bei­den Revo­lu­tio­nä­ren, die sei­tens Lahar­pe erneut zu Vor­wür­fen des Lan­des­ver­rats führ­ten, des­sen Ursa­chen aber bis heu­te nicht  geklärt sind, dürf­te den extre­men und nicht bewäl­tig­ba­ren Her­aus­for­de­run­gen geschul­det sein, denen die Neue­rer im hel­ve­ti­schen Direk­to­ri­um aus­ge­setzt waren. Dass die bei­den sich nach dem Unter­gang der Hel­ve­tik bald wie­der ver­söhn­ten, stützt die­se Vermutung.

Ver­ges­sen ging ange­sichts die­ser weni­gen dra­ma­ti­schen Jah­re, dass Peter Ochs über einen viel län­ge­ren Zeit­raum trotz vie­ler har­ter Schick­sals­schlä­ge in ver­schie­dens­ten Funk­tio­nen uner­müd­lich für für das Wohl von Stadt und Land­schaft Basel tätig war, wie man in die­ser Serie nach­le­sen kann.  Inter­es­sant, dass man ihn in der Stadt nach dem miss­glück­ten Hel­ve­tik-Expe­ri­ment trotz aller Anfein­dun­gen schon bald wie­der in wich­ti­ge poli­ti­sche Ämter hiev­te. Das zeugt davon, dass man sei­ne Kom­pe­tenz und Inte­gri­tät durch­aus zu schät­zen wusste.

Und nicht zuletzt ver­fass­te er eine mehr­bän­di­ge Geschich­te des Stan­des Basel, die über lan­ge Zeit Refe­renz­cha­rak­ter hatte.

Peter Ochs erleb­te den Neu­auf­bruch hin zu einer libe­ra­len Schweiz nicht mehr. Aber er hät­te sich ohne Zwei­fel mit dem nächs­ten gros­sen Erneue­rer der Eid­ge­nos­sen­schaft, Ignaz Trox­ler, als wesens­ver­wandt erlebt.

Wer sich über den lan­gen Weg vom Tot­schwei­gen die­ses her­aus­ra­gen­den Bas­ler Poli­ti­kers hin zu des­sen lang­sa­mer und schritt­wei­ser Reha­bi­li­ta­ti­on kun­dig machen will, greift am bes­ten zur hier mehr­fach zitier­ten Schrift “Men­schen­rech­te und Revo­lu­ti­on. Peter Ochs”, letz­tes Jahr her­aus­ge­ge­ben vom His­to­ri­schen Muse­um Basel und dem Chris­toph Meri­an Verlag .
Ver­wie­sen sei auch auf das von der Bas­ler His­to­ri­ke­rin Sara Jan­ner initi­ier­te Online-Pro­jekt zu Peter Ochs.

Einen ent­schei­den­den Bei­trag zur Reha­bi­li­ta­ti­on von Ochs leis­te­te der umtrie­bi­ge Bas­ler Publi­zist und Wer­ber Mar­kus Kut­ter mit sei­ner 1989 gegrün­de­ten “Peter Ochs Gesell­schaft”: Das vor allem von Kut­ter mit­tels einer breit ange­leg­ten Medi­en­kam­pa­gne uner­müd­lich ver­folg­te Haupt­ziel bestand dar­in, die Hel­ve­tik und ins­be­son­de­re ihren Vor­kämp­fer Peter Ochs voll­um­fäng­lich zu rehabilitieren.
Ob Kut­ter heu­te aller­dings mit sei­ner Schrift “Peter Ochs statt Wil­helm Tell? : zurück zu den Ursprün­gen der moder­nen Schweiz”  von allen poli­ti­schen Lagern unge­teil­ten Bei­fall erhal­ten wür­de, sei dem Urteil der geneig­ten Lese­rin und des geneig­ten Lesers überlassen 😉 …

** In den Jahr­zehn­ten nach dem Bau­ern­krieg ver­such­ten die städ­ti­schen Obrig­kei­ten, die Erin­ne­rung an den bei­na­he geglück­ten Auf­stand zu unter­drü­cken. Wider­stands­sym­bo­le wie Flag­gen oder die von den Unter­ta­nen ver­wen­de­ten Waf­fen, ins­be­son­de­re die typi­schen Keu­len mit Nägeln (die so genann­ten Knüt­tel), wur­den gesetz­lich ver­bo­ten, beschlag­nahmt und zer­stört. Doku­men­te wie die Bun­des­brie­fe von Hutt­wil ver­schwan­den in den Gewöl­ben der städ­ti­schen Archi­ve. Jeg­li­ches öffent­li­che Geden­ken war bei Todes­stra­fe ver­bo­ten, eben­so Wall­fahr­ten zu den Hin­rich­tungs­or­ten der Anfüh­rer und das Sin­gen von Kampf­lie­dern der Auf­stän­di­schen. Bern war beson­ders aktiv beim Ver­such, die Erin­ne­rung an das Ereig­nis aus­zu­lö­schen und streb­te auch danach, Bild­nis­se der Anfüh­rer zu ver­nich­ten. His­to­ri­sche Tex­te, die wäh­rend der Zeit des Anci­en Régime geschrie­ben wur­den, fol­gen der offi­zi­el­len Dik­ti­on und erwäh­nen den Bau­ern­krieg, wenn über­haupt, nur kurz und mit nega­ti­ver Wort­wahl. Wer­ke mit abwei­chen­den Stand­punk­ten wur­den oft ver­bo­ten. Die Zen­sur war nicht gänz­lich erfolg­reich: Im Pri­va­ten hielt die Land­be­völ­ke­rung die Erin­ne­rung an 1653 auf­recht (Wiki­pe­dia. Schwei­zer Bauernkrieg)

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Mattiello am Mittwoch 22/22
Die Reichsidee 44

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