Die französischen Truppen waren zwar im Namen der Freiheit und mit Anrufung Wilhelm Tells in die Alte Eidgenossenschaft einmarschiert, aber die Schattenseiten der Besatzung wurden schon bald allzu offensichtlich. Laharpe, der anfangs März von der Waadt zum “Agent de la nation vaudoise du Directoire executif” ernannt worden war, beklagte sich beim Aussenminister Talleyrand bitterlich über die einsetzenden Raubzüge:
Wenn Sie einen Aufstand in unseren Bergen auslösen wollen, müssen Sie nur weitermachen. Es scheint, dass Sie ein Volk, dessen einziger Fehler es war, von den Oligarchen fanatisiert worden zu sein, bis zum Äussersten plagen wollen.
Ja, er ging sogar soweit, sich zum Fürsprecher der verhassten Berner zu machen! Seine kritische Haltung kam beim Direktorium gar nicht gut an.
Doch dann ging es Schlag auf Schlag: Nach einem französischen Versuch, sich die Kontrolle über das Helvetische Direktorium zu sichern, ernannte dieses Ende Juni 1798 Laharpe zusammen mit Peter Ochs zu neuen Mitgliedern.
Laharpe machte sich mit Feuereifer an die Arbeit, die wegweisenden Neuerungen der Helvetischen Verfassung in gelebte Wirklichkeit umzusetzen. Vor allem galt es, die Finanzierung des neuen Staatsgebildes zu sichern. Aber schon bald türmte sich Hindernis auf Hindernis vor den Idealisten auf:
● Die Helvetik musste mit Frankreich einen Offensivpakt eingehen und somit auch Truppen stellen. Ein Handelsvertrag als Zückerchen trat nie in Kraft.
● Im September kam es zu einem Aufstand und einem eigentlichen Massaker in der Innerschweiz.
● 1799 wurde das helvetische Territorium zu einem riesigen Schlachtfeld zwischen französischen, österreichischen und russischen Armeen.
Der Krieg dauerte nicht lange, aber die Katastrophe war vollkommen. Die französischen Forderungen kamen zu den Zerstörungen und dem Elend in den von den Besatzern verwüsteten Regionen. Die französischen Truppen lebten nicht nur auf Kosten der der Bevölkerung, sondern General Masséna verlangte auch Kontributionen von den Städten Zürich, Basel und St. Gallen. Die Schweiz war ausgeblutet und jede zusätzliche Forderung löste sowohl gegen Frankreich als auch gegen die Regierung eine Welle des Hasses aus.
Verzweifelt schriebe Laharpe Joseph Zeltner, dem helvetischen Gesandten in Paris:
Wir sind mit all unseren Ressourcen am Ende, ohne Geschäfte und ohne Geld. Tun Sie das Unmögliche und sagen Sie den Mitgliedern des des [französischen] Direktoriums, dass, wenn sie uns nicht sofort entlasten, bevor sechs Wochen vergangen sind, die Österreicher mit dreissigtausend von England bezahlten und von Rache entflammten Schweizern vor den Toren Besançon stehen werden: das ist kein Scherz!
Das Direktorium sah sich in einer ausweglosen Lage: Ohne Geld, ohnmächtig angesichts der Raubgier der französischen Kommissare, immer stärker unter Beschuss durch die Anhänger des Ancien Régimes in den legislativen Räten, begann Laharpe zu resignieren. Seinem Schwager Henri Monod in der Waadt schrieb er Ende November:
Der Mut verlässt mich, und seit ich sehe, wie unwahrscheinlich ein Erfolg wird, verliere ich sogar die Lust zu arbeiten. Es bleiben uns nur noch zwei Dinge: Unsere Verfassung ex abrupto zu ändern und alle Gesetze betreffend Finanzen, Justiz und Militär zu verabschieden und so unser politisches Überleben zu sichern. … Falls das nicht möglich ist, sich wieder zu trennen und erneut eine eigenständige Lemanische Republik zu gründen.
“ex abrupto” hiess im Klartext: Staatsstreich unter Ausschaltung der Legislative. Laharpe versuchte offensichtlich sogar, dafür die Zustimmung Napoleons zu erhalten. Aber die Räte kamen seinen Plänen zuvor und inszenierten anfangs Januar 1800 ihrerseits mit der sofortigen Absetzung Laharpes und seiner beiden Kollegen Secretan und Oberlin einen Staatsstreich, — es sollte der erste einer ganzen Reihe sein, bis Napoleon 1802 mit der Mediationsakte wieder etwas Ruhe in die helvetischen Gefilde brachte …
Laharpe zog sich in die Waadt zurück. Doch sein Aufenthalt fand schon im Juli ein rasches Ende, als er auf Geheiss Berns wegen einer bis heute nicht geklärten Affäre mit Dokumenten verhaftet wurde, in Payerne aber fliehen konnte und sich nach Frankreich absetzte. In Paris verschaffte er sich eine zweistündige Audienz bei Napoleon. In einer hitzigen Auseinandersetzung warf dieser Laharpe vor, die Schweiz gegen Frankreich aufgehetzt zu haben. Laharpe seinerseits nahm kein Blatt vor den Mund, was Napoleon später auf Elba zur anerkennenden Rückschau veranlasste, Laharpe habe in mit der Wahrheit konfrontiert, die er vorher nicht zur Kenntnis habe nehmen wollen.
Napoleon nahm Laharpe das Versprechen ab, sich nicht mehr weiter politisch zu betätigen, und Laharpe hielt sich bis 1814 daran. Er begann sich dem Studium der Naturwissenschaften und — wie Pictet de Rochemont — seinem Steckenpferd, der Landwirtschaft, zu widmen. Doch als er im März 1801 von der Ermordung des Zaren Paul I., des Nachfolgers von Katharina II. erfuhr, beschloss er, wieder nach Sankt Petersburg zu reisen und seinen ehemaligen Schützling, den zukünftigen Zaren Alexander I. zu besuchen.
Dazu mehr am kommenden Donnerstag, den 10. Februar
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