Dass die Schweiz heute eine höchst potente Export­na­tion ist, braucht nicht beson­ders her­vorge­hoben zu wer­den: Trotz Covid-Ein­bruch beliefen sich die Exporte in die wichtig­sten Ziel­län­der let­ztes Jahr immer noch auf über 150 Mil­liar­den, — davon um die 90 Mil­liar­den in die EU.

Weniger bekan­nt ist, dass auch die Alte Eidgenossen­schaft kein selb­st­genügsames Wirtschaft­sleben führte, son­dern schon früh in einen grösseren europäis­chen Wirtschaft­skreis­lauf einge­bet­tet war. André Holen­stein ist in seinem Buch Mit­ten in Europa. Ver­flech­tung und Abgren­zung in der Schweiz­er Geschichte” diesem Aspekt eben­falls nachgegangen.

Allerd­ings kann man genauer gesprochen gar nicht von einem eid­genös­sis­chen Wirtschaft­sraum sprechen. Die Inter­essen der ver­schiede­nen Orte gin­gen oft weit auseinander:
Im Spät­mit­te­lal­ter gehörte die Eidgenossen­schaft im eigentlichen Sinn, das heisst das Herrschafts­ge­bi­et der 13 Orte, zu einem «transna­tionalen» Wirtschaft­sraum, der auch Süd­deutsch­land und das Elsass umfasste. Die Westschweiz zählte damals eher zum ital­ienis­chen Wirtschaft­sraum, zumal die auf­streben­den Gen­fer Messen eine wichtige Rolle in der Geschäftsstrate­gie der grossen ital­ienis­chen Han­dels- und Bankhäuser spiel­ten. Seit dem 16. Jahrhun­dert zeich­neten sich die Kon­turen eines eid­genös­sis­chen Wirtschaft­sraums ab.

Das wurde beson­ders deut­lich, als die Bauern im voralpinen und alpinen Raum vom Grey­erz­er­land bis ins Appen­zell den Anbau von Getrei­de zugun­sten der Zucht von Grossvieh, Milch­wirtschaft und Käse­herstel­lung auf­gaben. Es war der Beginn der Alp­wirtschaft mit den drei Höhen­stufen (Tal, Maien­säss, Alp). Aus­lös­er dafür waren die Exportchan­cen für Pro­duk­te aus der Viehwirtschaft in die umliegen­den Gebi­ete und Städte:
Die lom­bardis­chen Städte bezo­gen ihr Fleisch über­wiegend aus den eid­genös­sis­chen Kan­to­nen, dem Wal­lis und Graubün­den. Das Piemont schliesslich wurde mit Vieh aus Savoyen und den Westschweiz­er Alpen ver­sorgt. Der alljährliche Viehtrieb aus den Alpen in die Städte der Ebene set­zte im Spät­mit­te­lal­ter ein und dauerte bis ins 19. Jahrhun­dert fort. Für das 18. Jahrhun­dert wird das Aus­mass dieses Han­dels auf jährlich 15 000 bis 20 000 Tiere geschätzt.

Genau­so inten­siv entwick­elte sich der Export von halt­barem und damit export­fähigem Hartkäse, der Abnehmer im Elsass, in Deutsch­land, in Ital­ien und Frankre­ich fand. Dort war es die Kriegs­ma­rine, welche die Matrosen damit ernährte. Dank dem Söld­ner-Deal kon­nte z.B. der Grey­erz­er zoll­frei nach Frankre­ich einge­führt werden.

Doch das ist noch nicht die ganze Geschichte. Schon seit der zweit­en Hälfte des 16. Jahrhun­derts ver­ar­beit­eten mehrere Regio­nen Rohstoffe für einen Markt, der im Laufe der Zeit immer inter­na­tionaler wurde. Die Alte Eidgenossen­schaft gehörte schon im 18. Jhdt. zu den am stärk­sten indus­tri­al­isierten Län­dern in Europa. Das kap­i­tal­is­tisch organ­isierte Ver­lagssys­tem, das über­all auf dem Land Heimar­beit­er beschäftigte, war ganz auf den Export ausgerichtet:
Mit der Ver­lagerung der Pro­duk­tion zu den ländlichen Heimar­beit­ern umgin­gen die Ver­leger die vielfälti­gen Ein­schränkun­gen der zün­ftis­chen Wirtschaftsver­fas­sung in den Städten. Sie konzen­tri­erten sich zudem auf Nis­chen­pro­duk­te, die vom tra­di­tionellen Handw­erk nicht hergestellt wur­den und die gross­es Finanzkap­i­tal, transna­tionale Geschäfts­beziehun­gen und gute Ken­nt­nisse weit ent­fer­n­ter Märk­te erforderten – alles Voraus­set­zun­gen, über die ein städtis­ch­er Handw­erk­er in der Regel nicht ver­fügte

Es waren vor allem die reformierten Gebi­ete, die dank der hugenot­tis­chen Flüchtlinge aus Frankre­ich von deren Know-how auf dem Gebi­et der Stoff­pro­duk­tion profitierten:
Refu­gianten grün­de­ten die ersten Indi­enneman­u­fak­turen im späten 17. Jahrhun­dert in Genf, wo es 1710 bere­its deren vier gab. Von hier aus bre­it­ete sich dieser neue Pro­duk­tion­szweig seit den 1720er-Jahren dem Jurasüd­fuss ent­lang über das Drei-Seen-Land … in die deutsche Schweiz (Zen­tren im Aar­gau, in Zürich, Glarus und in der Ostschweiz) aus. Daneben war die Stadt Basel ein zweites früh­es Zen­trum, wo die Gebrüder Ryhin­er 1717 die Indi­en­nefab­rika­tion aus Ams­ter­dam ein­führten. (Ihre span­nende Fam­i­liengeschichte find­et sich hier!)

Das Bedruck­en von Baum­wolltüch­ern mit waschecht­en Far­ben war ein in hohem Mass arbeit­steiliger Vor­gang und erforderte die Zusam­me­nar­beit zahlre­ich­er Arbei­t­erin­nen und Arbeit­er an ein­er zen­tralen Pro­duk­tion­sstätte: Zeich­n­er und Maler ent­war­fen die Druck­muster. Stech­er übertru­gen die kolo­ri­erten Muster auf Hand­mod­el aus Holz. Farb­mis­ch­er stell­ten die Far­ben für das Ein­fär­ben der Hand­mod­el her, die die Druck­er schliesslich von Hand auf die Baum­wolltüch­er pressten.

Hugenot­tis­che Impulse ermöglicht­en auch die Entwick­lung der Uhren- und Schmuck­pro­duk­tion in der Westschweiz. Diese Luxu­s­güter fan­den ihren Weg nicht nur zu ein­er kaufkräfti­gen Schicht in Europa, son­dern in den Jahrzehn­ten vor der Franzö­sis­chen Rev­o­lu­tion sog­ar bis in den Fer­nen Osten und nach Nor­dameri­ka. Gen­fer Uhrma­ch­er unter­hiel­ten schon im späten 16. Jahrhun­dert eine Kolonie in Kon­stan­tinopel für den Absatz im Osman­is­chen Reich und in Persien:
Der Vater von Jean-Jacques Rousseau beispiel­sweise war für die Uhren im Top­kapi­palast, dem Wohn- und Regierungssitz des Sul­tans, ver­ant­wortlich. 1737 lebten 160 Gen­fer am Bosporus und unter­hiel­ten dort eine eigene Kirche und Schule. Daneben waren die Gen­fer auch in den grossen Mess­es­tädten des Reichs sowie in Polen und Rus­s­land vertreten.

Auch die näch­ste Folge ist nochmals den transna­tionalen wirtschaftlichen Ver­flech­tun­gen der Alten Schweiz gewid­met, und dies wie immer

am kom­menden Don­ner­stag, den 4. November

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