André Holenstein zeigt in seinem Buch “Mitten in Europa” die komplexe Verflechtung des Soldwesens mit der wirtschaftlichen Entwicklung der Eidgenossenschaft auf und meint:
Viel zu häufig ist die Geschichte des eidgenössischen Solddienstes allein aus kriegs- und militärgeschichtlicher Sicht geschrieben worden. Gegen diese verkürzte Perspektive ist die Tatsache ins Feld zu führen, dass der Solddienst ein politisches und wirtschaftliches Unternehmen war, bei dem zwei Vertragspartner miteinander ins Geschäft kamen. Dabei ging es um wesentlich mehr als um Kriegsdienste. Diese waren vielmehr Teil eines umfassenden Transfers von Ressourcen und Leistungen, auf den sich die Orte mit ihren ausländischen Bündnispartnern einigten und der letztlich auf dem Prinzip einer Interessenpolitik auf Gegenseitigkeit basierte. Die Allianzpartner versorgten sich wechselseitig mit knappen Gütern und Diensten. Erst der ganzheitliche Blick auf das System offenbart die grundlegende Bedeutung der fremden Dienste, die über das rein Militärische weit hinausging und die so überhaupt erst die Langlebigkeit der militärischen Migration zu erklären vermag.
Wie das konkret funktionierte, zeigt er exemplarisch am Beispiel des Ortes Freiburg auf. Im 16. Jahrhundert konnten dank der sogenannten Labkäserei immer mehr haltbare und transportfähige Hartkäse produziert werden. Die Gebiete im nördlichen Voralpen- und Alpenraum vom Appenzell bis ins Greyerzerland fanden für ihre Produkte Exportmöglichkeiten im Elsass, im Deutschen Reich, in Italien und Frankreich. Holenstein analysiert, wie sich das Söldnerwesen und der Käseexport in Freiburg gegenseitig regelrecht bedingten:
Der Aufstieg des Greyerzer Käses zum Exportschlager, die agrarkapitalistische Entwicklung im Greyerzer Land und die Konsolidierung der patrizischen Vorherrschaft in der Stadt Freiburg wären ohne die Allianz mit Frankreich nicht möglich gewesen. Diese setzte seit dem 16. Jahrhundert einen komplexen Ressourcentransfer in Gang. Freiburg exportierte Soldaten und Käse nach Frankreich. Frankreich bezahlte Freiburg wie allen übrigen Orten jährlich Pensionen als Zeichen der Freundschaft und als Entgelt für den privilegierten Zugang zum Schweizer Söldnermarkt. Der Verkauf des Greyerzers auf dem Hauptmarkt in Lyon liess gutes Geld ins Land fliessen. Schliesslich erhielt Freiburg aus Frankreich auch das Salz, das es in grossen Mengen für die Viehzucht und Käseherstellung benötigte, zu vorteilhaften Bedingungen. …
Weil die Viehzucht weniger Arbeitskräfte an die Landwirtschaft band als der Getreidebau, wurden mit der Spezialisierung der Greyerzer Bauern auf die Milch- und Käsewirtschaft Arbeitskräfte freigesetzt, die als Infanteristen in den Freiburger Soldkompanien im Dienst Frankreichs hochwillkommen waren … Das Soldgeschäft im eigentlichen Sinn führte den Freiburger Patriziern weitere Einnahmen zu: Sie verdienten als Militärunternehmer und Besitzer von Regimentern und Kompanien und waren an der Verteilung der französischen Pensionen an die Ratsherren beteiligt.
Der Haken an diesem Geschäft war, dass Frankreich damit ein wirtschaftliches Druckmittel in der Hand hatte, das es jederzeit einsetzen konnte, indem es zum Beispiel die Salzlieferungen aus Salins stoppte. Und das geschah auch tatsächlich, als ein eidgenössischer Soldoffizier im Spanischen Erbfolgekrieg aus Frust auf die gegnerische Seite wechseln wollte.
Aber grundsätzlich überwogen die Vorteile auch für die anderen Orte:
Frankreich räumte eidgenössischen Kaufleuten Zoll- und Handelsprivilegien in Frankreich ein, was den Schweizer Exportwaren auf dem französischen Binnenmarkt Vorteile gegenüber den Konkurrenten aus Italien, Deutschland und selbst aus Frankreich verschaffte. Als im 17. und 18. Jahrhundert die Schweizer Textil- und Uhrenindustrie sowie die Käseherstellung einen starken Aufschwung erlebten, begünstigten die Privilegien den Zugang zum französischen Markt für Waren, die aus der Eidgenossenschaft stammten, .… Nicht zuletzt solche handelspolitischen Vorteile bewogen schliesslich auch Zürich, 1614 erstmals in die Allianz mit Frankreich einzutreten, nachdem die Stadt jahrzehntelang unter dem Druck ihrer Kirchenführer allen Bündnissen mit auswärtigen Mächten ferngeblieben war. Waren für Handelsrepubliken wie Zürich, Basel, Schaffhausen oder St. Gallen diese handelspolitischen Vergünstigungen interessant, so fielen für andere Kantone die günstigen Salzlieferungen aus dem Ausland ins Gewicht.
Doch die Reisläufer waren nicht die einzigen Eidgenossen, die indirekt zur wirtschaftlichen Entwicklung der Alten Eidgenossenschaft im Kontext der europäischen Nachbarn beitrugen.
Dazu mehr in der kommenden Folge am Do, den 14. Oktober.
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