Die Eidgenossen waren dem Reich so sehr ver­bun­den, dass sie am Ende des 15. Jahrhun­derts sog­ar Krieg gegen dieses führten, schreibt André Holen­stein in seinem Buch Mit­ten in Europa. Ver­flech­tung und Abgren­zung in der Schweiz­er Geschichte.

Nein, diese para­doxe Aus­sage ist kein Druck­fehler: Wie wir gese­hen haben, weigerten sich die Eidgenossen ein­fach, die unter Max­i­m­il­ian I. beschlossene Weit­er­en­twick­lung der Reichsin­sti­tu­tio­nen anzuerken­nen und mitzu­fi­nanzieren, hiel­ten aber bis ins 17. Jahrhun­dert an ihrem Beken­nt­nis zum tra­di­tionellen Reich fest. Und sie pocht­en darauf, dass Gott sie als Werkzeug auser­wählt habe, um den sünd­haften, verkomme­nen Adel zu bestrafen. Die Grün­dung der Eidgenossen­schaft präsen­tierte sich damit als gottge­wollte Wieder­her­stel­lung ein­er christlichen Stän­de­ord­nung, in der die Bauern als wahre Edle an die Stelle des alten Her­ren­standes trat­en. Ihre Schlacht­en­siege bei Mor­garten, Sem­pach, in den Bur­gun­derkriegen und bei Dor­nach deuteten die Eidgenossen vor diesem Hin­ter­grund als Gottesurteile, mit denen der Allmächtige aller Welt kund­tat, dass er auf ihrer Seite stand. 

Die Selb­st­stil­isierung der «Alten Eidgenossen» zu «from­men, edlen Bauern» war moralisch und kul­turell anspruchsvoll, weil sie das authen­tis­che eid­genös­sis­che Wesen mit der fru­galen, materiellen Kul­tur verknüpfte. Der wahre Eidgenosse war demzu­folge ein beschei­den­er Mann, der sich materiell mit dem Notwendi­gen beg­nügte und allem unnöti­gen Kon­sum, allem Luxus, entsagte. … Die Eidgenossen ver­dank­ten ihre Frei­heit der «Ein­falt ihrer Sit­ten». Sie rangen ihre beschei­dene Sub­sis­tenz ein­er kar­gen Natur ab. Der tägliche Kampf um die eigene Nahrung machte sie stark und wider­stands­fähig, die Män­ner machte er tapfer und kriegstauglich und ver­set­zte sie in die Lage, ihre Frei­heit zu verteidigen.

Doch im 16. Jahrhun­dert bekam dieses hehre Bild plöt­zlich Risse: Die Siege in den Bur­gun­derkriegen und im Schwabenkrieg liessen die Nach­frage nach eid­genös­sis­chen Söld­nern regel­recht explodieren, — und die kämpften nicht mehr um die Frei­heit, son­dern um klin­gende Münze:
Das diplo­ma­tis­che Buhlen der Kriegsh­er­ren um Reis­läufer aus der Eidgenossen­schaft brachte flüs­siges Geld ins Land und liess auch inner­halb der eid­genös­sis­chen Eliten rival­isierende Fak­tio­nen entste­hen, die sich für ihre Parteinahme für Frankre­ich oder Hab­s­burg bezahlen liessen. Sofern die Krieger von den Feldzü­gen heimkehrten, bracht­en sie – neb­st sit­tlich­er Ver­ro­hung – fremde Kon­sumbedürfnisse sowie die Erfahrung rasch­er Geld­macherei nach Hause.
Man muss sich das ein­mal klar machen: Die Reis­läufer­ei war nach der Land­wirtschaft über Jahrhun­derte der zweitwichtig­ste Wirtschaft­szweig. Bevölkerung­shis­torik­er gehen davon aus, dass vom 16. Jhdt bis zum Ende des Ancien Régime mehrere Hun­dert­tausend Mann in Europa Sol­d­di­enst leisteten!

Im “Spiel von den alten und jun­gen Eidgenossen”, das 1514 in Zürich aufge­führt wurde, begeben sich die prächtig gek­lei­de­ten jun­gen Eidgenossen nach dem Sieg von Novara zu den alten, um sich Rat einzu­holen. Doch die Alten erken­nen die Jun­gen nicht mehr: Ich sag üch ganz sicher­lich, ir sind unsern Kinder nienen glich: ihr kömend so köstlich all daher, als syend ir all edel­lütt gar. — Die Botschaft des Spiels … ist klar: Eidgenossen, ihr seid im Begriff, euren Stand zu ver­rat­en, die Sendung zu vergessen, die euch Gott anver­traut hat, der euch Bauern und schlichte Leute aus­gewählt hat, um den hof­fär­ti­gen Adel zu erset­zen (Marc­hand, Gebrauchsgeschichte)

Ins gle­iche Horn stiess wenig später der Zürcher Refor­ma­tor Hein­rich Bullinger: … wenn eure gottes­fürchti­gen Väter jet­zt wieder von den Toten aufer­ste­hen wür­den, kön­nten sie euch in diesem Zus­tand noch erken­nen? … Ihr … seid so hartherzig, achtet nur darauf, wen man angreifen kön­nte und wo es viel Geld zu holen  gibt, und nicht, warum man über­haupt Krieg führt oder ob man im Recht sei. … Ihr ren­nt hin­ter allen möglichen Her­ren her wie die Küken hin­ter der Henne. Denn ihr wärt selb­st gerne grosse Herren …

Mil­itärun­ternehmer-Fam­i­lien, die für den Nach­schub sorgten, häuften grossen Reich­tum an, von dem viele Patrizier­häuser noch heute zeu­gen. Jost Auf der Maur, Autor des Buchs “Söld­ner für Europa”, sieht aber neben den vie­len neg­a­tiv­en Aspek­ten des Söld­ner­we­sens auch pos­i­tive. In einem Inter­view mit swissinfo.ch meint er, dass Söld­ner oft neue Ideen und neues Wis­sen in ihre Heimat gebracht hät­ten, und hält fest:
Fremde Poten­tat­en sicherten mit Schweiz­er Kriegs­gurgeln ihre Herrschaft ab. Sie ver­gal­ten dies der alten Eidgenossen­schaft mit sehr viel Geld, und poli­tisch kam es zum so genan­nten Schweiz­er­glück: Das Gebi­et der Schweiz wurde in Ruhe gelassen, damit dort kein Eigenbe­darf an Kriegern ent­stand. Denn ein solch­er hätte die Beliefer­ung des Aus­lands mit dem Exportschlager gefährdet. … das Schweiz­er­glück ist ein­er der inter­es­san­testen Aspek­te der Geschichte des Söld­ner­we­sens. Es stimmt in kein­er Art und Weise, dass die Eidgenossen­schaft ihre Unab­hängigkeit allein durch ständi­ge Frei­heit­skämpfe erlangt hätte.

Die Eidgenossen­schaft ver­dank­te ihre rel­a­tive Ruhe dem dama­li­gen Exportschlager, den Söld­nern. Insofern war das Schweiz­er­glück ein Vor­läufer der heuti­gen Neutralität. 

Wie auch immer man sich zu dieser Argu­men­ta­tion stellt, einen gewichti­gen Trumpf dafür spielt er hier aus:
Offiziere wie Hen­ri Dufour sind ohne Aus­bil­dung in Frankre­ich undenkbar. Dufour hat den Bürg­erkrieg von 1847 auf so opti­male Weise gelöst, dass dieser nur ger­ingfügige Wun­den hin­ter­liess. Es ist auch sym­bol­isch ein starkes Bild, dass der Gen­er­al zusam­men mit dem Paz­i­fis­ten Hen­ry Dunant Grün­dungsmit­glied des Inter­na­tionalen Komi­tees vom Roten Kreuz ist.

Doch die Reis­läufer waren nicht die einzi­gen Eidgenossen, die in der Fremde ihr Glück sucht­en — und oft fan­den! Dazu mehr in der übernäch­sten Folge am Don­ner­stag, den 14. Okto­ber.

Und hier geht es zur näch­sten Folge am Don­ner­stag, den 7. Okto­ber.

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Mattiello am Mittwoch 21/39
Klimademo am 4. Oktober 2021 in Zürich

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