Am 13. Juli 1501 wur­de in der ehren­wer­ten Stadt Basel auf dem Markt­platz ein wich­ti­ger Ver­trag besie­gelt: Deren Ein­tritt in das eid­ge­nös­si­sche Bünd­nis­sys­tem. Der Ent­scheid war durch­aus nicht ein­stim­mig gefal­len: Ade­li­ge Bas­ler sahen ihn als Ver­rat am Kaiser.
Das eid­ge­nös­si­sche Wesen ist hier in sei­nen Anfän­gen. Wenn es auch die amt­li­che und öffent­li­che Aner­ken­nung haben mag, besteht es doch wesent­lich durch die Kraft sei­ner Anhän­ger. Es ist Sache einer Par­tei. Neben ihm gibt es noch ande­re Grup­pie­run­gen und Anhän­ge, gel­ten altes ein­ge­bor­nes Rhein­lands­ge­fühl, deut­sches natio­na­les Emp­fin­den, fran­zö­si­sche Sym­pa­thie. Es ist das Dasein einer gro­ßen, viel­be­such­ten und viel­durch­wan­der­ten Grenz­stadt, in der das Schwei­ze­ri­sche dem Schwä­bi­schen, das Deut­sche dem Wäl­schen gegen­über­steht. Alles ist dicht­ge­drängt bei­sam­men in der Enge des Gemein­we­sens, Alles bewegt durch die Unru­he einer lei­den­schaft­li­chen Zeit. So schreibt Rudolf Wacker­na­gel in sei­ner Geschich­te der Stadt Basel.

Wie blank die Ner­ven damals lagen, zeigt die kurio­se Feh­de zwei­er Stu­den­ten an der Uni Basel. Gre­go­ri­us Bünz­li hat­te sich im Mai mit einem Spott­ge­dicht über sei­nen schwä­bi­schen Kol­le­gen Hie­ro­ny­mus Emser lus­tig gemacht, wor­in er die Schwa­ben als Feig­lin­ge, Dumm­köp­fe und Faul­pel­ze bezeich­ne­te. Emser liess sich nicht lum­pen und kon­ter­te mit der Beschrei­bung der Eid­ge­nos­sen als milch­sau­fen­de Schur­ken und fau­le Kuh­mel­ker. Die Fol­ge waren drei Wochen Kerkerhaft.

Doch die Aus­ein­an­der­set­zung um die Fra­ge, ob Basel mit dem Bei­tritt den rich­ti­gen Weg gewählt hat­te, zog auch grös­se­re Krei­se. Berühm­te Huma­nis­ten sahen in die­sem Ent­scheid eine poli­ti­sche Ver­ir­rung. So ver­liess Sebas­ti­an Brant, der Her­aus­ge­ber des euro­päi­schen Best­sel­lers “Das Nar­ren­schiff” Basel 1501 wahr­schein­lich, weil er als treu­er Anhän­ger des Kai­sers den Ent­scheid der Stadt ent­schie­den ablehn­te. Auch von Johan­nes Reuch­lin, der in Basel stu­diert hat­te, ist eine ableh­nen­de Hal­tung überliefert.

Zu einer eigent­li­chen Feh­de ent­wi­ckel­te sich aller­dings die Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen dem elsäs­si­schen Huma­nis­ten Jakob Wimp­fe­ling und der Stadt. Wimp­fe­ling wur­de durch sei­ne Schrif­ten in Basel und der übri­gen Eid­ge­nos­sen­schaft zum best­ge­hass­ten Mann, und sei­ne Bas­ler Freun­de warn­ten ihn, sich jemals wie­der in der Stadt zu zei­gen, wenn ihm sein Leben lieb sei: Man habe ihn, Wimp­fe­ling, bis­her dar­um vor­nehm­lich geliebt, weil man ihn für ehr­wür­dig, schweig­sam, beschei­den und demü­tig gehal­ten habe und weil man glaub­te, er ver­hal­te sich in der Sache der Öster­rei­cher und Schwei­zer ganz und gar neu­tral. Jetzt aber mei­ne man, er sei nicht ein­fach ein Theo­lo­ge, son­dern ein ver­schmitz­ter Spi­on (Peter Och­sen­bein, Jakob Wimp­fe­lings lite­ra­ri­sche Feh­de mit den Bas­lern un Eid­ge­nos­sen)

Inter­es­san­ter­wei­se spiel­te der eid­ge­nös­si­sche Brauch des Gebets “mit zer­ta­nen Armen” dabei eine zen­tra­le Rol­le. Basel hat­te näm­lich beschlos­sen, als Zei­chen der neu­en Ver­bin­dung mit den Eid­ge­nos­sen deren Gebets­ges­tus zu über­neh­men. Das empör­te den Huma­nis­ten, der dar­in eine Anmas­sung eines nur geweih­ten Pries­tern vor­be­hal­te­nen Ges­tus sah. Der in Basel leh­ren­de Domi­ni­ka­ner Wer­ner von Sel­den ergriff  Par­tei für die Stadt, wor­auf Wimp­fe­ling Johan­nes Winckel, einen Ordens­bru­der an der Uni Frei­burg im Breis­gau, dazu ani­mier­te, eine Gegen­schrift zu verfassen.

Und die hat­te es in sich! Es galt, die Über­zeu­gung der Eid­ge­nos­sen zu demon­tie­ren, ihre Sie­ge stün­den im Zusam­men­hang mit ihrem Gebets­ges­tus. Peter Och­sen­bein: Nach Winckel pfleg­ten näm­lich die Schwei­zer ihren modus oran­di mit fol­gen­der Selbst­emp­feh­lung zu bestär­ken: «Wir sind jene aus­er­wähl­te Völ­ker­schaft, die in jenem Volk Isra­el prä­fi­g­u­riert war und die der all­mäch­ti­ge Gott als Hüte­rin sei­nes Geset­zes und sei­ner Gerech­tig­keit gegen Köni­ge und Fürs­ten in Schutz nahm.» Winckel ant­wor­tet auf die­sen Satz, aus dem unschwer Zuver­sicht der Sie­ger her­aus­zu­hö­ren ist, «daß ein Sieg nicht immer die Gerech­tig­keit eines Krie­ges bewei­se und eben­so nicht eine Nie­der­la­ge des Besieg­ten die Unge­rech­tig­keit eines Krie­ges.» Zur Ver­deut­li­chung erin­nert er an Sen­nache­rib, Nabu­codò­no­sor, Holo­fer­nes und ande­re Über­win­der Isra­els, aber auch an «jene über­aus gars­ti­ge Bes­tie des moham­me­da­ni­schen Vol­kes» und an deren zeit­ge­nös­si­sche Siege. …

Chris­tus sel­ber hat, nach Winckel, deut­lich gemacht, daß eine unge­wöhn­li­che Gebets­hal­tung, wie sie der modus Swi­ten­si­um dar­stel­le, nicht öffent­lich voll­zo­gen wer­den darf. Als er näm­lich im Ölgar­ten etwas Unge­wöhn­li­ches tun woll­te, indem er auf sein Ange­sicht nie­der­fiel, habe er sich von den drei Jün­gern einen Stein­wurf weit ent­fernt (Luc. 22, 41) und damit die Leh­re gege­ben, daß beson­de­re Gebets­hal­tun­gen von Gläu­bi­gen in ver­schlos­se­nen Gemä­chern, heim­lich und ohne Zuschau­er ver­rich­tet wer­den kön­nen, nicht aber öffent­lich oder in Kir­chen vor aller Augen. Wenn Moses wäh­rend des Kamp­fes der Israe­li­ten gegen die Ama­le­ki­ter in Kreuz­form die Arme aus­ge­brei­tet habe, zei­ge die Bibel­stel­le (Exo­dus 17, 10) daß die­ser modus oran­di den Pries­tern und Die­nern nur der Kir­che auf­er­legt wor­den sei, kei­nes­falls aber dem gewöhn­li­chen und unvoll­kom­me­nen Volk.

Und dann setz­te er noch einen drauf, indem er das öffent­li­che Beten mit “zer­ta­nen” Armen als Kult­hand­lung aus heid­ni­scher Zeit dekla­rier­te, die unter Ein­ge­bung des Teu­fels ver­rich­tet wer­de. Ver­ständ­lich, dass der Vor­wurf, der in den Schlach­ten bewähr­te Brauch — der zugleich Zei­chen eid­ge­nös­si­scher Soli­da­ri­tät war -, sei ein aber­gläu­bi­scher heid­ni­scher Ritus, sowohl den Bas­lern wie den Eid­ge­nos­sen sau­er aufstiess.

Wimp­fe­ling sei­ner­seits fass­te die Vor­wür­fe in einer fin­gier­ten Ermah­nung von Sei­ten des Bru­der Klaus noch­mals zusam­men, nann­te den Ges­tus eine ver­rück­te Abson­der­lich­keit” und mut­mass­te, wenn ehr­wür­di­ge Bischö­fe jene Zere­mo­nien vor­ge­schrie­ben hät­ten, wären sie kaum von jenen hin­ter­wäld­le­ri­schen Völ­kern über­nom­men wor­den, die nur für sich selbst Macht bean­spru­chen, so daß sie sich nicht schä­men, gegen die hei­li­gen Rech­te über kirch­li­che Zere­mo­nien zu verfügen …

Es wäre aber falsch, Wimp­fe­ling ein­fach als obrig­keits­gläu­bi­gen Huma­nis­ten abzu­qua­li­fi­zie­ren. Für ihn waren das Hei­li­ge Römi­sche Reich und die kirch­li­che Hier­ar­chie eine unver­zicht­ba­re Stüt­ze gegen Cha­os und Unge­rech­tig­keit. Er war — noch vor Luther — ein schar­fer Kri­ti­ker der Miss­stän­de in der katho­li­schen Kir­che und er geis­sel­te auch — zu Recht — das eid­ge­nös­si­sche Söldnerwesen:
Die Eid­ge­nos­sen … ver­hin­dern durch ihren Unge­hor­sam gegen­über dem Reich nicht nur einen gemein­sa­men Kriegs­zug gegen die das Abend­land bedro­hen­den Tür­ken, sie tra­gen über­dies zu die­sem Miss­lin­gen aktiv bei, inso­fern ihre Söld­ner aus blo­ßer Gewinn­sucht statt einer gerech­ten Sache ver­schie­de­nen Fürs­ten die­nen, damit zu deren Kriegs­in­stru­men­ten wer­den und so schuld sind am euro­päi­schen Bru­der­krieg. Beson­ders dras­tisch schil­dert Wimp­fe­ling die Grau­sam­keit der Schwei­zer Reis­läu­fer; selbst unter Tür­ken und Hus­si­ten fin­de sich bei der Gefan­gen­nah­me von Fein­den mehr Menschlichkeit. 

Pech, dass inzwi­schen Maxi­mi­li­an I. nach dem Schwa­ben­krieg sei­ne wüs­ten Beschimp­fun­gen der Eid­ge­nos­sen als Reichs­fein­de ver­ges­sen zu  haben schien. Das Söld­ner­re­ser­voir schien offen­sicht­lich zu ver­lo­ckend zu sein, und viel­leicht hat­te er die Hoff­nung doch noch nicht ganz auf­ge­ge­ben, die Eid­ge­nos­sen eines Tages wie­der etwas enger an das Reich zu bin­den. So muss­te sich der arme Wimp­fe­ling 1507 beim Kai­ser in einem län­ge­ren Brief für sei­nen lite­ra­ri­schen Feld­zug gegen die “bösen puren” entschuldigen .…

Wir haben gese­hen, dass sich die Eid­ge­nos­sen auch nach dem Schwa­ben­krieg  durch­aus noch als Mit­glied des Hei­li­gen Römi­schen Reichs betrach­te­ten. Aber wel­che Visi­on hat­te denn Maxi­mi­li­an von die­sem Reich? Die­ser Fra­ge gehen wir

am kom­men­den Don­ners­tag, den 23. Sep­tem­ber nach.

An ande­ren Seri­en interessiert?
Wil­helm Tell / Ignaz Trox­ler / Hei­ner Koech­lin / Simo­ne Weil / Gus­tav Mey­rink / Nar­ren­ge­schich­ten / Bede Grif­fiths / Graf Cagli­os­tro /Sali­na Rau­ri­ca / Die Welt­wo­che und Donald Trump / Die Welt­wo­che und der Kli­ma­wan­del / Die Welt­wo­che und der lie­be Gott /Leben­di­ge Birs / Aus mei­ner Foto­kü­che / Die Schweiz in Euro­pa /Die Reichs­idee /Voge­sen / Aus mei­ner Bücher­kis­te / Ralph Wal­do Emerson

 

 

Mattiello am Mittwoch 21/37
Die Reichsidee 7

Deine Meinung

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.